Historisches schwarz-weiß Foto von zwei Kindern, Alice und Günther Steinberg.

Auf den Spuren jüdischen Lebens in Geseke

Soest | Heimatliebe

Stand: 27.01.2024, 09:18 Uhr

In Geseke lernen Schülerinnen und Schüler Details der jüdischen Geschichte in Deutschland kennen. Dabei hilft der Heimatverein Geseke - und die WDR Stolpersteine App.

Von Heinrich Buttermann

Es hat viele Jahre gedauert, aber am Freitag, 26.1.2024 wird endlich an die jüdische Familie Steinberg erinnert. Sie wurden zunächst beschimpft, dann verfolgt, verschleppt und schließlich ermordet. Künstler Gunter Demnig wird Stolpersteine vor dem Wohn- und Geschäftshaus in der Geseker Innenstadt verlegen. Der Heimatverein und Schülerinnen und Schüler der Stadt möchten ihre tragische Geschichte lebendig halten - und nutzen dafür gemeinsam auch die WDR Stolpersteine App. Mit der App erfahren Nutzer die Geschichte des Menschen, dem der Stolperstein gewidmet ist. Man kann sie auch gezielt suchen.

Den Festakt zur Verlegung der Stolpersteine haben Schülerinnen und Schüler organisiert

00:45 Min. Verfügbar bis 27.01.2026

Im Geschichtskurs des Gymnasiums Antonianum in Geseke arbeiten die Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen. Die einen suchen im Internet, andere sortieren Fotos, wieder andere haben Bücher aufgeschlagen - unter anderem das von Reinhard Marx. Wenn der 67-jährige Marx zu einem der Vierer-Tische geht, wird es still. Was der ehrenamtliche Forscher des Heimatvereins über die Familie Steinberg zu erzählen hat, ist gleichermaßen spannend, ergreifend und schlimm.

Zu sehen ist die Familie Steinberg auf einem alten Familienportrait.

Alice, Artur, Günter und Moses Steinberg: sie rechneten nicht mit ihrem Schicksal

"Die Familie Steinberg hat nie damit gerechnet, verfolgt oder gar getötet zu werden", erklärt Marx. "Arthus Steinberg war Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg, war gerade im Jahr 1935 noch mit einem Orden ausgezeichnet worden. Sie waren der festen Überzeugung, dass ihnen nichts passieren könnte."

Erst nach der Reichspogromnacht hat die Familie versucht, aus Deutschland zu fliehen. Zu spät. Vater Arthur, Günther, Moses und die 15-jährige Alice wurden am 30. April 1942 ins Ghetto Zamość (Polen) deportiert, wurden dort ermordet. Arthurs drei Schwestern wurden ebenfalls von den Nazis umgebracht.

Tag des Gedenkens am 27. Januar

Bis Kriegsende töteten die Nazis etwa sechs Millionen Juden. Der Holocaust gilt als eines der grausamsten Menschheitsverbrechen der Geschichte. Seit 1996 wird in Deutschland am 27. Januar der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Das Datum ist dabei auf den 27. Januar 1945 zurückzuführen, der Tag, an dem Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau befreiten.

Im Jahr 2005 führten die Vereinten Nationen den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day) am 27. Januar ein - am 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau.

Die Schülerinnen und Schüler hören gebannt zu. Alice Steinberg war 15 Jahre alt, ging in Geseke zur Schule, bis ihr auch das verboten wurde. "Auch wenn man so viel darüber weiß, es bleibt unglaublich", sagt Schüler Luca Sauer. Seine Mitschüler des Gymnasiums Antonianum und der Sekundarschule bereiten den Festakt zur Stolperstein-Verlegung vor. Sie wollen an das Geschehene erinnern.

Zu sehen ist ein Klassenfoto aus dem jahr 1935, auf dem circa 30 Schülerinnen und Schüler abgebildet sind.

An vierter Position von rechts steht Alice Steinberg, die auch das Gymnasium in Geseke besuchte

"Ich bin sehr froh, dass es weitergeht, dass die jüdischen Geschichten aus Geseke weiter erforscht und festgehalten werden", sagt Marx. Seit 35 Jahren hat er Dokumente zusammengestellt, Texte und Bücher veröffentlicht, mit Mitstreitern den Arbeitskreis "Juden in Geseke" gegründet. Dass diese wichtigen Erinnerungen auch über die WDR Stolpersteine App erhalten und verbreitet werden, freut den Geseker.

Reinhard Marx erzählt von den Schicksalen jüdischer Familien aus Geseke

00:37 Min. Verfügbar bis 27.01.2026

Kurze Zeit später ist im Unterricht zu sehen, wie sehr die App das Eintauchen in die Zeit der grausamen Judenverfolgung ermöglicht. Inge Levy hatte als Hausmädchen bei den Steinbergs gearbeitet - und war schon früh mit ihrer Schwester Margot deportiert worden. Sie konnten noch verschiedene Briefe schicken, die später von Schülerinnen vertont worden sind. Mit einem Klick auf die App wird das Audio gestartet: "Bald sind die Umstände kaum noch zu ertragen: Hunger, Krankheiten, Ungeziefer zermürben die sonst so fröhliche und optimistische Margot", erklärt ein Sprecher, dann folgt ein weiteres Zitat aus ihren Briefen. "Solltet ihr auf fort müssen, packt keine Koffer, sondern tragt alles und zieht sehr viel an ..."

Zu sehen sind Margot und Inge Levy auf vergilbten Einzelporträts.

Inge und Margot Levy wurden bereits früh deportiert.

"Genau diese Details, die Geschichten, die direkt vor unserer Haustür passiert sind, die zeigen diese unglaublichen Dimensionen", sagt Schulleiter Ulrich Ledwinka. Er und Reinhard Marx vom "Verein für Heimatkunde, Geseke" wollen zusammen mit den Schülerinnen und Schülern dafür sorgen, dass auch über die Stolperstein App diese Schicksale nicht vergessen werden.  

Über dieses Thema haben wir auch im WDR-Fernsehen am 26.01.2024 berichtet: als Beitrag und Studiogespräch in der Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.