Hand in Hand spazieren sie durch Coesfeld. Alla Doronina und ihr Mann Wolodimir Efimov fühlen sich wohl in ihrer neuen Heimat. "Hier ist es sehr gut", sagt Doronina, "die Stadt gefällt uns sehr." Die 79-Jährige verbrachte fast ihr ganzes Leben in der Ukraine. Zuletzt lebte sie mit ihrem 75-jährigen Ehemann nördlich von Kiew in Tschernihiw. Dann wird im Februar 2022 ihre Heimat angegriffen. Tschernihiw ist einer der ersten Orte, die Russland bombardiert. Das Ehepaar flieht wenige Tage nach Kriegsbeginn.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine brachte Hunderttausende Menschen wie Doronina und ihren Ehemann nach Deutschland. Seit 2022 wurden laut Bundesinnenministerium rund 1,2 Millionen Flüchtlinge erfasst. "Wir waren zuerst in Polen, in Warschau", erinnert sich Doronina an ihre Flucht. "Wir beschlossen dann, nach Deutschland zu gehen, weil ich hier geboren bin. Ich dachte, dass ich vielleicht in die Nähe kommen würde." Und tatsächlich: Nach einigen Wochen in Berlin und Bad Salzuflen werden die beiden nach Coesfeld im Münsterland geschickt - zufällig. Und das ist ganz in der Nähe, nur 30 Kilometer entfernt von ihrem Geburtsort Steinfurt-Borghorst. Das entdeckte das Ehepaar auf einer Landkarte, als es nachschauen wollte, was es in der Gegend alles so gibt.
Während der NS-Diktatur in Deutschland geboren
Doroninas Eltern wurden 1942 während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter in ein Arbeitslager nach Borghorst verschleppt. Nach einem Fluchtversuch erschossen deutsche Soldaten beinahe ihren Vater. Doch das Gewehr hatte Ladehemmungen, erzählt sie.
Im Februar 1945 kam Doronina dann in Borghorst zur Welt. Kurz darauf endete die Zeit des Nationalsozialismus und die Familie konnte in die Ukraine zurückkehren. Doronina war noch ein Baby, erst wenige Monate alt. Ihre Mutter vernichtete ihre deutsche Geburtsurkunde. "In der Sowjetunion wurden die Menschen damals dafür verachtet. Meine Mutter befürchtete, dass sie in der Ukraine Probleme bekommen würde, wenn meine Geburt in Deutschland bekannt würde", erzählt sie.
1999 besorgte sich Doronina dann eine neue deutsche Geburtsurkunde. Darin steht der deutsche Name, den ihre Eltern ihr damals gegeben hatten: Annemarie Doronina. Diesen deutschen Namen hatten die Eltern in der Ukraine aus Vorsicht verschwiegen.
Auf Spurensuche im Münsterland
Doronina und ihr Ehemann sind jetzt oft bei der Flüchtlingshilfe in Coesfeld. Dort kümmern sich ehrenamtliche Helfer und Dolmetscher um sie. Die Helfer gehen mit dem ukrainischen Ehepaar auch auf Spurensuche. Im Archiv der Gemeinde Altenberge finden sie eine alte Liste mit sogenannten "Ostarbeitern". So nannte man in der Nazizeit verharmlosend Menschen, die verschleppt wurden und unter elenden Bedingungen für deutsche Unternehmen arbeiten mussten.
Auf dieser Liste steht auch Ignat Slesarenko, der Vater von Doronina. Die 79-Jährige macht sofort ein Foto von der Liste. Es ist ein wichtiges Dokument für sie, sagt sie. Es helfe ihr, ihre Vergangenheit kennenzulernen.
Coesfeld soll ihre neue Heimat werden
Und die Vergangenheit soll tatsächlich ihre Zukunft werden. Das Ehepaar will hier in Coesfeld bleiben und nicht in die Ukraine zurückkehren. "Es gefällt uns hier", erzählt Doronina, "und wir haben Angst, dass unser Haus in der Ukraine zerstört wurde und es gibt dort so viele Feindseligkeiten." Außerdem haben sie in der Ukraine niemanden mehr. Ihre Eltern sind vor einigen Jahren gestorben, ihre Schwester auch nach Deutschland geflohen. Der russische Angriffskrieg zerstörte Doroninas bisherige Heimat. Und brachte sie nun zurück zu ihren Wurzeln.
Über dieses Thema haben wir auch am 15.08.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr