10.43 Uhr
"Was du heute machst, empfehle ich nicht. Eigentlich fängt man step by step an mit Survival. Das ist wie von null auf hundert zu gehen", sagt mir Dominik Schlummer. "Du hast als Stadtmensch den Wissensstand von einem Kleinkind. Und einem Kleinkind würde man auch nicht sagen: 'Geh in den Wald und komm klar'." Der 42-Jährige ist mein heutiger Coach. Eigentlich ein sehr zugewandter und freundlicher Typ, doch seine Worte machen mir dann doch ein bisschen Angst.
Wir treffen uns bereits am Vormittag. Für die Nacht brauche ich eine selbstgebaute Laubhütte, bei diesen Temperaturen eine richtig gute und das braucht Zeit. An diesem Punkt weiß ich noch nicht, dass das Wetter nicht auf meiner Seite ist und mir eine schlimme Nacht bevorsteht.

Mein Ziel ist, diesen Februartag und die kommende Nacht in einem Wald in Greven in der Nähe von Münster zu verbringen. Und damit mein Ausflug in die Natur nicht zu einfach wird, habe ich mir einige Bedingungen gesetzt: Ich darf keinen Schlafsack benutzen und keine künstliche Unterlage. Ein Zelt sowieso nicht. Ich nehme nur die Kleidung, die ich sowieso trage, und eine Wolldecke mit. Warum das Ganze? Für die Erfahrung. Um zu spüren, wie es ist, wenn nichts da ist. "Bushcrafting" wird das genannt.
Bushcraft bedeutet, in der Natur klarzukommen - mit den Mitteln, die sie einem bietet. Ein Hobby, das seit der Corona-Zeit immer beliebter wird, sagt mir Schlummer. Es geht darum, draußen zu sein und auch eine Weile bleiben zu können. Während beim sogenannten "Survival" der Fokus eher darauf liegt, wieder nach Hause zu kommen.
11 Uhr
Ungefähr hundert Kraniche fliegen über uns. Die ersten Frühlingsboten. Was für ein Scherz. Wenige Minuten später fallen erste Tropfen auf mich herab, eine Mischung aus Schnee und Regen. Auch der Wind zieht an. Schlummer sagt mir, dass der aus Richtung Osten kommt. Ich habe mir vorher über das Thema Windrichtungen noch nie groß Gedanken gemacht. Warum auch? Sonst kann ich ja schnell reingehen, wenn es ungemütlich wird. Heute aber nicht.
Wir sammeln dutzende Stöcke. Kurze, lange, dicke, dünne. Und möglichst viele trockene Blätter. Laub zum Abdichten, gefühlt Millionen. Auch altes, vertrocknetes Schilf und Fichten-Zweige brauchen wir für mein "Bett". Alles stapeln wir hoch übereinander. "Damit der Wind nicht reinzieht und es nicht reinregnet, brauchen wir so viel Laub. Und das sorgt dafür, dass du deine Körperwärme in der Hütte halten kannst", sagt Schlummer. "Wichtig ist, dass du weit vom Boden wegkommst, damit später die Kälte nicht in den Körper zieht."
So entsteht Florian Dolles Unterschlupf für die Nacht. 00:24 Min.. Verfügbar bis 17.03.2027.
Auf der Suche nach dem Material für die Hütte durchkämmen wir den ganzen Wald. Sammeln dabei nicht nur Stöcke, sondern auch zig Schritte und Kilometer. Auf Knien das ganze Laub zusammenzusammeln ist Ausdauersport. Ich bin ganz schön geschafft. Aber wenigstens ist mir Dank der Bewegung angenehm warm, trotz der Kälte.
17.05 Uhr
Die Laubhütte steht endlich. Bauzeit: über fünf Stunden. Ich lege mich zur Probe. Gar nicht schlecht. Riecht zwar feucht und muffig, aber es ist weich, etwas federnd sogar. Nur meine Hütte ist etwas kleiner als erwartet. Ich passe kaum rein. Na ja, es wird nachher schon passen.
Es wird langsam dunkel. Schlummer und ich ziehen uns unter einen Pavillon zurück, der etwa 100 Meter von der Laubhütte entfernt aufgebaut ist. Ich wusste vorher nicht, dass es zum Feuermachen für manche Menschen nicht mehr braucht als ein winziges Holzbrett und einen Stock. Nach wenigen Minuten Reiben, Qualmen und geduldigem Pusten hat Schlummer ein Lagerfeuer für uns gemacht. Herrlich. Sein Beruf nennt sich Wildnispädagoge. Das ganze Jahr über kommen Menschen zu ihm nach Greven, um zu lernen, wie man in der Natur, nur ausgestattet mit dem Allernötigsten, zurechtkommt.
Schlummer gehört der Wald, in dem ich heute noch weitere 15 Stunden sein werde. Er wird in der Nähe bleiben für den Notfall. "Das Wort Survival finde ich immer schwierig", erklärt er. "Das hat viel von Kämpfen und Durchhalten. Ich will aber vermitteln, sich draußen wirklich zu Hause zu fühlen. Je mehr Erfahrung und Wissen du in der Natur hast, desto angenehmer wird es. Dann ist das was sehr Tolles."
Der 42-Jährige spricht über Kräuter, die hier auch im Winter wachsen, seine Beobachtungen vom Kauz oder Schwarzspecht, die gerade immer mal von sich hören lassen oder über den "Saftstrom" in bestimmten Bäumen, den man offenbar hören kann, wenn man sein Ohr daran hält. Mir wird klar, wie wenig ich eigentlich davon weiß, was in der Natur in meiner Heimat so alles vor sich geht. Obwohl das ja meine Heimat ist.
22.20 Uhr
Über dem Feuer köchelt eine Kürbissuppe mit ausgewählten heimischen Kräutern vor sich hin. Jetzt fehlt noch das letzte Element für meine Hütte, eine Tür, für die wir noch ein paar Äste brauchen. Es ist relativ hell, weil fast Vollmond ist. Aber die Luft wird kälter. Mir ist nicht mehr warm. Der Gedanke, dass ich gleich in der Hütte über und unter inzwischen wohl sehr nassen Laubblättern liegen werde, stresst mich ein wenig.
Ich versuche den Gedanken zur Seite zu schieben und mich auf die Tür zu konzentrieren. Das dichte Geflecht aus Ästen, Zweigen und Laub sieht langsam wirklich aus wie eine Tür. Fest zusammengebunden mit natürlichen Riemen aus Rinde einer jungen Esche. Das ging erstaunlich gut. Die Aufgabe und die Gespräche mit Schlummer lenken ab.
Schlummer lebt mit seiner Familie hier draußen am Wald in einem ganz normalen Haus - mit Wasser und Strom. So oft es geht, ist er aber in der Natur. Das, was ich heute mache, hat er vor ein paar Wochen nochmal extra geprobt. "Es ist quasi die Endstufe, die du dir vorgenommen hast. Eigentlich fängt man langsam an. Lässt von Mal zu Mal immer mehr Sachen weg", sagt er. "Die meisten sind überrascht, wie gut es ihnen geht, wenn man ganz reduziert Zeit verbringt. Das liegt ja eigentlich auch in unserer Natur."
2.45 Uhr
Bettzeit. Ich bin inzwischen allein und stehe vor meiner Laubhöhle. Es regnet Bindfäden. Vieles wird nass, meine Mütze, meine Jacke. Auch die Wolldecke, die ich von zu Hause mitgenommen habe. Ich gehe auf die Knie und robbe mich mit den Füßen zuerst rein. Aber der Eingang ist zu eng, ich komme kaum rein. Meine Arme müssen erstmal draußen bleiben, meine Jacke rutscht nach oben, ich spüre das nasse Laub. Ich greife nach der Tür und schiebe sie vor mich. Jetzt ist alles dunkel.
Eindrücke von der Nacht im Wald . 00:37 Min.. Verfügbar bis 17.03.2027.
Meine Arme zwänge ich irgendwie seitlich an meinen Körper. Ich liege wie in einem Sarkophag, der zwei, drei Nummern zu klein ist. Die Wolldecke kann ich deswegen nicht um mich herumwickeln. Egal jetzt. Ich bin müde, es muss auch so gehen.
4.13 Uhr
Ich bin tatsächlich irgendwann eingeschlafen. Und habe geträumt, dass ich in meinem Bett zu Hause liege und dort wiederum träume, dass ich in einer nassen, ekligen Laubhütte liege. Auf einmal realisiere ich, dass es genau umgekehrt ist. Nicht schön. Mir ist nicht richtig kalt, aber jetzt auch nicht warm. Ich döse vor mich hin. Immerhin: Die Ratten, Dachse oder Mäuse finden das Wetter wohl zu eklig und haben meinen Unterschlupf noch nicht ausfindig gemacht.
Diesen Selbstversuch hat Reporter Luca Peters gewagt:
5 Uhr
Ich bin hellwach. Mein Oberkörper ist einigermaßen warm und trocken, aber es gibt zwei Probleme. Meine beiden Knie sind kalt und weil mein Kopf nicht ganz in die Hütte passt, tropft es alle paar Sekunden auf ihn. Ich bin angespannt und versuche, weiter in die Hütte reinzurutschen. Irgendwie schaffe ich es doch noch, an die Wolldecke zu kommen und kann meine Knie dagegen drücken. Aber ob ich es bis zum Tagesanbruch aushalte? Ich denke an Abbruch, doch dann müsste ich zurück in den Regen. Keine wirkliche Alternative. Langsam merke ich, wie mir dank der Wolldecke an den Beinen ein wenig wärmer wird und schlafe ein.
8.05 Uhr
Durch ein winziges Loch kommt ein bisschen Tageslicht in meine Hütte und trifft mich im Gesicht. Ich kann es erst gar nicht glauben. Habe ich es tatsächlich geschafft? Ich drücke die Tür weg von mir. Am Abend hatte ich mich für 8 Uhr mit Schlummer verabredet. Und da steht er wirklich und lächelt stolz. Ich habe echt durchgehalten. In meinem Kopf explodiert die Vorstellung der Gestaltung meines Vormittags: Tee trinken, duschen, Sofa, auch Fernsehen ist möglich. Pure Vorfreude.
So nimmt Dominik Schlummer Florian Dolle nach seiner Nacht im Wald in Empfang. 00:33 Min.. Verfügbar bis 17.03.2027.
"Ich habe dir gesagt, dass das krass ist für den Anfang. Das hast du jetzt selber gemerkt", sagt Schlummer. "In ein paar Wochen ist Frühling, es wird warm und grün. Dann komm nochmal wieder. Das musst du erleben." Ich glaube ihm das, auch wenn ich jetzt nur noch ins Warme möchte. Die letzten 24 Stunden waren hart und haben mich an meine Grenzen gebracht, doch ich nehme so viel mit. Das Gefühl für die Natur, die Stille, über sich hinauswachsen. Vielleicht also bis bald, es ist ja niemals weit bis in den Wald vor der eigenen Haustür.
Über dieses Thema haben wir auch am 14.02.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.