Obwohl es eine Werkstatt ist, raschelt und knistert es in der "Schnittstelle Kunst" nur. Antonia Ricken und Jesús Fernández blättern gerade sorgfältig durch eine Sammlung von bunten Papierresten – Seiten aus Theaterprogrammen, Natur-Lexika und sogar ein Ausschnitt eines Ölbildes sind dabei. Immer wieder ziehen sie einzelne Seiten heraus. 50 sollen es am Ende sein. Daraus gestalten die beiden ein eigenes Ringbuch aus Altpapier.
Jeden Donnerstag von 16 bis 19 Uhr gibt es in der "Schnittstelle Kunst" eine offene Werkstatt. Die Idee kommt von Lena Hinckel. Die 37-Jährige Düsseldorferin ist Kunstpädagogin und Kommunikationsdesignerin. Schon während ihres Studiums hat sie viel mit Papier gearbeitet. Irgendwann hatte sie plötzlich eine riesige Papiersammlung. 2019 hat sich Hinckel mit der Idee selbstständig gemacht und die "Schnittstelle Kunst" eröffnet. Ein Atelier, in dem sie ihre Vision in die Tat umsetzen kann: Altpapier vor der Tonne retten und bewusster mit Ressourcen umgehen. Denn laut Naturschutzbund (NABU) haben die Menschen in Deutschland im Jahr 2021 etwa 228 Kilogramm Papier verbraucht. Davon wird über die Hälfte für Verpackungen genutzt. Papiermüll entsteht jedoch in jedem Fall.
Also sammelt die Düsseldorferin Papierreste. Das können Fehldrucke, Kopien, Plakate von Veranstaltungen, benutzte Briefumschläge, Büro- oder Werbematerial sein. Daraus gestaltet Hinckel in Handarbeit neue Produkte, zum Beispiel Notizblöcke, Ringblöcke oder Klemmbretter. Jedes Produkt, ein Unikat – individuell und nachhaltig.
Papier fasziniert die 37-Jährige, es ist ein vielfältiges Material: Es raschelt, man kann sich daran schneiden, es fühlt sich weich an, man kann es zusammenknüllen, glattstreichen. Es gibt verschiedene Farben, Oberflächen – rau, glatt mit Struktur oder ohne. Aber Papier ist auch ein Träger für Notizen, Ideen oder Skizzen. Manchmal auch für Gedanken, zum Beispiel in einem Tagebuch.
Im Gegensatz zur digitalen Welt, die heute für viele Menschen Alltag ist, können die Arbeit und das Schreiben auf Papier entschleunigend wirken. "Man kommt in Verbindung, hat das Buch selbst gemacht und schreibt selbst rein, das ist eine andere Wertschätzung sich selbst gegenüber", sagt Hinckel. Deswegen nutzt sie das Papier auch bei ihrer kunsttherapeutischen Arbeit. Die Kunstpädagogin arbeitet 20 Stunden in einer psychosomatischen Reha-Klinik. Auch mit den Patientinnen und Patienten gestaltet sie Notizbücher aus Altpapier.
Alles möglichst nachhaltig
Auch der Nachhaltigkeitsgedanke spielt bei Hinckel eine große Rolle. Sogar ein paar Regale sind aus alten Kartons gebaut. In und auf den Regalen liegen die selbst gebastelten Notizbücher und Ringblöcke. Eigentlich ist hier fast alles Second Hand. Die massive, silberne Druckpresse hat die 37-Jährige gebraucht gekauft, die Stühle im Workshop-Raum, der gleichzeitig die Küche ist, hat sie auf dem Sperrmüll gefunden. Getrunken wird aus Weckgläsern oder gesäuberten Marmeladengläsern. Hinckel versucht so wenig neue Produkte zu benutzen, wie möglich.
Ihr Hauptprodukt, das Papier, kommt fast ausschließlich aus dem Altpapier und wird weiter verwertet. Oft sind das auch alte Briefumschläge. Da muss sie dann sortieren und darauf achten, dass keine Namen oder Adressen mehr zu sehen sind. Mittlerweile arbeitet sie auch mit Museen und Theaterhäusern zusammen, zum Beispiel mit dem "Forum Freies Theater Düsseldorf", dem FFT. Von den Kultur-Einrichtungen bekommt sie alte Veranstaltungsplakate, Werbung oder Spielpläne. Daraus gestaltet sie unter anderem neue Notizbücher, die an den Theaterkassen verkauft werden.
Was viel nicht wissen: Die Herstellung von Papier, Pappe und Karton belastet das Klima und schädigt die Wälder. Für ein Kilogramm Kopierpapier, also 200 Blätter, werden circa 500 Liter Wasser verbraucht. Bei der Produktion von Recyclingpapier sind es etwa 165 Liter. Aber auch das landet oft nach einmaliger Nutzung im Müll. Laut Umweltbundesamt können durch die Produktion von Papier auch gefährliche Chemikalien in Gewässer gelangen.
Alle willkommen in der "Schnittstelle Kunst"
Ricken und Fernández haben mittlerweile ihre 50 Papierseiten ausgewählt. Jede einzelne ist verschieden. Sie schneiden sie zurecht und legen sie übereinander, dann geht es an die Stanzmaschine.
"Einmal war eine Frau mit ihrer dementen Mutter hier. Sie haben gemeinsam ein Buch gemacht. Erinnerungen kamen hoch und die Mutter war früher eine exakte Person im Beruf und das kam wieder raus, das Papier musste exakt und gleich geschnitten sein", erzählt Hinckel. "Es ist nicht, als würde die Zeit hier still stehen, aber als würden die Uhren hier ein bisschen langsamer ticken."