Die Gruppe des Jugendkulturzentrums Chasak Hamburg steht auf der Bühne beim Jewrovision 2020.

Jüdisches Leben in Düsseldorf: Auf zur Jewrovision!

Düsseldorf | Heimatliebe

Stand: 14.05.2023, 12:33 Uhr

Den Eurovision Song Contest kennt jeder, aber schon einmal was von der Jewrovision gehört? Im Düsseldorfer Jugendzentrum Kadima bereiten sich jüdische Jugendliche auf das jüdische Großereignis des Jahres vor. Ein Besuch.

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Übung macht den Meister

Füße treten auf der Stelle, Arme hoch, runter, kurz stehen. Ein Sprung zur Seite, ein Schritt zurück, einer nach vorne, Drehung. Wäre der dunkelbraune Holzboden ein Spiegel, er könnte die Schrittfolge schon auswendig. Der Bass aus einer schwarzen Boombox vibriert über den Boden. "Eins, Zwei, Drei, Vier, mehr Spannung, let's go." Erik Schäfer nickt im Takt mit. Ernst und konzentriert dreinblickend schaut er in die Gesichter von rund zwanzig Kindern und Jugendlichen, die jüngsten sind 10, die ältesten 16 Jahre alt. "Zieht durch, mehr Spannung", sagt er. "Arme hoch, macht euch groß." Er versucht es ohne Musik, tanzt mit. "Könnt ihr bitte mal aufpassen? Ich kann die Schritte ja alle", sagt Schäfer, versucht ein sanftes Lächeln. Doch er ist nervös. Denn in weniger als vier Wochen wollen die Kinder und Jugendlichen des jüdischen Jugendzentrums Kadima in Düsseldorf mit ihrer Performance die Jewrovision gewinnen.

Jüdisch und stolz drauf

Die Kinder und Jugendlichen des Jugendzentrums Kadima proben für ihren Auftritt

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Das Highlight des Jahres: Jüdischsein feiern

Seit 2013 richtet der Zentralrat der Juden in Deutschland die Jewrovision aus: Europas größten jüdischen Musik- und Tanzwettbewerb, der an den Eurovision Song Contest angelehnt ist. Jüdische Jugendzentren und Verbände, dreizehn sind es 2023, davon fünf aus Nordrhein-Westfalen, treten bei der Jewrovision in Frankfurt gegeneinander an. Dafür covern sie bekannte Songs und führen diese mit eigener Choreografie und selbst geschriebenem Liedtext auf. Jede Gruppe reicht zudem ein Vorstellungsvideo ein, das ihre Gemeinde repräsentiert.

Beides bewertet eine Jury. Das diesjährige Motto: "Don't stop believing!" An die Show knüpft sich eine "Mini-Machane" an, eine Jugendfreizeit, bei der alle gemeinsam Schabbat, also den im jüdischen Glauben verankerten wöchentlichen Ruhetag, feiern. Teilnehmen dürfen Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren. Das Jugendzentrum Kadima gehört jedes Jahr zu einem Hauptanwärter auf den Titel. 2022 konnten die Jugendlichen den Video-Preis nach Düsseldorf holen. Für viele ist die Jewrovision das Highlight des Jahres.

Das ist die Jewrovision

  • Die Jewrovision ist der größte jüdische Gesangs- und Tanzwettbewerb Deutschlands und Europas.
  • Teilnehmen dürfen jüdische Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 19 Jahren aus ganz Deutschland gemeinsam mit dem Jugendzentrum ihrer jüdischen Gemeinde.
  • Der erste Jewrovision Song Contest wurde 2002 veranstaltet.
  • Mit über 60 teilnehmenden Jugendzentren und über 1.500 Jugendlichen ist der Song Contest das größte jährliche Event der Jüdischen Gemeinden in Deutschland.
  • Die Jugend-Begegnung (Mini-Machane) bildet den Rahmen des Song Contests, bei der alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen gemeinsam den Shabbat feiern und jüdische Traditionen vermittelt werden.
  • Die Jewrovision soll die jüdische Identität der Jugendlichen stärken und sichtbar machen.

"Bei der Jewrovision kommen jüdische Jugendliche aus ganz Deutschland zusammen – das ist etwas ganz Besonderes und stärkt die jüdische Community." Michael Kaplan ist seit 2016 Tänzer bei der Jewrovision. Bei Kadima nennen ihn alle Mick. Durch die Jewrovision hat er jüdische Freunde in ganz Deutschland gefunden. Es sei für ihn eine Ehre, Teil dieser Community zu sein. "Ich bin jedes Jahr stolz, wenn ich für Kadima antreten kann." Heute kann der 18-Jährige jedoch nicht mittanzen: Beim E-Scooter fahren hat er sich den Fuß verletzt.

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Kadima Düsseldorf - Heimat für jüdische Kinder und Jugendliche

Während die anderen Jugendlichen und Kinder an diesem Sonntagnachmittag Ende April Sneakers, Leggins, Jogginghose, T-Shirt und Sweatshirts tragen und versuchen den Anweisungen von Choreograf Schäfer zu folgen, trägt Kaplan Jeans und sitzt am Rand. Als einziger im Gemeinderaum trägt er eine Kippa, die traditionelle religiöse Kopfbedeckung jüdischer Männer. Sie ist blau mit weißem Davidstern. Kaplan ist im Jugendzentrum aufgewachsen. Sein Vater ist seit 2008 Rabbiner der Düsseldorfer Gemeinde. Schon mit fünf Jahren kam Michael Kaplan ins Jugendzentrum, mit 15 wurde er "Madricha", also Jugendbetreuer. "Ich bin von Herzen ein Kadima-Mensch. Und ich werde, egal wo ich lebe, immer für Kadima und für Düsseldorf sein. Das ist meine Heimat."

Michael Kaplan

00:24 Min. Verfügbar bis 08.05.2025

Die jüdische Gemeinde in Düsseldorf, die in Golzheim, nördlich der Innenstadt liegt, ist mit 7.000 Mitgliedern eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands - nur Berlin und München sind größer. Fast 90 Prozent der Mitglieder stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Kadima, was Hebräisch ist und so viel wie "Vorwärts" bedeutet, ist ein wichtiger Bestandteil des Gemeindelebens. Denn das Jugendzentrum bietet jüdischen Kindern und Jugendlichen einen geschützten Raum, einen Raum, in dem sie nicht komisch angeguckt werden, wenn sie einen Davidstern, eine Kippa oder ein Shirt mit hebräischen Schriftzügen tragen. "Wir wollen zeigen: Wenn du jüdisch bist, dann vergiss das nicht und steh dazu", sagt Kaplan.

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Jüdischsein prägt Identität und Alltag

Inzwischen ist es halb vier, Zeit für das Mittagessen. In den ersten beiden Stunden hat Kadima noch im Keller in der Yitzhak-Rabin-Schule geprobt, nun sind die Jugendlichen wieder zurück im Gemeindezentrum. In den Räumlichkeiten des Genia-Brecher-Seniorenzentrums im zweiten Stock gibt es auf weißem Plastikgeschirr koscheres Essen: Reis, Hühnchen, Gemüse. Der Geräuschpegel ist hoch, Techno-Musik mischt sich mit Gesprächsfetzen. Vor dem Essen sprechen die Jugendlichen das Tischgebet: "Baruch atta adonai elohenu, melech ha-olam, bore mine mesonot. Amen." (Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott; du regierst die Welt. Du hast verschiedene Arten von Speisen geschaffen).

Die Jugendlichen sprechen vor dem Essen das Tischgebet

Verfügbar bis 08.05.2025


Beten gehört für Michael Kaplan dazu. In der Schule ist er der einzige Jude. Zumindest der einzige, der offen eine Kippa trägt. "Erst letztens bin ich deswegen auf dem Schulhof von hinten angegriffen und geschlagen worden", sagt Kaplan, der im kommenden Jahr Abitur machen und danach Zahnmedizin studieren will. Das Jüdischsein und der Glaube seien Teil seiner Identität. Bei Kadima fühlt er sich Zuhause. Dieses Gefühl will er weitergeben. "Mir ist es wichtig, dass sich die Kinder hier genauso geborgen fühlen, wie ich mich immer gefühlt habe."

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Noch wenige Probestunden bis zur großen Show

Obwohl Kaplan heute nicht mittanzen kann, ist er den ganzen Tag bei der Probe dabei. Rund sechs Stunden lang. Mal schaut er zu, mal ist er in ein Gespräch vertieft, während die immer gleichen Bässe durch die Halle dröhnen. Als ein Junge zum wiederholten Mal nicht aufpasst, ermahnt er ihn: "Sam, jetzt pass doch mal auf". Erik Schäfer läuft da gerade mit seinem Tablet durch die Reihen, um die Aufstellung zu korrigieren. Kaplan stellt sich dazu, zeigt mit seiner Hand auf die Stelle, auf der sein Tanzkollege stehen soll. Zur Orientierung sind auf dem Boden weiße Klebestreifen befestigt. Hinter einer grauen Trennwand proben derweil fünf Sängerinnen und Sänger ihre Textpassagen. "Ich bin Kadima, also glaub ich an mich selbst" dringt hinter der Wand hervor.

Die komplizierte Schrittfolge

00:27 Min. Verfügbar bis 08.05.2025


Bis zur großen Show in Frankfurt am 19. Mai haben die Jugendlichen noch einige Probestunden vor sich. "Wir werden gewinnen", sagt Kaplan und lächelt. "Aber selbst wenn nicht: Hauptsache, die Kinder haben Spaß." Und Hauptsache er kann dann wieder auf der Bühne stehen und Kadima Düsseldorf stolz machen.

Anmerkung der Redaktion: Die Gruppe veröffentlicht vor dem Event kein Bild- oder Videomaterial von ihrer Performance.

Die Jewrovision 2023 fand am 19. Mai in Frankfurt am Main statt.