Es ist kurz vor halb fünf, die Sonne wird in wenigen Minuten aufgehen. Tim Fellmeden ist schon lange wach. Mit einer Drohne in der Hand steht er mit seinem Auto an einem Feldrand in Breckerfeld. Nebel zieht durch das Tal. Das Surren der Rotoren seiner Drohne durchbricht die Ruhe. Mit der Fernbedienung steuert er die Drohne auf 50 Meter Flughöhe. Der 28-Jährige hat eine wichtige Mission: Er möchte Rehkitze vor dem Mähtod retten.
Fellmeden fliegt in der zweiten Saison als Drohnen-Pilot bei den Kitzrettern aus Hagen mit. Sie sind eine Gruppe von 50 Freiwilligen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Bauern aus der Region einen kostenlosen Service anzubieten. Sie fliegen deren Felder vor der Grasernte ab, um Rehkitze zu finden und aus dem Feld zu tragen. So wollen sie den Mähtod der Kitze verhindern. In NRW gibt es nach Angaben der Deutschen Wildtierrettung 95 Organisationen, die sich für Rehkitze einsetzen. Die neue YouTube-Folge von WDR Lokalzeit Land.Schafft. begleitet die Hagener Gruppe bei einem ihrer Einsätze:
Die meisten Kitze werden im Mai und Juni geboren. In dieser Zeit starten die Bauern mit der Grasernte. Das führt jährlich zu demselben Problem. Nach der Geburt legen die Ricken ihre Kitze zum Schutz vor Fressfeinden im hohen Gras ab. Bevorzugt sind hier Wiesen, Rapsfelder oder Futterkleewiesen in Waldnähe. Der Mähkopf erntet allerdings kaum mehr als eine Hand breit über dem Boden das Gras ab. Eine tödliche Gefahr für die Kitze.
In den ersten zwei Wochen haben sie noch keinen Fluchtinstinkt. Selbst nicht vor dem lärmenden Traktor mit seinem Mähwerk. Statt wegzulaufen, drücken sie sich bei Gefahr fest auf den Boden und verharren dort still. "Jedes vierte Kitz stirbt im Mähwerk. Das ist eine schlimme Vorstellung", sagt Fellmeden. Der sogenannte Drückinstinkt wird ab der dritten Woche vom Fluchtinstinkt abgelöst. Erst dann fliehen Rehkitze vor den Mähwerken und brauchen entsprechend keine Hilfe mehr, um sich in Sicherheit zu bringen.
Wärmebildkamera hilft
Fellmeden schaut weiter konzentriert auf das Display seiner Drohne. Die Wärmebildkamera steht im Modus "White Hot". Das bedeutet, dass alles Warme auf Fellmedens Display weiß dargestellt wird. Alle anderen Temperaturen versinken in Grautönen. So lässt sich im hohen Gras jedes Lebewesen aus der Luft entdecken. Hasen etwa, aber eben auch Rehkitze.
Die Drohne fliegt nach einem vorher festgelegten Raster automatisiert über das Feld. Sobald Fellmeden einen warmen Punkt im Feld entdeckt, kann er das Flug-Programm unterbrechen und die Fundstelle genauer inspizieren, indem er tiefer runtergeht. Die Drohnen und ihre Ausrüstung finanzieren die Kitzretter über Spenden.
Kitze retten ist Teamarbeit
Wenn Fellmeden als Drohnen-Pilot ein Kitz entdeckt, gehen Helfer in das Feld, ausgestattet mit Boxen, Käscher und Handschuhen. Die letzten Meter gehen sie besonders vorsichtig, denn die gut getarnten Kitze sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen – selbst wenn man direkt vor ihnen steht. Neu geborene Kitze nehmen sie mit den Händen auf, geschützt von einem Büschel Gras, damit das Tier keinen Menschengeruch annimmt. Dann legen sie es in eine belüftete Box, schließen den Deckel und bringen das Rehkitz an den Feldrand. Ist das Feld komplett kitzfrei, geben sie dem Bauern über Funk die Freigabe: Er kann mähen.
Nach 30 Minuten gibt es auch für Landwirt Christian Abel in Breckerfeld grünes Licht. Sein Feld ist kitzfrei. Für Fellmeden und die anderen Kitzretter ist das sicher nicht der letzte Einsatz gewesen. Sie werden in den ersten Juli-Wochen weiterhin die Felder abfliegen, um auch die Spätgeborenen zu retten. Spätestens Mitte Juli endet die Kitzretter-Saison. Allein dieses Jahr haben Fellmeden und die anderen mehr als 120 Kitze gerettet. Fellmeden hat anfangs genau mitgezählt, mittlerweile denkt der 28-Jährige anders darüber: "Es ist kein Wettbewerb, bei dem einer mehr oder weniger Kitze findet."