Eine Frau mit Brille und schulterlangen Haare trägt eine Brille und eine bunte Jacke.

Tischfußball: Warum das mehr als Kickern in der Kneipe ist

Dortmund | Heimatliebe

Stand: 19.01.2024, 14:50 Uhr

Weltmeisterschaft, Bundesliga, Deutsche Meisterschaft - Nina Schütz hat (fast) alles gewonnen. In einer Sportart, die viele nur aus dunklen Eckkneipen kennen: Kickern. Wer das richtig gut kann, spricht ohnehin von Tischfußball. Eine Reportage über einen Sport, der um Anerkennung kämpft. Und über eine Frau, die durch zu viel Druck fast den Spaß am Spiel verloren hatte - und die eben doch nicht ohne kann.

Von Ann-Kristin Pott

Mit dem einen Fuß steht Nina Schütz auf Zehenspitzen, der andere steht fest auf dem Boden. Sie schaut konzentriert auf den Tischfußball-Tisch und verfolgt den Ball. Kontrolliert und schnell schiebt die 34-Jährige die Stange mit den Kicker-Figuren zu sich, passt den Ball in Sekundenschnelle von Figur zu Figur und knallt ihn mit lautem Scheppern ins Tor.

Schütz hat sich gerade mit ihrer Doppel-Partnerin Stefanie Wehrenfennig auf den zweiten Platz der Vorrunde der NRW-Landesmeisterschaften in Dortmund gespielt. Für das anstehende Viertelfinale spielen sich beide warm und besprechen sich. Schütz hat für solche Momente immer einen Ball in ihrer Tasche: "So wie andere einen Lippenpflegestift dabei haben, habe ich meine Kickersachen dabei."

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Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind nach Dortmund gekommen. Das Turnier findet in einer Schule statt. In den beiden Räumen ist ununterbrochen das Klacken der Drehstangen und Bälle der Spielerinnen und Spieler zu hören, die im Doppel und Einzel gegeneinander antreten. Wer hier spielt, spricht von "Tischfußball" statt "Kickern". Das ist auch Nina Schütz wichtig: "Jeder kennt Kickern, jeder hat es schon mal gemacht. Aber Tischfußball ist ein professioneller Sport, ohne Bier, ohne Kneipe und Gegröle. Wir spielen auf Hochleistungsniveau, mit viel Konzentration und Feinmotorik."

Voller Fokus auf das Spiel: Nina Schütz und Stefanie Wehrenfennig beim Turnier im Doppel

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Mehr als Kneipensport

Seit 2008 gibt es in Nordrhein-Westfalen einen Tischfußballverband. Er vertritt die 20 bestehenden Vereine mit ihren 96 Mannschaften. Das Alter der Spieler reicht von unter 13-Jährigen bis zu Seniorinnen und Senioren über 60 Jahren. Katja Serowy ist Präsidentin des Verbandes und spielt selbst seit 30 Jahren. Ihr Ziel ist die Anerkennung des Tischfußballs als professioneller Sport: "In NRW brauchen wir 2.000 Mitspieler, damit wir als anerkannter Sport gelten. Wir sind über die letzten zwei Jahre gewachsen und stehen bei 1.025 Spielerinnen und Spielern".

Eine Frau mit blonden, mittellangen Haaren lächelt in die Kamera. Im Hintergrund spielen Personen Tischfußball.

Katja Serowy ist Präsidentin des Tischfußballverbands in Nordrhein-Westfalen

Trotz des größer werdenden Interesses sei der Tischfußball "wie eine kleine Familie, man trifft sich auf den Turnieren. Meist sind es immer die Gleichen", sagt Serowy. Fast jede Woche gibt es Turniere in verschiedenen Städten. Serowy wünscht sich, dass der Sport mehr Ansehen in der Gesellschaft bekommt. Der Ruf einer Kneipensportart hält sich aber hartnäckig. "Dabei spielen wir auch in Sporthallen, es gibt Trikot- und Turnschuh-Pflicht", sagt sie.

Ein Traum wird wahr

Nina Schütz kennt beide Seiten der Medaille, die des Kneipen- und des Hochleistungssports. Sie spielt seit 14 Jahren, erzählt sie am Kickertisch in Dortmund und macht einen "Jet"-Schuss. Dafür legt sie ihr Handgelenk an die Stange, dreht sie um 360 Grad und fängt sie wieder mit derselben Hand auf. 2010 wurde sie in Nürnberg beim Kickern in einer Kneipe angesprochen, ob sie Lust auf regelmäßiges Spielen im Verein hätte. Da war sie 21 Jahre alt und wusste nicht einmal, dass es Tischfußball-Vereine gibt. Schütz war gut, aber von Weltklasse weit entfernt.

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Sie beginnt, regelmäßig zu trainieren. Das erste Ligaspiel endet in einem Desaster. "Wir haben alle Spiele verloren, waren ultra schlecht, obwohl wir uns nicht so gefühlt haben." Nur ein Jahr später gewinnt sie die Bayerische Meisterschaft im Einzel. Es ist ihr erster großer Erfolg. "Für mich war das so, als hätte ich gerade die Weltmeisterschaft gewonnen". Danach geht es für Schütz erst richtig los. 2013 gewinnt sie ihre ersten Deutschen Meisterschaften im Einzel und Doppel.

"Das hatten bis dahin nur ein oder zwei Damen überhaupt geschafft. Damit war ich direkt für meine erste Weltmeisterschaft qualifiziert, die war sechs Wochen später in Frankreich." Dort lernt Schütz Spielerinnen und Spieler aus aller Welt kennen. Durch die WM-Teilnahme wird der Deutsche Tischfußballbund auf Schütz aufmerksam. 2015 nominiert sie der Bund für den deutschen WM-Kader. Für Schütz geht ein Traum in Erfüllung: "Ich wollte immer Nationalspielerin werden." Den größten internationalen Erfolg feiert sie 2019: Vizeweltmeister mit dem deutschen Team.

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Zwischen WM, Bundesliga und Kneipenliga

2022 gewinnt Schütz auch die Bundesliga. In diesem Jahr spielt sie ihre letzte WM. Es läuft nicht gut. Der Druck wird zu groß, sie verliert den Spaß am Spiel und beschließt, eine Pause zu machen. Mit den großen Turnieren ist erst einmal Schluss. Aber ganz ohne geht es eben auch nicht. Deswegen spielt Schütz zum Beispiel noch in der Bochumer Tischfußball-Kneipenliga.

Dort treten die Teams regelmäßig in Bochumer Kneipen gegeneinander an. Ohne Trikots und Turnschuhe. Dafür mit lauten Zwischenrufen. Und das ein oder andere Bier ist auch okay. Das Niveau ist trotzdem hoch. Die Spiele wecken Erinnerungen an ihre Anfangszeit.

Ein Mann und eine Frau spielen in einer Kneipe Tischfußball.

Bei der Kneipenliga in Bochum wird auf hohem Niveau gespielt - auch ohne Trikots und Turnschuhe

Früher habe sie ihr Können auch mal ausgenutzt, sagt Schütz mit breitem Grinsen im Gesicht. In der Kneipe gilt die ungeschriebene Regel: Wer zu Null verliert, muss einen Schnaps ausgeben. Mit Anfang 20 ist sie gelegentlich mit einer Freundin in Kneipen gegangen und hat die Lokalmatadoren herausgefordert. Oft wird sie unterschätzt: "Die hatten keine Chance." Der größte Unterschied zu professionellen Spielern ist, dass sie "den Ball oft unkontrolliert nach vorne ballern. Beim Tischfußball bewegt man den Ball aber kontrolliert und schießt auf gezielte Positionen", erklärt Schütz.

Früher hat sich Nina noch mit Lokalmatadoren duelliert

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Comeback

Seit 2023 spielt die Bochumerin wieder Turniere, ganz ohne Druck. In Dortmund scheidet sie diesmal im Viertelfinale aus. Kurz blitzt der Ärger in ihrem Gesicht auf, dann reicht sie ihren Gegnern die Hand. Sie könne jetzt besser verlieren, sagt sie: "Mittlerweile kann ich sagen: Ihr habt gut gespielt und gewonnen. Vor einem Jahr wäre ich nach einer Niederlage vor Wut auf mich selbst nach Hause gefahren".

Zwei Frauen in Sport-Trikots sind von hinten zu sehen.

Tischfußball bei Olympia - das ist Ninas Wunsch

Wenn Schütz über die Zukunft spricht, geht es dabei vor allem um den Sport, weniger um sie: "Schön wäre es, wenn Tischfußball irgendwann olympisch wäre. Das würde ich gern noch erleben, dann wahrscheinlich eher als Seniorin oder Zuschauerin." Als Spielerin steht für sie aber erst einmal die Deutsche Meisterschaft in Bad Neustadt an der Saale am 19. und 20. Januar an. Mehr Turniere sind nicht im Kalender. Bloß nicht zu viel Druck aufbauen.