Rufbus "Holibri" sorgt für mehr Mobilität im ländlichen Höxter

Höxter | Unterwegs

Stand: 25.06.2023, 14:22 Uhr

Wer auf dem Land von A nach B kommen möchte, braucht ein eigenes Auto. Stimmt das wirklich? In Höxter in Ostwestfalen kann seit anderthalb Jahren jeder einen günstigen Rufbus bestellen, fast vor die Haustür. Zukunftsmodell oder Luxusmobilität? Unser Reporter ist mitgefahren.

Von Steven Hartig

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14.05 Uhr

Früher saß Doreen Rausche oft allein im großen Linienbus. Jetzt, zu ihrem Feierabend, steigt sie mit einem breiten Grinsen in einen Elektro-Van ein, der nur für sie zum Schloss Corvey gekommen ist. Jeden Werktag lässt sie sich so zur Arbeit und nach Hause chauffieren.

Fahrgästin Doreen Rausche im "Holibri" | Bildquelle: WDR/Steven Hartig

Für Rausche, die in Corvey an der Kasse arbeitet, "ein echter Glücksfall." Seit einer Operation an ihrer Schulter kann sie nicht mehr Fahrradfahren. "Mit dem Linienbus musste ich am Bahnhof umsteigen, eine halbe Stunde warten und dann weiterfahren. Und die Linie nach Corvey fiel auch immer mal aus. Das war für mich sehr umständlich." Der "Holibri" bedeutet für Rausche das Gegenteil.

"Taxifahren" für 2,70 Euro

On-Demand-Verkehr, so nennen das die Fachleute – also Mobilität auf Bestellung. "Holibri" ist eines von 15 Verkehrsprojekten, die die NRW-Landesregierung seit Herbst 2020 fördert. Seitdem können sich Höxteraner einen von vier Rufbussen bestellen, per App oder Telefon. Das Angebot gleicht einem Taxi, denn über das Stadtgebiet verteilt gibt es 1.300 Haltepunkte. Laut dem Nahverkehrsverbund Paderborn/Höxter, der den "Holibri" betreibt, haben es Fahrgäste nie weiter als 200 Meter zum nächsten Haltepunkt. Vier wenig benutzte Buslinien innerhalb Höxters wurden dafür eingestampft, darunter auch Rausches Bus zur Arbeit.

Insbesondere auf dem Land, wo viele Busse nicht mehr als warme Luft umherfahren, gilt On-Demand-Verkehr als Mobilität der Zukunft. Doch Angebote wie "Holibri" sind teuer, in den Augen mancher Kritiker gar eine Luxusmobilität auf Steuerkosten. Fahrgäste zahlen nach dem regulären Westfalen-Tarif, möglich gemacht durch anderthalb Millionen Euro der Landesregierung. Doch wie gut ist dieses Geld investiert?

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14.38 Uhr

Keine Sparkasse, kein Bäcker, kein Bus – nur der "Holibri"

Drei Fahrgäste später. Bahnhof, Siedlung, Bahnhof. Zwischenzeitlich wird es eng auf den Sitzen, doch die meisten haben nur Gutes über das neue Angebot zu erzählen. Pünktlich seien die Busse. Naja, meistens pünktlich. Die Fahrerinnen und Fahrer? Freundlich, immer. An diesem Dienstagnachmittag chauffiert sie Britt Lewantoski, 46 Jahre, die ein verschmitztes Grinsen aufsetzt, als Natalja einsteigt. "Soooo, jetzt haben wir Zeit, jetzt können wir plaudern bis zum Umfallen. Jetzt fahren wir erstmal nach Bosseborn", sagt Lewantoski und drückt auf das Gaspedal.

"Holibri"-Fahrerin Lewantoski über ihren Job 00:14 Min. Verfügbar bis 23.05.2025

Die kleinste Ortschaft von Höxter liegt abgelegen in 300 Metern Höhe, mit Blick auf das Weserbergland. Für den "Holibri" heißt das: 15 Minuten entlang an Rapsfeldern, Wiesen und Wald fahren, diesmal nur für Natalja. "Bosseborn ist Dorf-Dorf", sagt die junge Frau, die ihren Nachnamen nicht nennen mag. "Hier gibt es keine Sparkasse, keinen Bäcker, nix. Nicht mal einen Bus gibt es jetzt mehr. Nur die Haltestelle, die steht noch." Auch die Linie, die Bosseborn mit der Kernstadt verbunden hat, wurde für das "Holibri"-Projekt abgeschafft.

Viel Fläche, wenig Menschen

"Als wir gemerkt haben, dass in manchen Bussen vergleichsweise wenige Fahrgäste sitzen, war uns klar: Dafür könnte auch ein Van reichen", sagt Henning Kellermann, Innovationsmanager beim Nahverkehrsverbund Paderborn/Höxter. "Der Van kann mehr Fahrten in einem Zeitraum abwickeln als der Bus." Dieses Konzept kommt gut an. Fast jeder dritte Höxteraner hat mittlerweile die App installiert, über 5.000 Fahrgäste nutzen "Holibri" pro Monat. Die dafür abgeschafften Buslinien brachten es laut Kellermann nur auf die Hälfte.

Wer verstehen will, wie schwierig ein guter Nahverkehr hier zu organisieren ist, muss verstehen, wie ländlich Höxter wirklich ist. Dafür hilft ein Vergleich: Das gesamte Stadtgebiet von Höxter mit seinen zwölf Ortschaften ist größer als Bonn. In Höxter wohnen aber nur ein Zehntel an Menschen – und Kühe und Schafe nehmen bekanntlich nicht den Bus.

3

14.52 Uhr

Der Algorithmus, der über die Fahrten herrscht

Aber Natalja nimmt den Bus, auch wenn er jetzt "Holibri" heißt. Dass sie damit nicht die Einzige aus Bosseborn ist, macht dem Algorithmus, der die Fahrten plant, zu schaffen. "Manchmal standen wir mit drei Autos hier oben in Bosseborn, wegen drei Mann", sagt Fahrerin Lewantoski, "Dann sind wir im Konvoi wieder runtergefahren. Da kommst du dir wirklich veräppelt vor."

Das sogenannte Ridepooling klappe noch nicht perfekt, gibt Kellermann zu. Der Algorithmus, so die Idee, soll Fahrten klug zusammenlegen. "Anstatt nur geradeaus über die Hauptstraße, fährt er Schlenker durch ein Wohngebiet und sammelt die Fahrgäste ein." Beim Ortsteil Bosseborn, für den ein Schlenker nicht genügt, kommt das System an seine Grenzen. Dennoch: Drei von vier Fahrten finden laut Kellermann mindestens zu zweit statt, Tendenz steigend.

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15.10 Uhr

Zurück in der Siedlung. Ein Mann hat eine Fahrt gebucht, doch an der Haltestelle steht niemand. Lewantoski nimmt ihr Handy und macht ein Foto. "Ich dokumentiere, dass wir hier waren. Sie glauben gar nicht, was uns die Leute erzählen." Eine Minute muss sie warten. Dann: Abfahrt, ohne neuen Mitfahrer.

Schule, Bahnhof, Arzttermin

Den Rest der gemeinsamen Fahrt tauchen alle Fahrgäste auf. Eine Mutter, die mit ihrer sechsjährigen Tochter nicht 25 Minuten von der Schule nach Hause laufen möchte. Ein Rentner mit Arzttermin, dessen Auto kaputt gegangen ist. Eine Frau mit Gehbehinderung, die sich von der Arbeit nach Hause fahren lässt – und vehement mehr "Holibri"-Autos fordert. Eine Frau im Rollstuhl, die zum Hörakustiker in die Innenstadt möchte und sonst einen Krankentransport teuer hätte bezahlen müssen.

Der Bahnhof, das Schulzentrum und die beiden Kliniken, so lauten die beliebtesten Ziele aller 80.000 Fahrgäste bisher.

Tricks und Schummeleien

Doch manche Fahrgäste offenbaren auch eine andere Seite, das zeigen Geschichten über Tricks und Schummeleien. "Die Fahrgäste sind kreativ", sagt Kellermann. "Holibris" sollen zum Beispiel nicht parallel zu Buslinien fahren. Weil manche Fahrgäste aber den Komfort des gemütlichen Vans dem lauten Bus vorziehen, buchten sie absichtlich fünf Minuten nach Abfahrt der Linienbusse.

Noch kurioser: Manche Fahrgäste würden bestimmte Buchungszeiten meiden, um nicht mit anderen Passagieren im "Holibri" sitzen zu müssen – obwohl diese zur gleichen Zeit vom gleichen Ort abfahren möchten. Mit nachhaltiger Mobilität hat das wenig zu tun.

Wie teuer der "Holibri" ist

"Das ist ein Feldversuch, um Erfahrungen mit On-Demand-Mobilität zu sammeln, die ganz NRW weiterhelfen können", sagt Kellermann. "Insbesondere zur Frage, inwiefern dadurch bisherige Buslinien ersetzt werden können." Dass einige den "Holibri" trotzdem für Luxus halten, kann Kellermann verstehen. Er spricht lieber von Komfort. "Die Gesamtkosten sind höher als beim normalen Busverkehr, aber die Kosten pro Fahrgast sind geringer, weil wir doppelt so viele Menschen befördern."

5

16.30 Uhr

Über diesen Bildschirm kommen neue Buchungen im "Holibri" an | Bildquelle: WDR/Steven Hartig

Kurze Pause für Fahrerin Lewantoski. Nachdem sie den Reporter am Startpunkt abgesetzt hat, nimmt sie eine Zigarette aus der Tasche. Eine Minute später hat sie aufgeraucht. Auf dem großen Bildschirm, der ihren Takt diktiert, rechts neben ihrem Fahrersitz, blinkt eine neue Buchung.