"Schlimm, wie noch nie": Blauzungenkrankheit bringt NRW-Schäfer in Not

Soest | Landwirtschaft

Stand: 16.10.2024, 07:08 Uhr

Schäferin Vicky Diemel aus Ostwestfalen befindet sich seit Monaten im Ausnahmezustand. Wie viele andere Schäfer in NRW bangt sie um ihre Existenz. Schuld ist die Blauzungenkrankheit, an der bereits tausende Tiere qualvoll gestorben sind. Wie die Krankheit NRW überrollt.

Von Heinrich Buttermann

Die Belastung der letzten Monate ist Vicky Diemel anzusehen. Sie spricht ruhig, ihr Blick liegt schwer vor Kummer auf ihren Tieren. 550 Schafe und Ziegen hatte die Schäferin. Dann erkrankten immer mehr ihrer Tiere an der Blauzungenkrankheit. Rund 100 Muttertiere sind tot, 60 Lämmer haben die Geburt nicht überstanden, im Frühling ist kaum ein Lamm gesund auf die Welt gekommen. "So schlimm war es noch nie", beschreibt die hauptberufliche Schäferin den Ausnahmezustand. "Du weißt nie, was dich morgens erwartet: Wie viele Tiere hat es heute erwischt? Das geht extrem an die Nerven."

Schäferin Vicky Diemel dokumentiert die Krankheit ihrer Schafe 00:10 Min. Verfügbar bis 16.10.2026

Wie hunderte andere Tiere hat die Blauzungenkrankheit auch die von Schäferin Diemel erwischt. Die Krankheit wütete in den vergangenen Jahren immer wieder in Schaf- und Kuhställen. Aktuell jedoch rollt eine nie dagewesene Infektionswelle über die Betriebe.

Laut Friedrich-Loeffler-Instituts waren es allein bis Ende August rund 2465 nachgewiesene Fälle in NRW. In der Zwischenzeit dürften einige hundert dazu gekommen sein. Der Schafzuchtverband Nordrhein-Westfalen in Lippstadt berichtet von vielen Betrieben, die inzwischen rund ein Drittel ihrer Tiere verloren haben. Zum Vergleich, wie schnell die Fallzahlen ansteigen: Noch im Juni gab es deutschlandweit gerade einmal 13 Fälle. Das NRW-Umweltamt bezeichnet es als den schlimmsten Ausbruch, den es je im Bundesland gegeben hat.

Blauzungenkrankheit in NRW: "Wir kämpfen bis zum Umfallen"

Mit einer Heugabel schiebt Vicky Diemel einen Ballen Futter zu ihren Schafen. Die Schafe stecken ihre Köpfe durch das Gitter und kauen friedlich. Das Heu raschelt. Was nach alltäglichem Geschehen aussieht, ist aktuell alles andere als normal. Eigentlich ist Diemel mit ihren Herden von Anröchte im Kreis Soest aus viel draußen unterwegs. Im Sauerland, im nahen Ostwestfalen bis ins Münsterland. Doch seit Wochen verbringt sie morgens bis abends in ihren Ställen und auf den Wiesen. Die Schafe und Ziegen brauchen ihre ganze Aufmerksamkeit.

Wie steht es um Vicky Diemels erkranktes Mutterschaf? 00:18 Min. Verfügbar bis 16.10.2026

Die Blauzungenkrankheit kommt nur bei Wiederkäuern vor. Während Kühe meistens nicht so schwer erkranken, ist die Infektion für Schafe und Ziegen immer wieder tödlich. Nicht nur die Zunge verfärbt sich, Gelenke werden steif, die Tiere humpeln, haben Entzündungen und sind in einem schlechten Gesamtzustand. Für die Übertragung sind kleine Mücken verantwortlich, sogenannte Gnitzen. Sie tragen die Blauzungenkrankheit von Schaf zu Schaf weiter. Durch den milden Winter und nass-warmen Sommer konnten sich die Mücken stark vermehren.

Diemel ist Schäferin aus Leidenschaft. Viele der Tiere in Anröchte hat sie selber mit der Hand aufgezogen. Die meisten Älteren haben Namen. "Wenn solche Tiere in deinen Händen sterben, und du kannst nichts machen, das ist einfach nur schlimm", sagt sie und streichelt eines ihrer Schafe. "Manchmal wird man dann noch von Passanten angemacht, in welchem schlechten Zustand die Tiere sind. Wir kämpfen bis zum Umfallen und werden noch beschimpft", erzählt die Schäferin.

Die Krankheit schlägt ganz unterschiedlich zu: Einige Tiere fallen plötzlich tot um, andere berappeln sich schneller als erwartet. Bei einigen schlagen Antibiotika, Hustensaft oder Fiebersenker an, andere Schafe oder Ziegen reagieren überhaupt nicht darauf. Eine Impfung kann zwar vor einem schweren Verlauf der Krankheit schützen, für viele Tiere kam diese jedoch zu spät. Schäferin Diemel hält besonders bedrohte Haustierrassen: Wenn hier viele Tiere sterben, wird es für ganze Rassen eng.

Schäfer bangen um Existenz

Die extreme Infektionswelle könnte für einige Schäfer das Aus bedeuten. Der Schafzuchtverband Nordrhein-Westfalen schlägt Alarm. "Es stehen Existenzen auf dem Spiel", sagt Geschäftsführerin Fides Marie Lenz. Zumal es bisher nur wenig Unterstützung für die betroffenen Schäfer gebe. 1700 Mitglieder sind in dem Verband organisiert.

Die Blauzungenkrankheit sorgt bei Diemel und vielen anderen Schäfern für die schwersten Monate ihres Berufslebens. "Wir wissen im Moment auch gar nicht, wie wir unsere Aufgaben im Landschaftsschutz stemmen sollen, wenn immer mehr unserer Mitarbeiterinnen sterben", sagt Diemel deutlich. Ein Lichtblick: Jetzt, wo die Tage und Nächte kälter werden, sterben auch die kleinen Mücken. Das kann für Linderung sorgen, für eine Entwarnung ist es aber noch zu früh.

Über dieses Thema haben wir auch am 10.10.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Südwestfalen, 19.30 Uhr.