Ein Mädchen sitzt auf dem Boden einer Sporthalle, trängt Winterhandschuhe und eine Augenmaske und ertastet Gegenstände.

Wo gemeinsame Erfahrungen im Fokus stehen: Spielerisch zu mehr Inklusion an Schulen

Münster | Heimatliebe

Stand: 19.05.2024, 09:29 Uhr

Immer häufiger drücken Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam die Schulbank. Wie kann man da für gegenseitiges Verständnis sorgen? Eine Schule in Münster hat dafür einen Aktionstag mit einem besonderen Programm entwickelt.

Von Nicole Albers

Die Fingerkuppen der 13-jährigen Anna Köhler sind mit dickem Klebeband umwickelt. Trotzdem oder eben genau deshalb versucht sie, die Knöpfe eines Hemdes zuzuknöpfen. "Das ist ohne Gefühl in den Fingern echt schwierig", sagt Anna. Ein paar Meter weiter sitzt Mitschülerin Elif Asiltürk vor einer Schachtel mit Murmeln, Wäscheklammern, Ringen und Tischtennisbällen. Elif möchte sie sortieren. Auch das ist eine Herausforderung, denn sie trägt eine blickdichte Augenmaske und an den Händen dicke Handschuhe.

"Parcours der Sinne" gibt Einblick in Leben mit Einschränkungen

Die beiden absolvieren heute gemeinsam mit etwa 20 anderen Schülerinnen und Schülern einen "Parcours der Sinne". Er ist in der Turnhalle des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Münster aufgebaut. Damit sollen die Achtklässler einen Eindruck davon bekommen, wie sich der Alltag für Mitschüler mit Behinderung anfühlt.

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Fast 145.000 Schülerinnen und Schüler in NRW haben laut Statistischem Landesamt einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Etwa 65.000 von ihnen besuchen eine allgemeine Schule. Dort ist in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Schüler mit Förderbedarf kontinuierlich gestiegen. Inklusion bekommt deshalb eine immer größere Bedeutung an den Schulen in NRW. Ein Grund, warum es Angebote wie den "Parcours der Sinne" gibt.

Irgendwann "Inklusion" überflüssig machen

"Man spricht immer so viel über Inklusion. Hier können sie testen, wie man Aufgaben löst, wenn die Sinne eingeschränkt sind", sagt Vera Thamm, die den Parcours mitorganisiert hat. An verschiedenen Stationen werfen die Schüler einen Ball, wobei der Arm mit einer schweren Manschette umwickelt ist, laufen mit Taucherflossen an den Füßen um ein paar Kegel oder malen mit einer Brille, die die Sicht erheblich einschränkt, Bilder aus. "Man kann Behinderungen nie zu 100 Prozent nachempfinden, aber darum geht es auch gar nicht", sagt Thamm. "Die Jugendlichen sollen eine Selbsterfahrung machen."

Warum ist so ein Projekttag wichtig, Vera Thamm?

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Für die 33-Jährige ist das ein ganz persönliches Anliegen. Sie kam ohne Unterarme und Unterschenkel auf die Welt. Vor gut zehn Jahren wurde die ehemalige Paralympics-Schwimmerin Weltmeisterin im 50-Meter-Brustschwimmen. Mittlerweile ist sie Sport-Inklusionsmanagerin beim katholischen Sportverband DJK in Münster. Das Ziel des Verbandes ist, das Wort "Inklusion" irgendwann überflüssig zu machen.

Spaß am gemeinsamen Sport

Nachdem die Kinder Erfahrungen im Parcours gemacht haben, gesellen sich zu den Achtklässlern des Gymnasiums ein paar Jugendliche einer Münsteraner Förderschule dazu. Gemeinsam spielen sie in zwei bunt gemischten Mannschaften Fußball: Jungen wie Mädchen, Kinder mit und ohne Behinderung. Es dauert nur wenige Minuten und schon sind die anfänglichen Hemmungen verpufft. Nach jedem Tor jubeln sie gemeinsamen.

Lehrerin Janina Kuhlmann steht am Spielfeldrand und schaut zu. Sie hatte die Idee zu dem Projekttag. "Ich möchte gern mehr Inklusion an unserer Schule erreichen", sagt sie. Zwar sei das Gymnasium eine inklusive Schule, an der auch Kinder mit unterschiedlichem Förderbedarf unterrichtet werden, "aber gesamtgesellschaftlich gibt es noch viel zu tun."

Jugendliche sollen Verantwortung tragen

Durch das Sportprojekt möchte sie den Jugendlichen zeigen, dass sie auch im Kleinen zu etwas Großem beitragen können. Und es gibt noch einen Grund für den Projekttag: In diesem Jahr finden die Special Olympics NRW in Münster statt, vom 22. bis zum 25. Mai. Rund 1.500 Athletinnen und Athleten mit geistiger Behinderung treten in 18 Sportarten gegeneinander an.

Anna Köhler lächelt direkt in die Kamera.

Anna Köhler wird bei den Special Olympics auf dem Feld stehen

Viele Jugendliche vom Gymnasium werden bei einem Handballturnier zum Anfeuern dabei sein, einige auch aktiv, wie Anna Köhler. Sie wird als Anspielerin bei dem Turnier auf dem Feld stehen. Ihre Aufgabe ist, die Spieler und Spielerinnen anzuspielen, damit jeder mal den Ball bekommt. "Ich finde es cool, mich zu engagieren", sagt sie. "Ich spiele selbst auch Handball, bin außerdem Jugendtrainerin und finde das einfach gut, wenn Menschen mit Behinderung Angebote bekommen."

Über dieses Thema haben wir am 22.02.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.