Zum ersten Mal soll Georg Nekrylov im Rahmen seiner Ausbildung zum Busfahrer eine Haltestelle in Remscheid anfahren. Es ist für den 46-Jährigen die dritte Fahrstunde. Neben ihm sitzt Fahrlehrer Daniel von Seelen und gibt Tipps. Die Schwierigkeit sei, über den Radweg zu fahren und geschmeidig dicht neben der Bordsteinkante zu halten, damit die Passagiere gut einsteigen könnten. Mit einem zwölf Meter langen Linienbus ist das gar nicht so einfach, aber Nekrylov schafft die Übung fehlerlos.
Nekrylov und seine Familie gehören zu den über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf das Land in Deutschland Schutz gesucht haben. Dabei hat nach Angaben des Ausländerzentralregisters das größte Bundesland NRW mehr als 250.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, so viele wie kein anderes Bundesland.
Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland fliehen, gelten sofort als schutzberechtigt. Deshalb erhalten sie von Anfang an Bürgergeld oder Sozialhilfe und nicht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das Bürgergeld hat Vorteile: Die Bezieher können zum Beispiel an Sprach- und Integrationskursen teilnehmen.
Flucht nach Deutschland
Nachdem Russland 2022 die gesamte Ukraine angriff, flüchtete Georg Nekrylovs Familie nach Deutschland, er kam nach. Sie ließen sich in Solingen nieder mit dem Ziel, schnell wieder zu arbeiten. Die Nekrylovs lebten von ihren Ersparnissen, verzichteten auf Bürgergeld und lernten die deutsche Sprache. Ehefrau Marina Nekrylov gelang es bald, einen Job als Vertretungslehrerin in einer Gesamtschule in Solingen zu bekommen.
Staatsanwalt Georg Nekrylov hingegen hatte es schwer. Ihm war klar, dass er seinen Beruf hier nicht ausüben können wird, da die Rechtssysteme zu unterschiedlich sind. 70 Absagen auf seine Bewerbungen sammelte er und jobbte schließlich als Kurierfahrer. Erst bei den Stadtwerken Remscheid hatte seine Bewerbung Erfolg, denn dort hieß es damals: "Busfahrer gesucht".
Ein Staatsanwalt als Busfahrer-Azubi
Nekrylov ist ein ehrgeiziger Mensch, was auch im Bewerbungsgespräch aufgefallen ist. "Einen Ex-Staatsanwalt hatten wir als Bewerber noch nie. Das ist ungewöhnlich", sagt Christian Johannsen, Betriebshofleiter der Stadtwerke Remscheid, "aber bei der heutigen Arbeitsmarktlage in Deutschland, hab ich gedacht: Den schauen wir uns an."
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Nekrylovs Pfund: Er bringt mehr als 20 Jahre Berufserfahrung mit und hatte als leitender Staatsanwalt die Verantwortung für 600 Mitarbeiter in Kiew. Nekrylov glaubt, diese Fähigkeiten auch als Busfahrer nutzen zu können. "Ich kann gut mit Menschen umgehen, Konflikte lösen und fahre seit langem Auto." Auch die Stadtwerke Remscheid erkannten offensichtlich sein Potenzial und ließen ihn schon unmittelbar nach dem Bewerbungsgespräch auf dem Betriebshofgelände sein Talent als Busfahrer unter Beweis stellen.
Fahrlehrer Daniel von Seelen hält viel von seinem Azubi. "Er ist ein ruhiger Fahrer und gibt sich Mühe, vorausschauend zu fahren." Nekrylov will im Sommer mit der Ausbildung fertig sein. Auch, um etwas zurückzugeben: "Ich möchte für die Deutschen nützlich sein", sagt er. Die erste Prüfung mit 90 Theoriestunden hat er schon mit der Höchstpunktzahl geschafft. Den Stoff lernte er mithilfe einer App, die alles ins Ukrainische übersetzt.
Georg Nekrylov hat sein neues Leben als Busfahrer akzeptiert: "Staatsanwalt, das war mein letztes Leben, jetzt habe ich ein neues Leben in Deutschland."
Über dieses Thema haben wir am 15.01.2025 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr