Alle unter einem Dach: In diesem Haus wird Gemeinschaft großgeschrieben
Städteregion Aachen | Heimatliebe
Stand: 05.10.2024, 12:37 Uhr
Rita Reckmann hat 40 Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. Sie alle wohnen im Patchworkhaus in Aachen. Jung und Alt treffen hier aufeinander. Warum das Haus mehr ist, als nur vier Wände und ein Dach über dem Kopf.
Von Lea Wessels
Rita Reckmann steht vor einer großen weißen Tafel, die direkt am Eingang zum Hof des Mehrgenerationenhauses hängt. Mittagessen vorbereiten, Rasen mähen und Gartenlaube entrümpeln steht unter anderem drauf. "Du kannst gerne vorne das Beet von Unkraut befreien, das hat es dringend nötig", sagt die 83-Jährige zu Mitbewohnerin Sylvia Bagall. Zusammen gehen sie die offenen Aufgaben für den Tag durch. Es ist Werkstattsamstag im Patchworkhaus. Gemeinsam wird aufgeräumt, umgeräumt und repariert.
Rita Reckmann (rechts) hat den Überblick über die Aufgaben
Reckmann ist die älteste Bewohnerin und gute Seele des Hauses. Die ersten Bewohner sind 2017 in das Mehrgenerationenhaus im Aachener Stadtteil Forst eingezogen. Auf einem ehemaligen Garagenplatz sind gut 15.000 Quadratmeter Wohnfläche entstanden, verteilt auf insgesamt 19 Wohnungen.
Während Bagall losgeht, um Unkraut zu zupfen, macht sich Reckmann auf den Weg in die Küche. Sie hilft heute der Kochgruppe. Die Kinder des Hauses haben sich bereits im Garten versammelt und entrümpeln die Gartenlaube. Das bunte Treiben im Mehrgenerationenhaus beginnt früh an diesem Wochenende.
Hier werden traurige und schöne Momente miteinander geteilt
Reckmann hat sich ganz bewusst für diese Wohnform entschieden. Als ihr Mann Gert an Demenz erkrankte, wünschte sie sich ein Umfeld mit vielen Kindern für ihn. "Er war Lehrer und in der beginnenden Demenz, wenn Kinder da waren, das war sein großes Glück." Den Zusammenhalt im Patchworkhaus spürte Reckmann besonders, als kurz nach ihrem Einzug ihr Mann stirbt.
Wie die Kinder auf den Tod von Rita Reckmanns Ehemann reagiert haben
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Das Wohnkonzept ist noch eher eine Seltenheit. In Aachen leben die meisten Menschen in Einpersonenhaushalten. Laut dem Statistischen Landesamt NRW sind es 54,7 Prozent. Für ganz NRW zeigt sich außerdem: Je älter die Menschen, desto häufiger wohnen sie alleine. Fast 40 Prozent der Menschen über 65 Jahre lebt alleine.
Sich gegenseitig zu unterstützen, füreinander da zu sein und gemeinsam den Alltag zu bewältigen, das ist das, was hier alle Bewohner motiviert. Reckmann schnippelt inzwischen in der Küche das Gemüse für das Mittagessen. Ihr hilft heute Jessica Walczak. Die 39-Jährige ist seit einem schweren Autounfall halbseitig gelähmt. In dem Wohnprojekt hat sie ein richtiges Zuhause gefunden: "Wenn ich irgendwie Hilfe brauche, dann kann ich direkt zu Nachbarn gehen. Ich kann sie immer fragen und muss mich nicht schämen."
Jessica Walczak hilft bei der Essensvorbereitung für die Bewohner und Bewohnerinnen
Reckmann steht neben Walczak und legt ihr eine Handvoll Tomaten auf den Tisch. Vor Walczak liegt ein Brett, in das horizontal ein Nagel ragt. Auf ihn steckt die 39-Jährige die Tomaten und schneidet sie. "Wir haben eigentlich ein ganz gutes Training als kleines Team", erzählt Reckmann, während sie Möhren schält. "Mittwochs kochen wir immer zusammen mit Jessi. So kann sie auch ein bisschen Hand anlegen."
Ohne Toleranz geht es nicht
Reckmann unterstützt und hilft gerne. Trotz der vielen positiven Aspekte weiß sie auch um die Herausforderungen, die diese Art des Zusammenlebens mit sich bringt.
Eine gute Selbstverwaltung gehört beim Zusammenleben dazu
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Auf die Frage hin, was Reckmann sich für die Zukunft im Patchworkhaus wünscht, hält sie kurz inne. "Man erwartet ja immer, dass Menschen sich ändern", sagt Reckmann und macht eine kurze Pause, "und manchmal denke ich, das sind alles erwachsene Leute. Die sind halt, wie sie sind. Das heißt, wir müssen eigentlich miteinander Toleranz üben."
"Essen ist fertig, ihr Lieben, Essen", ruft Reckmann kurze Zeit später durch den Hof. Schnell versammeln sich alle um die Tische. Auch die 83-Jährige kommt jetzt zur Ruhe und findet Platz auf einer der Bänke. So endet der Werkstattsamstag für sie und die anderen Bewohner des Hauses, wie sie es am liebsten haben: in bester Gesellschaft.
Über dieses Thema haben wir auch am 19.08.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Aachen, 19.30 Uhr.