Wenn Rosetta Leone an ihrem Arbeitsplatz steht, sitzt jeder Handgriff. Routiniert formt die 65-Jährige den selbstgemachten Pizzateig aus. Mehl dazu, damit nichts klebt. Dann die hauseigene Tomatensauce. Heute darf die Pizza typisch italienisch sein. Also kommen Kapern, rote Zwiebeln und Sardellen drauf.
1968 hatte Rosettas Onkel Salvatore die gleichnamige Pizzeria in Oberhausen eröffnet. Drei Jahre später kam auch Leone aus Italien ins Ruhrgebiet und fing in der Pizzeria an. Damals war sie 13 Jahre alt.
Pizza-Kultur seit mehr als 50 Jahren
Während sie die Pizza vorbereitet, betritt eine Stammkundin den Laden und geht zwischen den Tischen und Bänken aus dunklem Holz entlang. "Hallo, schön, dass du hier bist", ruft Leone der Frau mit einem strahlenden Lächeln zu. Mit mehreren schnellen Bewegungen hebt sie den Pizzaschieber unter den Teigfladen und schiebt ihn in den Ofen. Innerhalb weniger Minuten wird der Teig goldbraun und knusprig, der Käse schmilzt und wirft Blasen.
Als Leone vor über 50 Jahren ins Ruhrgebiet kam, musste sich die italienische Küche erst noch etablieren. Das bevorzugte Essen im Ruhrgebiet hieß damals Reibekuchen und Bockwurst. An den "Pfannkuchen mit Tomatensauce" - so nannte man die Pizza damals wirklich noch - gewöhnten sich die Menschen am Anfang nur zögerlich. Dabei war Italien Ende der 1960er-Jahre das Sehnsuchtsland der Deutschen. Doch ein intensiver Kontakt mit der italienischen Küche wollte nicht aufkommen. Die Urlaubenden nahmen sogar ihre eigenen Kartoffeln mit.
Spaghetti mit der Schere zerschnitten
Nur langsam näherte man sich kulinarisch an. Aufnahmen von Deutschen, die Spaghetti mit der Schere zerschneiden, tun Leone noch heute in der Seele weh. "Die Gäste haben mir gesagt: 'Sonst machen wir uns die ganzen Anziehsachen dreckig.' Ich habe ihnen geantwortet: 'Dann müssen wir mal üben' und habe ihnen die Technik mit der Gabel gezeigt", erzählt Leone.
Die älteren Stammgäste des Ristorante Salvatore erinnern sich noch gut daran, dass auch sie zu Anfang mit der italienischen Küche fremdelten. "Das war nicht unsere Welt. Unsere Welt war die Frittenbude mit einer Frikadelle oder Pommes rot-weiß", sagt ein Gast.
Pizzeria soll "ein Zuhause" sein
Heute ist die Pizzeria in Oberhausen nicht mehr wegzudenken. Hunderte Pizzen wandern pro Woche in den großen silbernen Ofen. Margherita, Diavolo, Rustica oder die eigene Kreation mit Namen Salvatore, mit Schinken, Salami, Pilzen, Paprika, Thunfisch, Oliven und Artischocken. Meterhoch stapeln sich die vorgefalteten Pizzakartons.
Besondere Wünsche sind bei der Pizza-Kreation allerdings erlaubt. Für die Gäste soll die Pizzeria "ein Zuhause sein", sagt Leone. "Vor ein paar Tagen war ein kleines Mädchen da, die in Italien eine Pizza mit Pommes gegessen hatte. Warum nicht? Ich esse sie zwar nicht, aber ich habe sie ihr gebacken."
Die Zeit im Ruhrgebiet hat die 65-Jährige eben anpassungsfähig gemacht. Schließlich befindet sich die Region seit Ende der 60er-Jahre selbst in einem stetigen Strukturwandel. Nach 50 Jahren in Oberhausen - ist sie denn jetzt von Herzen Ruhrgebietlerin oder noch Italienerin? "Halb und halb", sagt Leone. "Wenn ich in Italien bin, bin ich gerne da. Und wenn ich dann zwei Wochen da bin, will ich wieder zurück."
Über das Thema haben wir am 07.06.2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.