Mit den Kanalreinigern unterwegs in der Kölner Unterwelt

Köln | Unterwegs

Stand: 12.12.2024, 07:12 Uhr

Ihr Job bleibt meist im Dunkeln: Kanalreiniger sorgen dafür, dass es auch nach dem Toilettengang richtig flutscht. Ein Besuch im Kanallabyrinth in Köln zwischen Dreck, Enge und Ekel. Und mit der Frage: Wer macht diesen Job eigentlich?

Von Julian Piepkorn

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Braune Brühe unter den Straßen von Köln

Miles Rüdiger und Manfred Klein seilen sich nacheinander in einen schmalen Schacht ab. Unten empfängt sie ein enger Seitengang, der nach etwa drei Metern in den langen Kanalschacht führt. Es riecht modrig. Den Boden verdeckt ein schwarzer Matschteppich aus Schlick und Fäkalien. Bis auf die Kopflampen der beiden Kanalreiniger ist es stockfinster. Ein Ende des schnurgeraden Kanals ist nicht zu sehen.

Die braune Brühe plätschert ein paar Stunden später zur Mittagszeit aber nur aus der mobilen Kaffeemaschine. Miles Rüdiger braucht eine Pause, die gönnt er sich oben im Hellen in seinem Dienstwagen. Schon seit sechs Uhr morgens ist der 26-Jährige zusammen mit seinen vier Kollegen von der Kanalreinigung in der Unterwelt in Köln im Einsatz.

Die Kanalisation ist alles andere als Hollyswoods Gangster vorbehalten. Jeder ist ein Teil davon: Wenn die Toilettenspülung gedrückt wird oder das Geschirr abgewaschen, dann landet der Dreck in der Kanalisation. Miles Rüdiger klettert seit sieben Jahren dahin, wo es gewaltig stinkt. Der 26-Jährige ist ausgebildeter Kanalreiniger.

Ekelt sich Miles Rüdiger vor Hinterlassenschaften? 00:33 Min. Verfügbar bis 12.12.2026

Während er an seinem Kaffee nippt, erzählt er von der Stadt unter der Stadt. 2400 Kilometer Kanäle, Rohre und Tunnel schlängeln sich unter den Straßen von Köln. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Netz gebaut, um die Stadt sauber zu halten. Doch die Fäkalien der Millionenstadt setzen sich in den Kanälen fest. Immer wieder muss deshalb jeder Meter des Kanalnetzes gereinigt werden.

Gelost, wer runtergeht

Ein Job für Rüdiger und seine Kollegen bei den Kölner Stadtentwässerungsbetrieben. Die Pause ist vorbei. Der schlaksige Kanalreiniger zieht sich seine orangene Warnweste über. Er kramt ein langes Seil mit einer weißen Plastikkugel an der Spitze hervor. Denn einfach wieder in den Gullyschacht hinabsteigen geht nicht.

"Wir messen, ob es unten im Schacht giftige Gase gibt", sagt er und beugt sich über den dampfenden Kanalschacht. "Die Dämpfe sollte man besser nicht einatmen", sagt er und lacht. "Sonst gibt es am nächsten Tag Bauchschmerzen."

Beim Abstieg in die Kanalisation ist Vorsicht geboten | Bildquelle: WDR/Julian Piepkorn

Das Messgerät piept: "Wir können einsteigen." Zusammen mit seinem Kollegen Manfred Klein streift sich der 26-Jährige einen weißen Schutzanzug und eine große Anglerhose über. Ihr Kollege Martin darf heute oben bleiben und koordinieren. Zusammen mit zwei Technikern. So haben sie es am Morgen ausgelost.

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Abstieg in die Unterwelt

Tatsächlich riecht nicht Kot, sondern Fett in der Kanalisation am schlimmsten | Bildquelle: WDR/Julian Piepkorn

"Martin, gib mir mal den Sauger", ruft Miles Rüdiger nach oben. Seine Stimme hallt in dem etwa zwei Meter breiten und hohen Schacht. Funkgeräte haben sie nicht. "Ich ekel' mich hier nicht mehr", sagt der 26-Jährige, während er durch die braune Brühe watet. "Wenn jemand oben vor dem Kanaldeckel die Nase rümpft, stehe ich daneben und kann lächeln." Klar ist er auch schon mal ins Abwasser gefallen. Taufe nennen sie das.

Kollege Martin lässt von oben ein metallenes Rohr herunter. Die beiden Kanalreiniger wuchten es in die Mitte des Abwasserschachtes. Der Reinigungsprozess funktioniert wie ein riesiger Staubsauger. Obwohl Wasser durch den Kanal fließt, befindet sich unter der Oberfläche ein etwa dreißig Zentimeter dicker Schlickteppich. Fäkalien, Feuchttücher, Fett, Haare - all das sammelt sich unten mittig in der Kanalsohle ab. Diese Schlickschicht in der Kanalisation von Köln wollen sie heute absaugen. Eine Hochdruckdüse spritzt zudem frisches Wasser in den Kanal.

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Willkommen im Fundbüro

Miles Rüdiger und seine Kollegen sehen, was eigentlich längst verschwunden sein sollte. "Wir haben hier eigentlich schon fast alles gefunden", sagt der 26-Jährige. Geld, Gold, Fahrräder, E-Roller, Einkaufswagen, Zigarettenautomaten. "Die Leute geben sich manchmal mehr Mühe, ihren Müll hier in die Kanalisation zu schmeißen, als ihn einfach auf die Müllkippe zu bringen", sagt Kollege Klein und schüttelt mit dem Kopf.

Welche Gegenstände finden Miles Rüdiger und seine Kollegen bei der Arbeit? 00:39 Min. Verfügbar bis 12.12.2026

Besonders schlimm seien Feuchttücher und Fett. Regelmäßig verstopfen so die Hausanschlüsse. "Wir können aber nicht nachweisen, von wem der Dreck ist", sagt Rüdiger. "Aber besonders die Fettberge stinken bestialisch." Nachdem der Sauger festgezurrt und die Spritzdüse ausgelegt ist, kraxeln die beiden Kanalreiniger wieder ans Tageslicht. Erstmal raus aus den dreckigen Klamotten.

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"Geschissen wird immer"

Zehn Stunden dauert eine Schicht, an vier Tagen pro Woche stehen sie bis zu den Knien im Abwasser. Fäkalien, Dreck, Ekel für 3200 Euro brutto Einstiegsgehalt. Auch die Kanalreiniger kämpfen wie viele andere Jobs mit dem Fachkräftemangel.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs bei den Kanalreinigern aus? 00:19 Min. Verfügbar bis 12.12.2026

Etliche Kollegen gehen bald in Rente, wenn sie nicht vorher schon den körperlich anspruchsvollen Job gewechselt haben. Rüdiger hingegen denkt nicht ans Aufgeben: "Ich bin hier mein eigener Chef. Wir können unsere Arbeit selbst einteilen, Pausen machen und das alles draußen in der Natur."

Wenn der 26-Jährige Freunden von seiner Arbeit erzählt, gebe es viele Vorurteile: "Einige denken, ich würde mit der bloßen Hand den Dreck wegmachen müssen. Das ist natürlich Unsinn. Wir haben unsere Schutzausrüstung und Hygienevorschriften."

Sein Vater habe ihn mal gefragt, was ihn in dem Job hält. Miles lächelt kurz. "Ist doch klar: Geschissen wird immer." Kollege Martin hat währenddessen den großen Sauger angeschmissen. Die wirklich dreckige Arbeit verrichtet heute die Maschine. Gleich werden sie wieder herunterklettern und das Saugrohr herausholen. Dann geht es in den Feierabend und endlich unter die Dusche.

Über das Thema haben wir am 23.07.2024 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Köln, 19.30 Uhr.