Nieselregen, zehn Grad, alles grau in grau. Eine Schönwetter-Fahrradtour wird das nicht. Hubertus Becker zieht den Reißverschluss seiner Jacke bis oben hin. Sie ist textmarkergelb: "Meine Lebensversicherung", sagt der 52-Jährige, schiebt sich seinen Fahrradhelm auf den Kopf und setzt sich auf sein E-Bike. Es ist das einzige Fahrzeug, das er noch besitzt.
Fahrräder sind beliebt: 2023 wurden in Deutschland 2,1 Millionen E-Bikes und 1,9 Millionen herkömmliche Fahrräder verkauft, heißt es vom Zweirad-Industrie-Verband. Auch in NRW geht der Trend klar zum E-Bike: 2022 hatte jeder fünfte Haushalt in NRW mindestens ein Fahrrad mit Elektromotor. Drei Jahre zuvor war es nur jeder zehnte Haushalt, sagen die Landesstatistiker. Ob und wie oft diese Fahrräder allerdings das Auto ersetzen, ist fraglich. Laut Kraftfahrt-Bundesamt stieg auch die Zahl der Pkw-Neuzulassungen 2023 in NRW um 3,4 Prozent auf rund 576.000. Insgesamt gibt es in NRW damit rund 10,6 Millionen Pkw.
23 Kilometer hin, 23 Kilometer zurück
Hubertus Becker wohnt in Sundern-Endorf, einem hübschen Dorf mit gut 1858 Einwohnern. Wie in vielen kleinen Orten auf dem Land gibt es hier zwar noch eine Bäckerei und eine Fleischerei, aber keinen Supermarkt. Um einzukaufen, müssen die Menschen in die sechs Kilometer entfernte Kleinstadt Sundern fahren.
Ähnlich sieht es bei den meisten mit der Arbeitsstelle aus. Hubertus Becker arbeitet in Meschede. Das heißt, er fährt jeden Tag mit dem E-Bike dorthin: 23 Kilometer am Morgen hin und 23 Kilometer am Abend zurück. "Ich fahre nur bei extremer Kälte und Glatteis nicht", sagt er, "dann nehme ich den Bus. Ich habe das Deutschlandticket." Sein Auto hat er vom einem Tag auf den anderen abgeschafft.
Kurz nach dem Start an seiner Wohnung in Endorf muss Hubertus Becker auf seinem E-Bike ordentlich strampeln: Es geht heftig bergauf, Sauerland halt. Trotz Akku-Unterstützung kommt der Kreislauf in Schwung: "Spätestens hier bin ich wach und warm."
Total entspannt zur Arbeit
Nachdem er sein Auto verkauft hatte, lieh er sich zuerst ein E-Bike: "Das war nicht so qualitativ hochwertig. Da habe ich 75 Minuten für eine Strecke nach Meschede gebraucht. Da kamen schon Zweifel." Mit dem eigenen E-Bike sind diese Zweifel allerdings verflogen. Heute braucht Hubertus Becker für die Strecke zur Arbeit 52 Minuten. "Mit dem Auto war ich früher 30 Minuten unterwegs." Aber er fühlt sich besser: "Früher, wenn ich an der Arbeit ankam oder auch zuhause, dann war ich kaputt. Seit ich Fahrrad fahre, ist das anders."
Die gut 20 Minuten zusätzliche Fahrzeit hält er für ein gutes Investment. "Nach der Fahrt bin ich total entspannt", sagt er und zeigt auf die Umgebung: Die Strecke zur Arbeit führt zum Teil an der Straße entlang, aber auch über den Ruhrtalweg und durch ein Naturschutzgebiet. Als Leiter der Volkshochschule des Hochsauerlandkreises sitzt Hubertus Becker meist stundenlang am Schreibtisch. Auch da sind die Fahrten mit dem E-Bike ein guter Ausgleich.
Schritt für Schritt verzichten
Den Einkauf erledigt Hubertus Becker in der Regel ebenfalls mit dem Fahrrad. Rechts und links hat er an seinem Fahrrad große Satteltaschen angebracht, auf dem Rücken einen Rucksack. "Das sind 40 Liter auf jeder Seite, absolut wasserdicht, selbst, wenn es in Strömen regnet, kommt da nichts rein und das funktioniert. Das ist mein Kofferraum." Nur wenn er große Gegenstände transportieren muss, leiht er sich ein Auto.
- Zum Beitrag: "Car-Sharing: Zehn Nachbarn, zwei E-Autos - Klappt das?"
Bei Hubertus Becker hat der Umstieg vom Auto aufs Fahrrad ohne Probleme geklappt, obwohl er auf dem Land lebt: "Das geht. Aber vielleicht steigt man nicht sofort komplett um, sondern nimmt das Rad am Anfang nur tageweise. Und dann guckt man einfach, wie es läuft."
Über das Thema berichten wir am 08.05.2024 auch im WDR-Fernsehen: Lokalzeit Südwestfalen, 19.30 Uhr.