Klomann Wolle an seinem Arbeitsplatz

Club Turock in Essen: Mit Klomann Wolle durch die Partynacht

Essen | Heimatliebe

Stand: 29.07.2023, 10:43 Uhr

Der Rock Club Turock in Essen ist für viele eine Institution. Das liegt aber nicht nur an der Musik und den schrillen Outfits der Gäste, sondern auch an Klomann Wolle. Unsere Autorin hat eine Partynacht mit ihm durchgemacht.

Von Agata Pilarska

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Lieber Klo als Ruhestand

In zehn Minuten öffnet das Turock seine Pforten. Es ist 21.50 Uhr. In der Damentoilette im ersten Stock ist durch das offene Fenster Stimmenwirrwarr zu hören. Minute für Minute wird es lauter. Etwa fünfzig Gäste stehen schon vor der Tür. In neon-pinken Leggings, mit Jogginganzug und Vokuhila, oder eben ganz normal gekleidet. 80er-Jahre Party ist angesagt. Klomann Wolle wirft kurz einen Blick aus dem Fenster und kontrolliert dann den Spender für die Einmalhandtücher. Nötig wäre das nicht. Er weiß genau, wie er seinen Arbeitsplatz hinterlassen hat.

Der Einlass beginnt. Wolle setzt sich auf seinen Stuhl, der hinter einem runden Metalltisch gegenüber vom Eingang steht. Manche weiblichen Gäste gehen vom Eingang aus direkt ihrem Bedürfnis in einer der sieben Kabinen nach. "Hallo, mein Schatz!" begrüßt Wolle eine Frau. Sie drückt ihn, gibt ihm ein Küsschen auf die Wange. Dann berichtet sie, was sie in den letzten Wochen alles erlebt hat. Zehn Minuten in denen ihr Bedürfnis Wolle alles zu berichten mehr drückt, als die Blase.

"Schreibtisch" von Klomann Wolle

Man kennt sich hier eben. Seit über 15 Jahren ist Wolle jetzt Klomann: „Meine Frau hat früher hier gearbeitet. Das waren damals zwei Mädels, die sich immer abgewechselt haben. Dann musste eine aufhören. Und da hat meine Frau gesagt: Mein Wolle, der kann das auch. Und seit dem bin ich hier.“ Seine Frau ist inzwischen verstorben. Wolle ist geblieben. Früher war Wolle „Kohlenforscher. Bergmann“, sagt er und lächelt, während er den Boden wischt. „War schön.“ Seinen richtigen Namen will der 72-Jährige nicht nennen. Als Wolle kennt man ihn. Als Wolle ist er im Turock vor allem auf dem Frauenklo nicht mehr wegzudenken. Aber wie kann das sein?

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Das ist Klomann-Ehrensache

"Hast du Deo für mich?" fragt eine andere Besucherin. Hinter Wolles Sitzplatz befindet sich ein grauer Spind. Er greift hinein und reicht ihr die rosa-weiße Sprayflasche. Ein synthetischer Blumenduft macht sich breit. Die Frau bedankt sich freundlich und legt 50 Cent auf den Teller. Kurze Zeit später fragt eine andere nach einem Tampon. Wolle greift wieder in den Spind, reicht ihr eine Maxipackung. Sie bedankt sich und verschwindet. Haarspray und Bürste liegen auch in dem Spind, aber heute fragt niemand danach. Die 80er-Frisuren sitzen. Die Tanzfläche im Erdgeschoss füllt sich zu Madonnas „True Blue“.

Glas geht zu Bruch

Lokalzeit.de (WDR) 00:30 Min. Verfügbar bis 29.06.2024

Während einer Partynacht kommen manchmal 15 oder 20 Euro Trinkgeld zusammen. Im Turock werden auch Konzerte veranstaltet. Da können es mal 50 Euro werden. Bei Partys bekommt man eine Verzehrkarte, die man erst beim Verlassen des Clubs bezahlt. Auf Konzerten wird bar gezahlt. Da sitzt das Kleingeld lockerer, weiß Wolle. Seinen Stundenlohn verrät er nicht: „Es ist deutlich mehr als Mindestlohn“, sagt er.

Es mag verwunderlich klingen, aber dass ein Mann hier arbeitet, wundert selten jemanden. Entweder man kennt Wolle oder man ignoriert ihn. Es ändert auch nichts, dass er direkt gegenüber von der Eingangstür sitzt. Natürlich dreht Wolle auch regelmäßig seine Runden auf dem Herrenklo. Der Raum ist allerdings deutlich kleiner, seinen Tisch könnte er dort nicht hineinstellen. Im Laufe eines abends hört Wolle viele private Geschichten, die sich Freundinnen erzählen. Auch Heulausbrüche vor dem Spiegel kommen vor. Aber darüber hält Wolle dicht. Das ist Klomann-Ehrensache.

Gegen 2 Uhr nachts ist die Damentoilette rappelvoll: Alle Kabinen sind besetzt, etwa 15 weitere Frauen warten oder machen sich vor dem Spiegel zurecht. Eine Stammgästin greift seine Hand und macht eine Pirouette. Sie hat sich gerade eine Zigarette geschnorrt: "Aber du weißt ja Wolle, ich rauche nicht", sagt sie und zwinkert. Das Deo mit dem synthetischen Blumenduft ist heute sehr gefragt. „Wolle ist der Beste. Wenn ich heirate, wird er mein Blumenmädchen“, sagt sie. Wolle lacht. Er überprüft jede Kabine, und nickt "seinen Mädels" zu, wenn genug Klopapier da ist.

Eine Geschichte lässt sich Wolle dann doch entlocken.

Lokalzeit.de (WDR) 00:33 Min. Verfügbar bis 14.07.2024

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Bis zum Morgengrauen

Innerhalb der nächsten zwei Stunden leert sich die Damentoilette allmählich. Während ein paar letzte Gäste zu „Poison“ von Alice Cooper über die Tanzfläche stolpern, füllt Wolle Klopapier, Seife und Papierhandtücher auf. Er reinigt eine Toilette nach der anderen und schließt sie ab. Ganz im Rhythmus der immer weniger werdenden Besucher.

Die Nachtarbeit macht Wolle nichts aus. Unter Tage war es ja schließlich auch immer dunkel. Die Frage, warum er seine Rente nicht anders genießt, beantwortet er zunächst mit einem verdutzten Blick. Nach einer Weile sagt er: „Mir macht das Spaß hier. Ich kann mir viele Konzerte ansehen. Ich mag die Leute. Und an einem Abend wie heute, ist alles wunderbar.“ Inzwischen hat Wolle wieder eine Lebensgefährtin und freut sich auf das Frühstück mit ihr. Bis Wolle bei der letzten Kabine angekommen ist, zwitschern bereits die ersten Vögel im Morgengrauen.

Letzte Runde auf dem Herrenklo um fünf Uhr

Gegen 5 Uhr kommt nach mehrfachem Klopfen und Rufen eine Frau in Leopardenleggins aus der Klokabine. Der Alkohol hat sie zu einem Nickerchen verleitet. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hat, legt sie einen Fünf-Euro-Schein auf den Teller: „Wolle, ich hab dich so lieb,“ sagt sie und geht.