Amboss statt Abi
Ramona wäre in diesem Moment wahrscheinlich lieber woanders. Aber es muss sein. Die braune Stute hat es an den Hufen. Ein Job für Leon Murschel. Der 16-Jährige gibt seiner Klientin einen Klaps auf die Flanke. Man kennt sich bereits, lässt Ramonas Besitzerin durchblicken. Vater Alex Murschel, ebenfalls Hufschmied, Typ eisenharter Anpacker mit derbem Humor, lässt den Junior erstmal machen. "Bei der wird dir erstmal der Arsch rausgestreckt, da musst du aufpassen. Aber eigentlich meint Ramona es gar nicht so", sagt er.
Und Ramona meint es wirklich nicht so. Unter den strengen Augen der Murschel-Familie bricht ihr Widerstand fürs Erste zusammen. Besiegt streckt das Pferd dem jungen Hufschmied sein linkes Vorderbein entgegen. Leon Murschel kann loslegen.
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Der 16-jährige Ostwestfale ist mächtig stolz auf seine noch kurze Karriere. Seine Instagram-Biografie zieren zwei Worte. "Youngest Farrier", übersetzt "Jüngster Hufschmied". Daneben eine Deutschlandfahne. Vor ein paar Monaten erst hat er im Ein-Mann-Betrieb seines Vaters die Ausbildung begonnen. Auch, wenn Leon Murschel seinen Vater erst überreden musste. "Er wollte eigentlich, dass ich was anderes mache. Maschinenbau oder so. Aber ich wollte immer schon Schmied werden. Und ich weiß auch, dass ich das in 40 Jahren noch genauso sehen werde."
Soviel Weitsicht ist für einen 16-Jährigen ungewöhnlich. Einerseits. Andererseits ist Murschel auch kein gewöhnlicher Typ. Während seine Freunde sich seit dem letzten Sommer auf ihr Abitur vorbereiten, steht der Auszubildende am Schmiedeofen. Als Einziger aus seiner Klasse brach er vorzeitig die Schule ab. "Lernen ist sowieso nicht meine große Stärke. Ich muss was mit meinen Händen machen. Und Hufschmied zu sein, ist sowieso viel schöner, als irgendwo im Büro zu sitzen."
Mehr Hufe als Schmiede
Der Job ist dabei zeitgemäßer als sein etwas angestaubter Ruf. Jedes Pferd brauche auch einen Hufschmied, sagt Alex Murschel. Eigentlich meint er aber die Besitzer der Pferde, die ihre Tiere ohne das richtige Hufwerk nicht ausreiten können. Alleine in Westfalen gibt es über 56.000 Pferde, allerdings nur wenige Dutzend Hufschmiede. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz zählt in ganz NRW gerade einmal rund 250.
An Arbeit werde es seinem Sohn also nicht mangeln, meint Alex Murschel. Momentan sind die Auftragsbücher des Betriebs jedenfalls brechend voll. Vier Eisen für vier Hufe kosten bei den Löhnern knapp 180 Euro. Bei durchschnittlich fünf Pferden kommen da am Tag schon mal knapp 1000 Euro zusammen. Viel Geld, aber Hufe schmieden sei eben auch viel Arbeit, sagt Firmen-Chef Alex Murschel: "Wir schmieden ja nicht nur, wir sind auch sowas wie ein Tierarzt, Psychologe und Sozialarbeiter in einem. Manche Kunden haben zu uns ein besseres Verhältnis als zu ihrer Verwandtschaft."
Vier Eisen für Ramona
Viele Pferdebesitzer sind überzeugt, dass die Tiere genau spüren, wer es mit ihnen aufnehmen kann und wer nicht. Leon Murschel dürfte das nur Mut machen. Stute Ramona hat er jedenfalls fest im Griff. Alles, was der 16-Jährige der betagten Pferdedame abverlangt, lässt diese ohne Gegenwehr über sich ergehen. Altes Eisen weg, Huf säubern, Horn wegschneiden, neues Eisen drauf. Genau wegen Tagen wie diesem ist Leon Murschel Hufschmied geworden.
Wenn er auf dem Amboss mit dem Hammer das Eisen in Form klopfen kann, ist er in seinem Element. Aber längst nicht alle Pferde sind so umgänglich wie die Ramona. Neulich, erzählt Leon Murschel, sei ihm ein Tier durchgedreht und habe ihn zu Boden getreten. Berufsrisiko, meint sein Vater. Früher hat Murschel-Senior als Ausbilder bei der Bundeswehr Pioniere durch den Schlamm robben lassen. Wer Hufschmied werden wolle, müsse eben hart im Nehmen sein. Sohn Leon sieht das genauso.
"Er ist dann auf mir rumgetrampelt": Leon Murschel über die Gefahren seines Berufs. 00:31 Min.. Verfügbar bis 27.02.2027.
Lange dürfte es nicht mehr dauern, bis jemand jüngeres Leon Murschel von seinem Posten als jüngster Hufschmied Deutschlands ablösen wird. Doch Murschel hat auch da schon einen Plan: "Dann werde ich eben der beste Hufschmied Deutschlands. Man muss sich ja Ziele setzen."
Über dieses Thema haben wir auch am 11.11.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Südwestfalen, 19.30 Uhr.