Viertklässlerin Nina wartet mit wachem Blick am Zebrastreifen. Auf die Tempo 30-Schilder achten an der Durchgangsstraße zum Kölner Ring die wenigsten Autofahrer. Zwar halten die Autos auf ihrem Nachhauseweg nach einigen Sekunden an. Wirklich sicher ist Ninas Schulweg trotzdem nicht. Auch deshalb engagiert sich ihre Mutter bei der Interessengemeinschaft Winzerveedel. Die Straßen im Viertel sind nach Weinanbaugebieten benannt.
Die rund 25 Mitglieder aus dem Stadtviertel zwischen Barbarossaplatz und Volksgarten fordern von der Stadt Köln einen sogenannten "Superblock": ein Stadtviertel mit verkehrsberuhigten Einbahnstraßen. "Wir erhoffen uns davon mehr Lebensqualität und mehr Grünflächen", sagt Sybille Fraquelli, Mitglied der Interessengemeinschaft.
Auf dem Weg zum Treffen mit anderen Mitgliedern drängt sie sich auf dem Bürgersteig an parkenden Autos vorbei. An einigen Stellen wäre das mit Kinderwagen oder Rollstuhl eng geworden. "Ich fände es schön, aus dem Haus zu gehen und nicht direkt auf parkende Autos zu treffen", sagt sie. Es geht zur Lagebesprechung in einem kleinen Café. Einige Mitglieder hocken über einem Plan des Viertels, auf dem die neue Verkehrsführung eingezeichnet ist, stellen jedoch fest: "Das ist gar nicht die aktuelle Karte." Schnell wird mit Kugelschreiber korrigiert.
Verkehrsplanung für lebenswertere Städte
Inspiration hat sich die Kölner Bürgerinitiative in der spanischen Metropole Barcelona geholt. Dort sind verkehrsberuhigte Superblocks seit mehr als fünf Jahren Realität. "Die Idee des Superblocks beruht darauf, dass man den Durchgangsverkehr aus dem Wohnviertel heraushält. Bestimmte Wege sind auch nur noch für Radfahrer und Fußgänger zugänglich", erklärt Fraquelli. Plätze und neue Freiflächen werden für Bänke, Begrünung und als Spiel- oder Sportfläche genutzt. Das Konzept könnte das urban geprägte Nordrhein-Westfalen nachhaltig verändern.
Eine Idee, die auch Viertklässlerin Nina gefällt. Sie hat das Konzept Superblock im Barcelona-Urlaub kennengelernt: "Ich fände es cool, wenn es hier auch so aussehen würde. Ich könnte dann auf dem Bürgersteig spielen. Und es wäre auch nicht so laut und voll hier."
Konkrete Pläne an die Stadt geschickt
Die IG Winzerveedel hat eine Bürgereingabe mit konkreten Vorschlägen an die Stadt Köln geschickt. Für einen Pilotversuch der Stadt wirbt die Initiative auch mit einer Petition. Nach dem Treffen im Café gehen sie verschiedene Punkte in ihrem Veedel ab, die ihnen besonders Sorgen machen.
"Theoretisch könnte die Straße bis hier hin verkleinert werden", sagt eine Frau der Interessengemeinschaft und stellt sich mit ausgestreckten Armen auf eine Kreuzung. "Hier wird gern abgekürzt, um nicht den Weg mit der Ampel am Kölner Ring nehmen zu müssen", sagt Fraquelli zu der entsprechenden Stelle und imitiert mit ihrem Arm den Fahrtverlauf der Autos.
Stadt Köln will Bürgerrat für Superblocks
Für die Stadt Köln, die bis 2035 klimaneutral werden will, ist der Vorstoß der Interessengemeinschaft eine willkommene Inspiration. Ascan Egerer ist Beigeordneter für Mobilität. Er sagt, dass die Stadt bereits im Austausch mit dem Superblock-Projektteam in Barcelona sei. Die Bewerbung des Winzerveedels als Superblock findet er "richtig klasse!"
Ursprünglich wollte die Stadt Köln das Konzept Superblock durch einen sogenannten Bürgerrat auf ein breiteres Fundament stellen: "Wir wollen ja weiterdenken und das nicht auf ein Viertel beschränken. Deswegen ist es wichtig, gemeinsam im Bürgerrat ein paar Grundlagen zu entwickeln."
Interesse an einem verkehrsberuhigten "Superveedel" haben auch schon die Anwohner des Clouth-Quartiers in Köln-Nippes angemeldet. Der Bürgerrat aus 20 bis 25 zufällig ausgewählten Bürgern soll laut Stadt 2024 zum ersten Mal zusammen kommen. Nach den Diskussionen im Bürgerrat soll es eine Empfehlung an den Stadtrat geben. Es sah nach reichlich Bürokratie aus, bis sich im Veedel wirklich etwas ändern wird. Fraquelli und ihre Mitstreiter waren wenig begeistert.
Anfang Dezember gab es aber eine überraschende Wende. Bereits im ersten Quartal 2024 will die Bezirksvertretung über den Antrag der Bürgerinitiative entscheiden. Sollte diese Entscheidung zu Gunsten der Bürgerinitiative ausfallen, müsste sich die Verwaltung der Stadt eine Umsetzungsempfehlung erarbeiten. Der Bürgerrat soll sich zudem mit weiteren Möglichkeiten und Chancen von Superblocks in Köln beschäftigen.
Über dieses Thema haben wir auch am 19.12.2023 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Köln, 19.30 Uhr.