Junge Frau mit Kopftuch sitzt vor einem vollen Esstisch

"Lieber Kritik als heimliches Gerede" - 8 direkte Fragen zu Ramadan

Recklinghausen | Heimatliebe

Stand: 07.04.2024, 09:46 Uhr

Wirst du zum Fasten gezwungen? Stört es dich, wenn jemand neben dir etwas isst? Das sind Fragen, die sich viele Nichtmuslime an Ramadan stellen, die aber selten ausgesprochen werden. Eine junge Muslimin beantwortet sie.

Von Stefan Weisemann

In NRW leben rund 1,5 Millionen Musliminnen und Muslime, von denen viele Ramadan feiern. Im Koran steht, dass jeder Muslim den Ramadan mit all seinen Regeln einhalten soll. Deshalb ist Ramadan für viele Musliminnen und Muslime eine sehr wichtige Zeit.

Sie verzichten von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf Essen und Trinken, aber auch auf Rauchen und Sex. Für Kinder, schwangere Frauen sowie alte und kranke Menschen gibt es Ausnahmen. Sie müssen nicht fasten. Nach Sonnenuntergang treffen sich viele Gläubige zum "Fastenbrechen" zu einem großen Essen mit der Familie.

Interview mit einer Muslimin: Wird sie zum Fasten gezwungen?

Auch Irem Altunay ist gläubige Muslimin und fastet an Ramadan seit sechs Jahren. Die 20-Jährige wohnt in Gladbeck und studiert Soziale Arbeit, außerdem engagiert sie sich im Verein "Dandelion" in Gelsenkirchen, der sich unter anderem für Integration einsetzt. Im Interview beantwortet sie Fragen zum Fastenmonat, die sich nicht jeder zu stellen traut, die manche aber vielleicht schon länger interessieren.

Lokalzeit: Zwingt dich deine Familie zum Fasten?

Irem Altunay: Nein, meine Familie zwingt mich nicht. Es ist jedem frei überlassen, ob er fasten möchte oder nicht. Wenn jemand zu jung oder alt ist oder sich nicht gut fühlt, dann muss man nicht fasten. Es ist eine Sache zwischen einem Menschen und Gott, da hat die Familie nicht viel zu sagen. Natürlich gibt es aber auch sehr konservative Familien, wo das anders sein kann.

Lokalzeit: Nervt es dich, wenn sich neben dir andere den Teller zum Mittagessen vollpacken?

Altunay: Nein, warum sollten andere auf Essen verzichten? Ich finde es bewundernswert, dass viele Menschen in meinem Umfeld darauf Rücksicht nehmen. Das muss aber niemand. Ich faste ja nicht, damit sich andere im Alltag auch einschränken - ich mache das für mich. Wenn jemand neben mir etwas isst, dann ist das ja auch eine Herausforderung, der ich mich stelle.

Lokalzeit: Mal ehrlich: Den ganzen Tag nicht mal Wasser trinken - geht das überhaupt?

Altunay: Ja, man hält das aus. Natürlich hätte ich zwischendurch manchmal gerne einen Schluck Wasser. Aber dadurch, dass ich eigentlich die ganze Zeit über beschäftigt bin, denke ich nicht so intensiv daran. Das ist natürlich von Mensch zu Mensch anders. Aber so schlimm, wie es manchmal dargestellt wird, ist es ehrlich nicht. Für mich persönlich ist das Trinken am schwierigsten. Hunger ist eigentlich kein Problem. In der Zeit, in der ich essen darf, stopfe ich mich einfach so voll, dass ich den Rest des Tages keinen Hunger habe.

Irem Altunay isst gemeinsam mit Freunden und Familie nach Sonnenuntergang.

Nach Sonnenuntergang wird gemeinsam gegessen.

Lokalzeit: Glaubst du, Allah würde es sehen, wenn du heimlich etwas isst?

Altunay: Ich glaube, Allah sieht alles. Religion ist für mich eine Glaubenssache aus tiefstem Herzen. Wenn ich heimlich esse, ist mein Glaube vielleicht nicht stark genug. Ich würde mich selbst betrügen. Entweder fastet man oder man fastet nicht. Beides ist vollkommen in Ordnung.

  • Übrigens: Auch der Instagram-Account der Lokalzeit hat Irem Altunay schon bei einem Fastenbrechen begleitet:

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Lokalzeit: Kein Essen und Trinken bis Sonnenuntergang, kein Sex, kein Rauchen - sind Internet und Social Media an Ramadan auch verboten?

Altunay: Es gibt kein Verbot, was Internet und Social Media betrifft. Es geht im Ramadan darum, sich auf sich und Gott zu fokussieren. Wenn man das nicht kann, weil man zu viel in Social Media unterwegs ist, dann sollte man das reduzieren. Das bleibt aber jedem selbst überlassen. Ich persönlich habe im Ramadan sehr viel zu tun: Jeden Tag ist Fastenbrechen, wir kriegen Besuch oder wir sind irgendwo zu Besuch. Dadurch habe ich auch gar nicht die Zeit für Internet und Social Media - das reduziert sich automatisch.

Lokalzeit: Wie sehr freust du dich, wenn Ramadan im deutschen Januar ist, also mit kurzen Tagen und kühler?

Altunay: Natürlich ist es an kürzeren und kühleren Tagen einfacher. Aber ich persönlich vermisse den Ramadan an langen Sommertagen. Es ist ein ganz anderes Gefühl, an diesen Tagen zu fasten, als wenn man gefühlt nur zwei bis drei Stunden nichts isst. Denn mal ehrlich: Was habe ich vom Fasten, wenn ich gleich schon wieder essen kann?

Warum ist Ramadan jedes Jahr zu einem anderen Zeitpunkt?

Das liegt an zwei Faktoren: dem islamischen Kalender und dem Mond. Es ist immer der neunte Monat im islamischen Jahr. Der Kalender, der sich nach dem Mond orientiert, ist aber einige Tage kürzer als das christlich-gregorianische Kalenderjahr. Deshalb wandert Ramadan jedes Jahr um zehn bis elf Tage. Der genaue Zeitraum hängt zudem vom Stand des Mondes ab. Traditionell beginnt der Fastenmonat, wenn nach dem Neumond die Mondsichel wieder am Himmel zu sehen ist. Das kann sogar von Land zu Land unterschiedlich sein. Auf den Ramadan folgt das dreitägige Zuckerfest, bei dem das Fastenbrechen gefeiert wird.

Lokalzeit: Kann man beim Fasten tricksen, indem man zum Beispiel einfach den ganzen Tag durchschläft?

Altunay: (Lacht) Das machen tatsächlich viele, aber das ist nicht der Sinn dahinter. Theoretisch könnte ich den Monat einfach durchschlafen, klar. Aber es geht um die Ich-Findung, um die Findung zu Gott. Ob man das durch das Schlafen erreicht, weiß ich nicht.

Lokalzeit: Kritik an Ramadan und deiner Religion - No-Go oder okay?

Altunay: Kritik gibt es immer, gerade in Sachen Religion. Mir ist Kritik lieber als heimliches Gerede. Ich mag es, wenn Menschen zu mir kommen und mich fragen. Dann versuche ich aufzuklären. Ob ich damit erfolgreich bin, ist eine andere Sache, aber ich gebe mein Bestes.

Das Interview führte Stefan Weisemann