Winterzauber
Es ist ein eisiger Wintermorgen, der Tau glitzert auf den Blättern. Und trotzdem hievt da jemand mit einer Mistgabel zerkleinerte Holzstücke auf eine Schubkarre. Unter der schwarzen Schiebermütze schauen graue Haare hervor. Zerbrechlich wirkt der 74-Jährige nicht, im Gegenteil: rüstig und fit. Heinz Raczek hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Vor allem im Gespräch mit Johannes Tangen, der gerade mit roter Arbeitsjacke, Mütze, Teekanne und Tasse in der Hand auf Raczek zugeht. Sie lachen und schaufeln gemeinsam die Holzstücke in die Schubkarre.
Der 37-jährige Tangen lebt mit neun anderen Personen auf dem Hof Bergmann. Sie sind zwischen Mitte 20 und Ende 30 Jahre alt und haben das Grundstück im Bochumer Stadtteil Laer 2012 gepachtet. Zwischen Autobahnen, ganz in der Nähe des ehemaligen Opel-Werks. Das klingt grau und trist, ist aber das Gegenteil. Das denkmalgeschützte Fachwerkhaus liegt versteckt zwischen Hecken und Bäumen. Zum Grundstück gehört ein Hofgebäude mit Scheune, ein Vorgarten, ein Holz-Schuppen und 2,6 Hektar Grünfläche. Die Idee: einen Ort zum Werkeln, Gärtnern und für Gemeinschaft zu schaffen.
Wohngemeinschaft erfüllt sich einen Traum
Das verwunschene Wohnhaus war damals unbewohnbar, die 60-jährige Besitzerin war froh, dass wieder Leben einkehrt und sich jemand kümmert. Es gab keinen Ofen, keine Heizungsanlage, die Küche hat die WG selbst eingebaut. Die Pacht war für zwei Jahre gedacht, mittlerweile lebt die WG seit zehn Jahren dort. Ein paar aus der Anfangstruppe sind noch da. Viele haben eine halbe Stelle, damit sie Zeit für den Hof und den Garten haben. Johannes Tangen hat sogar sein Masterstudium abgebrochen, um seine Zeit in den Gemeinschaftsgarten zu investieren. Eigentlich hat der 37-Jährige Lehramt studiert.
Ganz abgewandt hat er sich davon aber nicht. Denn er arbeitet als freiberuflicher Dozent für Permakultur und gibt Seminare an der Hochschule Bochum. Auch Schulklassen kommen her, lernen Pflanzen, Anbau, Gemüse und Obst kennen. "Der Gemeinschaftsgarten ist ein Lehr- und Lernort. Hier treffen Soziales, Bodenkunde, Bewässerung und ökologische Landwirtschaft aufeinander", sagt Tangen mit seiner Teetasse in der Hand. Er betont, dass er nicht für sich allein gärtnert. Es ist ein offener Gemeinschaftsgarten, der mit vielen Menschen aufgebaut wurde.
Grüne Oase mitten im Ruhrgebiet
Obwohl es hier im Winter keine bunten Blumen oder prall gefüllte Obstbäume gibt, hat der Garten etwas Mystisches. Der Garten ist verwinkelt. Es gibt Gewächshäuser, Beete, eine selbst gebaute Holzhütte mit Theke, gemütlichen Sesseln und Kicker. In einer Jurte ist genug Platz, um im Sommer zusammenzusitzen und Knoblauch zu schälen. In der Mitte des Gartens befindet sich ein hoher Aussichtsturm und eine Feuerstelle. Zum Faulenzen gibt es Hängematten und eine Schaukel. Alles selbst gebaut.
Der Gemeinschaftsgarten lädt zum Bleiben ein. Und dann sind da noch die eigentlichen Stars des Gartens: Pablo und Kalle. Die beiden Schweine sind schon von weitem zu hören. Sie wackeln grunzend über die Wiese durch den Schlamm. Die beiden haben längeres schwarz-weißes Fell und lange, spitze Hauer. Im ersten Moment wirken sie furchteinflößend. Doch schnell wird klar: sie wollen nur Hallo sagen.
Gemeinsam stark
Aber so romantisch all das klingt, in jedem Detail, in jeder selbst gebauten Hütte, jedem Blumenbeet steckt Arbeit. Auch im Winter. Der Landwirt von nebenan bringt Mist zum Düngen vorbei, Beerensträucher werden gestutzt, eine neue Bude aus geschnittenen Ästen gebaut. Nicht nur die WG packt an, sondern auch viele freiwillige Helferinnen und Helfer. So wie Heinz Raczek. Der 74-Jährige hat eigentlich eine Laube im Kleingarten nebenan. Trotzdem hilft er regelmäßig auf dem Hof Bergmann. Der Rentner fühlt sich wohl. Hier muss der Rasen nicht auf drei Zentimeter gestutzt werden und die Vögel können in den Beeten nach Würmern picken, ohne verscheucht zu werden.
Auch Familien, Nachbarn und Studierende kommen regelmäßig vorbei und genießen den Ausgleich zum stressigen Großstadt-Alltag. Sei es freitags zum Gartentag oder jeden ersten Samstag im Monat zum Hoftag. Dann wird gemeinsam am Haus gewerkelt, Beete angelegt oder Gemüse geerntet. Es geht der WG nicht nur um helfende Hände, sondern um Zusammenhalt. Sie wollen sich nicht abschotten. Andere sollen eingebunden werden, Teil der Gemeinschaft sein. Deswegen endet der Hoftag traditionell mit einem Lagerfeuer und gemeinsamen Abendessen – selbst gekocht, mit Gemüse aus dem Garten.
Herausforderung Zusammenleben
All das organisiert die WG in ihrer Freizeit. Als Hilfe und um neue Projekte zu starten, wurde vor zwei Jahren der gemeinnützige Verein "Hof Bergmann e.V." gegründet. Dadurch können mehr Aktionen möglich gemacht werden, zum Beispiel Kulturveranstaltungen. Manchmal braucht die WG aber auch einfach Ruhe und einen Rückzugsort. Im Gegensatz zum weitläufigen Außenbereich, müssen sie im Haus zusammenrücken. Auf zwei Etagen wohnen hier zehn Personen auf 100 Quadratmetern zusammen. Jeder und jede hat ein eigenes Zimmer, aber es gibt nur ein Bad und eine Küche mit Esszimmer – der Gemeinschaftsraum. An der Decke hängen Trockenregale mit Chilis, Pilzen und Kräutern. Geheizt wird mit einem Ofen.
Jede Woche gibt es eine Plenumssitzung, um zu besprechen, was anfällt. Aufgaben werden verteilt, über Projekte und emotionale Themen gesprochen. Natürlich gibt es auch in der WG manchmal Konflikte, vor allem, wenn verschiedene Meinungen aufeinandertreffen. Das Leben auf dem Hof Bergmann ist eben Arbeit und Zusammenleben zugleich. Darauf muss man Lust haben, so wie die WG jetzt. Sie möchten die Gemeinschaft, das Grundstück nicht missen, wissen aber auch: fertig, werden sie hier nie.