Corinna bringt den Vokuhila zurück

Die Retro-Friseurin: Essenerin bringt den Vokuhila zurück

Essen | Heimatliebe

Stand: 11.06.2023, 10:39 Uhr

Vorne kurz, hinten lang. Ihre Kunden wissen, was sie von Corinna Schürmann erwarten können. Sie ist Friseurmeisterin in Essen und hat sich deutschlandweit einen Namen gemacht.

Von Agata Pilarska

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Die Frisur mit dem Retro-Vibe

Mit leuchtenden Augen bewegt sich Corinna Schürmann in ihrem Essener Friseursalon schnell um eine Kundin herum. Die 49-jährige Friseurmeisterin hat hellblondes, mittellanges und glattes Haar. Eine schlichte Frisur im Vergleich zu den Looks, mit denen ihre Kunden heute den Salon verlassen werden.

Die erste Kundin ist mutig: Ihre langen, rote Strähnen fallen zu Boden. Sie erwidert freudig aufgeregt Schürmanns Lächeln, während der lange Pony direkt vor ihren Augen mit dem Messer um 20 Zentimeter gekürzt wird. Schürmann arbeitet sich flink mit dem Messer zum Oberkopf vor. Das Haar am Hinterkopf rührt sie nicht an. "Ich sehe die Frisur vor meinem geistigen Auge, und dann lege ich einfach los", sagt Schürmann. 

Vorne kurz, hinten lang: In den 80ern noch Vokuhila genannt, entwickelt sich der Shag allmählich zur Trendfrisur. Shag bedeutet übersetzt Zottel. Das beschreibt die ungleichmäßig geschnittenen Stufen. Stars wie Miley Cyrus und Billie Eilish bringen jetzt den Retro-Style wieder in die Öffentlichkeit: Vor wenigen Jahren noch ist man Frisuren wie diesen höchstens auf Plattencovern aus den 70er und 80er Jahren begegnet.

Der Vokuhila im Schnelldurchlauf

00:29 Min. Verfügbar bis 02.05.2025

Schürmann hat sich innerhalb von zwei Jahren zu einer Koryphäe für Frisuren mit Retro-Vibe entwickelt. Als ihr Salon Coko Cut wegen der Pandemie schließen musste, hat sie nach Inspiration im Internet gesucht. Von dem Stufenschnitt mit dem wilden Pony war sie sofort begeistert, denn Schürmann liebt den Style der 70er Jahre. Sie nahm an einem Online-Seminar teil und legte los. Anfangs kamen zwei Kunden pro Woche für einen Shag. Inzwischen sind es drei oder vier pro Tag. 

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Der Shag als Erkennungsmerkmal

Die 21-jährige Kundin ist zusammen mit einer Freundin aus Kleve gekommen. "Eigentlich haben wir uns wegen der Haare angefreundet. Wir kannten uns vom Sehen, haben aber nie miteinander gesprochen", erzählt sie. Trotz prominenter Trägerinnen aus Amerika ist der Shag in Deutschland ein Erkennungsmerkmal für Leute, die sich einer alternativen Szene oder Subkultur zugehörig fühlen. Die beiden Freundinnen beispielsweise trennen altersmäßig zehn Jahre, aber der Haarschnitt verbindet.

Corinna bringt den Vokuhila zurück

Corinna Schürmann fotografiert ihr Kundin für Instagram

Eine von beiden hat Schürmann auf Instagram entdeckt. Nur wenige konventionelle Style-Posts findet man dort zwischen den Shag-Beauties, wie Schürmann ihre Kunden liebevoll nennt. Fotos auf Instagram hochzuladen ist für sie so wichtig geworden wie das Schneiden selbst, denn erst die Social-Media-Plattform hat sie bekannt gemacht. Über 350.000 Beiträge findet man unter dem Hashtag Shag. Bei den Beiträgen mit den meisten Likes taucht nur ein Name aus Deutschland auf: Coko Cut.

Es darf noch prolliger werden, als beim letzten Mal. Kunde von Corinna Schürmann
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Der Haarschnitt des Ruhrgebiets

Ein junger Mann kommt zur Tür rein. Er hat Schürmann auch über Instagram kennengelernt. Er hat dort gezielt nach jemandem gesucht, der ihm einen New Mullet, häufig nur Mullet genannt, schneiden kann. Die Kunden kommen aus ganz Deutschland und den angrenzenden Ländern in den kleinen Salon nahe der Partymeile Rüttenscheider Straße in Essen

Der junge Mann kommt zu Fuß. Zehn Jahre lang hat er Friseurbesuche gemieden, bevor er Schürmann im Sommer kennengelernt hat. "Es darf noch prolliger werden, als beim letzten Mal," sagt der 32-Jährige. Anfangs ist er aufgeregt, so ist das eben mit einer Friseurphobie. Aber Schürmanns lockere Art nimmt ihm schnell die Nervosität. 

Im Gegensatz zu den weichen Stufen des Shags sind beim Mullet die Kanten deutlich härter. Mullet ist die englische Bezeichnung für Vokuhila. In den 70ern von Stars wie David Bowie und Rod Stewart getragen, wurde die Frisur in den 80ern zu einem Massenphänomen. In Kombination mit Schnauzbart und Jogginganzug gilt die Frisur noch immer als Ruhrgebiets-Klischee: Wahrscheinlich hält es sich wegen der vielen Fußballvereine und den dazugehörigen Fans so hartnäckig. 

Corinna bringt den Vokuhila zurück

Der neue Haarschnitt ist eine Mischung aus Shag und Mullet.

Manchmal muss es eine Mischung aus Shag und Mullet sein, wie bei der nächsten Kundin. Sie ist 29. Wegen einer Aneurysma-Operation hat sie inmitten ihrer langen Mähne eine Stelle mit kurzem Haar. Mit einem Shag konnte Schürmann dafür sorgen, dass sie sich wieder wohlfühlt und trotzdem lange Haare behalten kann.