Am Vormittag im Flussbett Hotel. Lisa Fritzsche und Petra Merschbrock schieben einen Putz- und Wäschewagen durch den Hotelflur. Für die beiden Schwerbehinderten beginnt nach der Vorbereitung des Frühstücks die Arbeit auf den Etagen. Trotz Einschränkung können die beiden Frauen in ihrem Traumjob arbeiten. "Jeder Tag ist eine Überraschung und jedes Zimmer ist eine Überraschung, wenn man es aufmacht", sagt Fritzsche, die seit einem Jahr im Housekeeping arbeitet.
Dem geschulten Auge der 33-Jährigen entgeht im Badezimmer nichts. Der Blick wandert zum Spiegel: "Ich sehe Fingerpatscher, die müssen weggemacht werden." Auf einem Lappen sprüht sie Reinigungsmittel und wischt langsam über das Glas. Fritzsche ist seit der Geburt motorisch eingeschränkt. Schwierigkeiten hat sie vor allem mit der Beweglichkeit und Kraft. "Ich bin nicht so belastbar. Es gibt Momente, in denen ich einfach auch Zeit für mich brauche. Es wird aber von Tag zu Tag besser und ich bin super froh, hier arbeiten zu können. Das ist der richtige Ort für mich."
Fast die Hälfte hat eine Schwerbehinderung
Das Flussbetthotel liegt mitten in der Stadt und doch im Grünen. Das Hotel ist ein Inklusionsbetrieb des Wertkreises Gütersloh, einem sozialen Dienstleistungsunternehmen mit rund 2500 Mitarbeitenden. Dessen Ziel ist es, Menschen mit Behinderung für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren, also für den normalen Arbeitsmarkt, auf dem Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse bestehen. Das Flussbetthotel beschäftigt 24 Mitarbeiter, darunter zehn mit einer Schwerbehinderung. Sie kümmern sich um 24 Zimmer, ein Restaurant und Tagungsräume.
Auf dem ersten Arbeitsmarkt sind Orte wie das Flussbetthotel immer noch eine große Seltenheit. Das legen auch aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit offen. Zwar sei die Zahl der schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kontinuierlich gestiegen – der Wachstumstrend sei allerdings durch die Corona-Pandemie gestoppt worden und habe zuletzt stagniert. Im vergangenen Jahr seien mehr als 160.000 Menschen mit Behinderung arbeitslos gewesen.
"Nicht jeder Mensch mit Behinderung gehört in eine Werkstatt"
Zurück im Flussbetthotel. Während Lisa Fritzsche noch im Badezimmer beschäftigt ist, bezieht Petra Merschbrock nebenan das Bett neu. Auch die 47-Jährige ist motorisch eingeschränkt. Das Sprechen fällt ihr schwer. Bei jedem Kissen, dass sie bezogen hat, muss sie außerdem länger überlegen, wo und wie es aufs Bett kommt. Sie wirkt unsicher, trotzdem ist sie seit acht Jahren glücklich über ihre Position hier.
Merschbrock hat vorher in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gearbeitet. Dort hat sich die Rheda-Wiedenbrückerin gar nicht wohlgefühlt. Eine Veränderung musste her: "Weil ich gemerkt habe, dass die Werkstatt nicht der richtige Ort für mich ist, um glücklich zu sein. Es gehören nicht alle Menschen in eine Werkstatt. Ich habe ja auch nur eine kleine Einschränkung, dass ich mit Stress nicht umgehen kann. Und für mich macht es einen großen Unterschied, hier zu arbeiten, weil ich hier einfach Anerkennung für meinen Job bekomme. Von den Mitarbeitenden und den Gästen."
Neues Gesetz soll Inklusion verbessern
Für Hoteldirektorin Dietlind Maaß ist Inklusion eine Herzensangelegenheit - für die es aber auch Unterstützung braucht. "Wir brauchen allein schon mehr Personal, um die Kolleginnen und Kollegen mit einer Behinderung nicht zu überfordern. Die Politik will auf der einen Seite alle Menschen auf den Arbeitsmarkt bringen, auf der anderen Seite gibt es aber zu wenig Fördermöglichkeiten. Wir brauchen eine bessere finanzielle Unterstützung."
Das Gesetz sieht insbesondere vor, dass Firmen höhere Abgaben zahlen, wenn sie trotz Verpflichtung keine Menschen mit Behinderung beschäftigen. Unter anderem soll deshalb die sogenannte Ausgleichsabgabe geändert werden. Die müssen Firmen zahlen, wenn sie keine Schwerbehinderten beschäftigen, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Für Arbeitgeber mit mindestens 60 Arbeitsplätzen gilt künftig, dass sie pro nicht besetztem Pflichtarbeitsplatz 720 Euro monatlich zahlen müssen - bislang ist es die Hälfte.
Höhere Auflagen für Unternehmen und Betriebe
Betriebe mit 40 bis 59 Beschäftigten müssen zwei Arbeitsplätze für behinderte Menschen vorsehen. Betriebe mit weniger als 40 Angestellten einen. Die Ausgleichsabgabe ist umso höher, je weniger Betriebe ihren Verpflichtungen nachkommen. Das neue Gesetz gilt ab 2024. Die Mittel aus der Ausgleichsabgabe sollen für die Förderung von Menschen mit Schwerbehinderungen auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden.
Es geht um Gleichberechtigung
Barrieren für Menschen mit Behinderung abbauen. Das wünschen sich Fritzsche und Merschbrock. Die beiden haben alle Zimmer für die nächsten Gäste vorbereitet und genießen mit Hoteldirektorin Maaß auf der Sonnenterasse des Restaurants noch einen Kaffee. Aus eigener Erfahrung wissen sie, dass Menschen mit Behinderung viel zu oft ausgebremst werden. "Es geht um Gleichberechtigung", sagt Fritzsche. "Die Menschen, die arbeiten wollen, sollen auch gefördert werden. Hier im Flussbett Hotel zeigen und beweisen wir, wie es funktionieren kann."
Über das Thema haben wir auch am 25.10.2023 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.