Kennzeichen Festivalbändchen
Es ist heiß im Gelsenkirchener Amphitheater. Kein Windchen weht über dem Rhein-Herne-Kanal. Jeder weiß, dass man bei 20 Grad im Schatten besser keine schwarze Kleidung anziehen sollte. Und trotzdem tragen sie tausende Anwesende: Egal, ob vor, auf oder hinter der Bühne. Was sie unterscheidet, ist die Farbe ihrer Festivalbändchen. An der Security vorbei in den Backstage Bereich kommt nur, wer an diesem gut besuchten Festivalsonntag ein blaues oder orangenes Bändchen am Handgelenk trägt.
Dort im Außenbereich ist einiges los: Eine Band packt gerade ihre Instrumente ein, eine andere macht sich bereit für den Auftritt. Dazwischen viele Techniker, Bandbetreuer - und Holger Stratmann. Mit seinem grauen Hemd, T-Shirt und schwarzen Jeans fällt er nicht weiter auf. Sein Festivalbändchen ist allerdings weiß. Es besteht nicht aus beschichtetem Papier wie alle anderen, sondern aus Gummi. Er braucht es jedes Jahr aufs Neue, denn es ist sein Festival. Und das zum 20. Mal.
Das Rock Hard Festival sollte das 20-jährige Bestehen des Rock Hard Magazins feiern. Trotz professioneller Organisation und der Zusammenarbeit mit einer Konzertagentur blieb der Erfolg zunächst aus. Erst nach fünf Jahren etablierte sich das Festival allmählich. Mit rund 7000 Besuchern ist das Festival inzwischen häufig ausverkauft - und das, obwohl oft parallel dazu der Festivalriese Rock am Ring mit bis zu 90.000 Besuchern in der Eifel stattfindet. Wegen der besonderen Location und weil sich das Magazin schon lange auf dem Markt etabliert hat, genießt das Festival international einen guten Ruf und hatte große Künstler wie Thin Lizzy, Volbeat und Dio zu Gast.
Die Wiederbelebung des Amphiteaters
Es geht raus aus dem Backstage-Bereich. Von den obersten Stufen des Amphiteaters hat man einen perfekten Blick auf das gesamte Publikum und die große Zeltbühne. Wer auftreten darf, bestimmen die Redakteure. Noch weniger bekannte, aber vielversprechende Bands teilen sich die Bühne mit internationalen Größen der Musikszene. "Früher gab es verdammt wenig Konzerte. Das waren vielleicht zehn Events im Jahr. Wir waren hungrig nach jedem Konzert und froh, wenn mal eine Band im Jugendzentrum gespielt hat", sagt Stratmann. Also wurde er selbst aktiv: "Das erste Festival war ein Riesenflop. Wir hatten tolle Bands, aber die Location hier war nicht so bekannt".
Stratmann ist 57 Jahre alt. Zusammen mit einem Schulkameraden hat er vor 40 Jahren begonnen, über Musik zu schreiben. Etwa 100 Hefte haben sie vom ersten Rock Hard Magazin angefertigt. Die Zeitschrift war selbst gemacht: Kopiert und nicht gedruckt. Sie verteilten ihr Magazin im Freundeskreis und legten es in Plattenläden im Kreis Dortmund aus. Da hatte Stratmann gerade das Abitur vor sich. Danach begann er, BWL zu studieren. Spaß hatte er nicht dabei. Also konzentrierte er sich nach den ersten kleinen Erfolgen voll auf das Magazin. Wegen des Festivals ist Stratmann nicht nur Verleger, sondern auch Veranstalter.
Das Amphitheater war 1997 Teil der Bundesgartenschau. Das Gelände lag lange brach, die Zeltbühne war sogar kaputt. "Wir wussten gar nicht, ob sie noch rechtzeitig aufgebaut wird", erinnert sich Stratmann und lacht. Vorbei an vielen Imbisswägen und Verkaufsständen begegnen und einige Festivalbesucher, die das Amphitheater sogar auf dem T-Shirt tragen: Das Motiv zeigt ein langhaariges Skelett mit einer E-Gitarre, die vor der markanten Zeltbühne steht. Das diesjährige Festival-Artwork sorgt gerade im Zelt, am Rande der Marktmeile, für Hochbetrieb: Es wird als Kunstdruck verlost - garniert mit Autogrammen sämtlicher Musiker, die aufgetreten ist. Als sich die Menschentraube wieder auflöst, gratuliert Stratmann der Gewinnerin und macht ein Foto.
Die Kunstausstellung ist Teil des Rahmenprogramms: Dazu gibt es Lesungen, einen Biergarten mit Musik aus der Konserve sowie Parties nach dem letzten Konzert - natürlich alles im Zeichen gitarrenlastiger Musik in diverser Intensität. Größer werden kann und soll das Festival nicht: "Ich glaube, eine grüne Wiese würden die Leute nicht mehr akzeptieren. Auch die Bands bringen wirklich gute Leistungen: Ich glaube, das hat auch was mit dem Flair zu tun. Sowas reißt man nicht mehr auseinander." Das Amphiteater wird inzwischen auch für Konzerte weiterer großer Künstler wie Silbermond, Nightwish oder Toto genutzt.
Die Branche ändert sich - die Fans bleiben gleich
Vieles hat sich inzwischen in der Musikindustrie verändert. Um die Jahrtausendwende waren Tonträger noch die Haupteinnahmequelle von Bands. Aufritte sollten den Verkauf anregen. Inzwischen erhoffen sich viele Musiker von ihren Shows, dass jemand ein T-Shirt kauft oder ihre Musik streamt. Gleich geblieben sind nur die Fans. "Die sind in der Zeit stehen geblieben. Das sind alles große Kinder mit den selben Bandshirts wie früher", sagt Stratmann und zupft kurz an seinem ausgewaschenen Ramones-T-Shirt.
Als Stratmann auf der Bogenbrücke über dem Rhein-Herne-Kanal fotografiert wird, beginnen ein paar Festivalbesucher zu rätseln, wer er sein könnte. Mit der Zeltbühne des Amphitheaters im Rücken und einem Lächeln sagt er zu ihnen: "Ich bin niemand. Ich habe bei der Verlosung gewonnen."