Das Wasser ist trüb und keine 20 Grad warm. Lina Kinski zieht sich in etwa acht Metern Tiefe an einem Seil über den Grund der Xantener Südsee. Die 25-Jährige ist seit ihrer Geburt so gut wie blind, hat nur etwa fünf Prozent Sehkraft. Damit kann sie grobe Umrisse erkennen und hell und dunkel unterscheiden. Sie sieht also auch keine Fische oder Pflanzen unter Wasser. "Mir geht es beim Tauchen eher um das Gefühl. Es ist, als ob ich schwebe. Und die Stille. Ich höre nur das Blubbern des Wassers. Das finde ich irgendwie beruhigend", sagt sie später an Land. Neben Lina Kinski taucht Vanessa Trappmann, immer in greifbarer Entfernung. Während sich Taucher normalerweise über Handzeichen verständigen, funktioniert die Kommunikation hier nur über direkte Berührung.
Trappmann hat sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung das Tauchen beizubringen. Die 23-Jährige ist Tauchlehrerin an der Xantener Südsee und hat seit zweieinhalb Jahren eine eigene Tauchschule. Hier bietet sie Tauchkurse für Menschen mit Behinderung an. Eigentlich selbstverständlich, sagt sie: "Warum kann man Menschen, die Einschränkungen haben, nicht einfach ganz normal mit einbeziehen? Wir nehmen jeden auf. Jeder kann mit uns tauchen. Ich freue mich immer zu sehen, dass alle Spaß haben und alle mit dabei sein können." Der Kundenkreis in der Theorie ist groß. Ende 2023 waren in Nordrhein-Westfalen laut Statistischem Landesamt rund 1,94 Millionen Menschen als schwerbehindert anerkannt.
Beim Tauchgang ist auch Florian Hoffmann dabei. Der 42-Jährige hat eine geistige Behinderung. Zehn Monate hat er für seinen Tauchschein gebraucht. Menschen ohne Einschränkungen machen ihn meistens innerhalb weniger Tage. Aber Hoffmann ist am Ball geblieben und hat mittlerweile sogar seinen Rescue-Diver, er kann also Taucher in Not retten. Mit Trappmann und einer Tauchgruppe war er sogar schon in Ägypten tauchen. Warum er taucht? "Weil es Spaß macht und man viele Fische sehen kann", sagt er lächelnd.
Ein Strahlen über das ganze Gesicht
Auch Trappmann erinnert sich noch gut an die Reise nach Ägypten. "Da war Florian am Anfang sehr aufgeregt. Er ist schließlich zum ersten Mal im offenen Meer getaucht. Aber der einheimische Tauchguide und ich haben ihn dann zwischen uns genommen. Als Florian wieder aus dem Wasser kam, hat er über das ganze Gesicht gestrahlt und gerufen: 'Ich war ganz ruhig!' Er war so stolz. Das hat mich sehr berührt", erzählt die 23-Jährige.
Trappmann hat einen speziellen Tauchschein für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen gemacht. In der Xantener Südsee haben sie und ihre Kollegen extra Seile gespannt, damit Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit sich besser orientieren können. "Und für die Anfänger sind die auch praktisch. Gerade wenn das Wasser so trüb ist wie im Moment", sagt Trappmann.
Schon bald will sie wieder eine Tauchreise planen, vielleicht erneut nach Ägypten. Lina Kinski würde auch gerne mal im Meer tauchen. Vielleicht kommt sie mit. Und auch der erfahrene Florian Trappmann hat noch einen großen Traum: Einmal einen Walhai sehen.
Über dieses Thema haben wir auch am 05.08.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Duisburg, 19.30 Uhr.