"Schweine sind süß und intelligent, aber schmecken halt auch"

Steinfurt | Landwirtschaft

Stand: 09.12.2024, 12:32 Uhr

Ein Bauer, dessen Schweine länger leben als die in der industriellen Schweinehaltung, denen er sogar Namen gibt und die so wenige sind, dass sie sich auf seiner riesigen Wiese im Münsterland austoben können. Geld verdienen muss dieser Bauer trotzdem. Geht das? Quereinsteiger Tim Spitzer will sich von der Fleischindustrie abheben und wünscht sich einen anderen Blick auf unser Fleisch. Ein Tag auf seinem Hof in Lienen.

Von Florian Dolle

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6.30 Uhr

Die Uhrzeit jedenfalls ist die gleiche, wie bei den Kollegen in der konventionellen Schweinemast. Tim Spitzer, Mitte 30, ein auch im Morgengrauen hellwacher Mann, füllt Futter in zwei lange Tröge. Seine dreißig "Iberico" und "Bentheimer" haben davon Wind bekommen. Jetzt spurten sie quer über die matschige Wiese. "Viele wissen das gar nicht, aber die kommen auf über 30 Kilometer pro Stunde, wenn sie es eilig haben. Besonders Isa hier, von der willst du nicht umgematcht werden." Isa schmatzt gerade gemütlich vor sich hin.

Tim Spitzers Schweine sollen beim ihm ein glückliches Leben führen | Bildquelle: WDR / Florian Dolle

Das mit der Uhrzeit soll es auch schon gewesen sein mit den Gemeinsamkeiten zu jener Schweinehaltung, die Spitzer kritisiert. Er, der in seine Sätze am liebsten eigentlich was Lustiges einbaut, wird ernst während er einen Kontrollgang über die "Schweinewiese" macht: "Fleisch und Wurst sind Ramschware geworden, teilweise wird ja selbst Hundefutter teurer angeboten. Das Tier hinter dem Lebensmittel sieht niemand im Supermarkt. Deswegen juckt es auch keinen, wie es denen ging, als die noch gelebt haben. Und die meisten Schweine leben nicht gut." Spitzer selbst probiert es mit einer anderen Philosophie.

Wer zu seinem Hof im Tecklenburger Land kommt, um Schweinefleisch zu kaufen, sieht eben jene Borstentiere sportlich und fröhlich über die angrenzende Wiese laufen - die wohl bald zur Bratwurst verarbeitet werden. Genau das ist Spitzers Absicht: "Die Tiere haben hier ein schönes Leben, sie können all ihren Bedürfnissen nachgehen. Dann darf ich sie auch irgendwann schlachten lassen, finde ich. Was ich mir wünschen würde, wäre, dass jeder einmal dem Tier vorher ehrlich in die Augen schaut. Und sagen kann, dass es okay ist, wenn wir es essen. Es geht um Wertschätzung. Vielleicht schaffe ich so meinen Beitrag zu der Sache.

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12.37 Uhr

Gegen Mittag hat Spitzer die Schweine versorgt, schon einen Teil seines Weidezauns repariert und endlich auch selber mal was gegessen. Einen Bierknacker aus eigener Herstellung. Ein langer Tag wird es heute: "Gleich kommen neue Schweinepaten, dann will ich noch beim Nachbarhof schnell paar Zutaten holen fürs Grillevent mit der Firma nachher um 6 Uhr. Dann kommen die. Vorher noch mal ganz kurz Ausruhen, Durchatmen wäre nicht schlecht." Volles Programm. Wie jeden Tag. 

Vom Fleischverkauf allein käme Spitzer gerade nicht über die Runden, sagt er. Also muss er sich immer wieder was Neues einfallen lassen. Kevin und Katja, ein junges Paar aus Rheine, stehen jetzt am Zaun der Schweinewiese. Spitzer klettert darüber: "So, wo ist Schreihals? Welches Ferkel war das? Das hier?" Spitzer hat eine Markierungs-Spraydose in der Hand und nähert sich einer kleinen Gruppe Ferkel. Katja und Kevin, die online auf die Möglichkeit mit der Schweinepatenschaft aufmerksam wurden, beobachten die Szenerie. Spitzer will "Schreihals" markieren, aber der rennt ständig weg.

Für 160 Euro - Tierarztkosten und Futter inklusive - können Katja und Kevin ihr Ferkel immer besuchen kommen. Und später gegebenenfalls schlachten lassen und dann auch essen. "Komm Schweini, Schweini…!" Spitzer schleicht sich jetzt mit der Spraydose noch näher ran an das achtwöchige Ferkel. Denn jetzt steht es endlich mal allein rum, frisst gerade was und hält vielleicht eine Sekunde still.

Schweinepatenschaften finanzieren Tim Spitzers Hof mit - vor allem über den Winter 00:43 Min. Verfügbar bis 09.12.2026

"Zack! Jawoll!" Getroffen. Auf dem noch kleinen Bauch von Schreihals ist jetzt ein blauer Punkt. Später bekommt er dann noch eine Ohrmarke mit. Die neuen Paten freuen sich. Und Spitzer sich auch: "Ich musste mir was überlegen, die laufenden Kosten zu decken. Das Futter ist so teuer geworden zuletzt. Deswegen die Schweinepatenschaften, so bleibe ich über den Winter, hoffe ich, flüssig."

Schreihals wird jetzt mindestens zwölf Monate auf Spitzers Hof in Lienen (am Leben) bleiben. Auf Wunsch sogar bis zu seinem natürlichen Lebensende. Das ist alles Teil von Spitzers Philosophie, glückliche Schweine zu züchten und zu halten. Auf Antibiotika, Wachstumsbeschleuniger und andere Zusätze verzichtet er. Und er will nicht so viele Schweine haben. Nicht über tausend, wie die Schweinebauer-Kollegen in NRW im Durchschnitt. Nur wenige, höchstens fünfzig. Spitzer muss daher mehr Geld verlangen für sein Fleisch.

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15 Uhr

Spitzer sitzt auf seinem Fahrrad. Er ist auf dem Weg zu den Nachbarn, die Besorgungen für gleich holen. Eine kleine Firma hat sich angekündigt für einen Betriebsausflug zu "Tim's Hofladen". Da bietet Spitzer "Iberico" und "Bentheimer" Bratwürste und Steaks an, Kachelfleisch, "Beef Jerky" oder Magerbäckchen. Und etwas Käse und Gemüse von den Nachbarn noch. Spezialitäten vom Schwein zu grillen und traditionelle Zubereitungen hat er sich angeeignet in den letzten sechs Jahren. Er hat sogar noch eine Metzgerausbildung gemacht. Vorher hatte er mit Schweinen nichts zu tun. 

Neben der Direktvermarktung seines Schweinefleischs veranstaltet Tim Spitzer auch Grillevents | Bildquelle: WDR / Florian Dolle

Er war jahrelang gefragter Hochzeitsplaner in einem Luxushotel in der Gegend. Dann kam Corona und Spitzer zufällig zu diesem Hof. Dann das erste Schwein. Und nach und nach entwickelte er seine eigene Philosophie vom Schweinehalten und Schweineessen, schmiss seinen alten Job und ist jetzt Schweinebauer. 

Es sind vom Aussterben bedrohte Rassen, die bei ihm leben. Deren Fleisch als Delikatesse gilt. Eine Bratwurst kostet hier schon mal 4 Euro. "Mein Fleisch ist teuer, dafür aber auch geiler. Du schmeckst es, dass es denen gut ging hier. Es muss wieder mehr zum Genuss werden. Früher war es ja auch so: Fleisch war immer teuer. Dann gab es halt fünf Mal die Woche nur Gemüse", sagt Spitzer, als er schon wieder auf dem Rückweg ist. Länger mit den Nachbarn plaudern, dafür ist keine Zeit. 

Zuletzt haben weniger Leute bei Spitzer Fleisch eingekauft. Seit dem Ukraine-Krieg und der Inflation sitzt das Geld nicht mehr so locker, glaubt er. Seitdem versucht es Spitzer häufiger mit solchen Grillevents, im Dezember sogar mit einem eigenen Weihnachtsmarkt auf seinem Hof. 

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17.50 Uhr

Die Sache mit dem kurz Ausruhen hat sich in diesem Moment erledigt. Die Ersten vom Betriebsausflug tauchen etwas zu früh auf. Begrüßung, gute Laune, ein erstes Getränk, dann die Überraschung für den einen oder anderen Sneaker-Träger aus der IT-Abteilung: Ein kurzer Besuch auf der Schweinewiese als erste Station des Abends. 

Spitzer führt die Gruppe aufs fremde Terrain. "Komm Schweini-Schweini." Und Isa kommt. Die Sau steht vor ihm, Streicheleinheit: Spitzer massiert kräftig durch ihre staubigen Borsten und erklärt: "Die kann einen Trick! Komm, leg dich mal hin, leg dich hin." Sie versteht offenbar, knickt die kurzen Beinchen ein, sitzt und liegt schließlich. Spitzer und zwei aus der Gruppe streicheln den Bauch. "Guckt mal, das Gesicht, wie ein Trancezustand ist das, in den sie kommt. Und gleich pennt die weg." Und tatsächlich: die Sau schläft.

Auch wenn sich einige Schweine sogar streicheln lassen, ist Vorsicht geboten 00:30 Min. Verfügbar bis 09.12.2026

"Jetzt könnten wir die so auf den Grill tragen", sagt Spitzer. Und die Gruppe lacht. Hätte Isa auch das verstanden, hätte sie vielleicht locker mitgelacht. Denn sie bleibt als Lieblingsschwein bis zu ihrem natürlichen Lebensende. Weiter geht es: von der Schweinewiese auf direktem Wege zum Grill. Ein Kontrastprogramm, das der Gruppe offenbar gefällt. Es schmeckt.

5

23.30 Uhr

"Sowas beruhigt mich. So ein Abend sagt mir, ich habe mein Ziel erreicht. Das Schwein, von dem wir heute gegessen haben - an dem lag mir was. Das war nicht leicht, als ich das zum Schlachter gefahren habe." Spitzer macht gerade den Grill sauber, die Gruppe ist gut gelaunt und gesättigt in Taxis zurück ins Hotel gefahren.

"Aber wenn ich dann sehe, dass es den Leuten geschmeckt hat und die auch offenbar gecheckt haben, was ich meine. Dass es mir wichtig ist, wie die Tiere leben - dann bin ich happy. Dann gibt mir das total viel." Spitzer wird hiermit weitermachen. Mit seinem Hof im Münsterland und seiner kleinen persönlichen Mission für mehr Wertschätzung fürs Fleisch.

Über dieses Thema berichten wir auch am 09.12.2024 im WDR Fernsehen: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.