Früher Nachmittag am Hauptbahnhof Münster. Wolfgang Müller kommt wie an jedem Arbeitstag mit der Bahn aus dem nahegelegenen Drensteinfurt, seinem Wohnort. Der 79-Jährige schiebt sein elektrisch unterstütztes Rennrad aus dem Zug auf den Bahnhofsvorplatz und meldet sich mit seinem Handy per App für seinen Arbeitgeber Lieferando einsatzbereit.
Lieferando in Münster: Ein 79-Jähriger im Sattel
Kurz darauf der erste Auftrag. Eine Arztpraxis hat Essen von einem Restaurant in der Innenstadt bestellt. Müller hat ein bisschen Mühe, auf das Rad zu kommen. Sein entzündeter linker Fuß macht ihm seit Wochen Probleme. Doch sobald er im Sattel sitzt, kommt er gut voran in der typischen orangen Lieferando-Kluft, auf dem Rücken der etwas klobige Rucksack für das Essen.
Dann - wie soll es in diesem Sommer anders sein - beginnt es heftig zu regnen. Etwa eine Stunde und zwei Bestellungen später zieht Senior Müller seine tropfnasse Regenhose wieder aus. Er liefere gerne Essen aus, Radfahren sei sein Hobby, sagt Müller.
"Und da habe ich mir gedacht: Warum soll ich mir das nicht bezahlen lassen?", sagt der radelnde Rentner. "Nur die manchmal schlechten und engen Radwege und die Ampelschaltungen in Münster sind ärgerlich." Und eine Marotte der Münsteraner missfällt ihm:
Laufen und Leichtathletik waren früher seine Leidenschaft
40 bis 50 Kilometer fährt der 79-Jährige an einem Arbeitstag durch Münster. "Kein Problem für mich, mein Körper ist Druck gewöhnt", sagt der frühere Leistungssportler. "Ich bin 50 Marathons gelaufen, vier Mal 100 Kilometer und noch so einige Distanzen dazwischen. Wenn ich danach nicht auf dem Treppchen stand, war ich nicht zufrieden."
Aber nur zum Spaß arbeitet er nicht als radelnder Essenslieferant. "Mich hat mal einer kräftig beschissen, da musste ich einen Kredit aufnehmen und dafür brauche ich Geld zum Abzahlen", erzählt Müller. "Wer gibt mir in meinem Alter denn noch einen Job?"
Manchmal hat das Alter Vorteile
Seit dreieinhalb Jahren ist Müller nun festangestellt für Lieferando in Münster unterwegs. Irgendwann habe er dort nachgefragt, ob noch jemand älter sei bei dem Lieferdienst. Die Antwort: Mit 79 ist er wohl der älteste Lieferando-Fahrer in Deutschland.
Er sei dem Unternehmen dankbar, dass es ihm in seinem Alter noch eine Chance gebe. Und manchmal habe das Alter sogar Vorteile. "Ein Kunde hat mich mal gefragt: 'Sie sind doch bestimmt schon lange Rentner, oder?'", sagt Müller. "Da ging der wieder in die Wohnung, holte sein Geld und hat mir noch einen Fünfer Extra-Trinkgeld gegeben."
"Lerne viel von den anderen Fahrern"
In der überwiegend jungen Lieferando-Szene in Münster ist der radelnde Rentner bekannt. Wenn er auf das bestellte Essen wartet, spendieren ihm einige Restaurants ein Getränk.
Er fühle sich wohl unter den jungen Menschen, sagt Müller. "Und ich lerne viel von den anderen Fahrern. Die haben oft ausländische Wurzeln und ich rede mit denen dann über ihre Kultur." Und wie lange will er noch vier bis fünf Mal in der Woche auf's Rad steigen und Essen durch Münster bringen? "Solange mein Körper das mitmacht", ist seine klare Ansage. Allerdings: Im November wird Müller 80. Dann wolle er zumindest ein bisschen kürzer treten.
Über das Thema haben wir am 11.08.2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.