Leben nach der Brust-Amputation: Mehr Selbstwert durch Tattoos
Stand: 22.06.2024, 09:10 Uhr
Angelina Mengel hilft Frauen, denen wegen Brustkrebs eine oder sogar beide Brüste abgenommen werden müssen. Zwar kann man eine Brust wieder herstellen, aber meistens ohne Brustwarze. Dann hilft die Solingerin mit speziellen Tattoos.
Von Martin Henning (Text) und Christian Licht (Multimedia)
Langsam führt Angelina Mengel die Tattoonadel an Joana Zodets linke Brust. Den Bereich, auf den die Brustwarze tätowiert werden soll, hat sie mit einem Kugelschreiber umrandet. Mit mehreren Winkeln, Pfeilen und Markierungen sieht es fast aus wie der Grundriss eines Zimmers, den ein Architekt gezeichnet hat. In einer Art Farbkasten hat Mengel den passenden Hautton zusammengemischt. Behutsam sticht sie die Farbe unter die Haut, guckt dabei immer wieder auf ein Handyfoto der rechten Brust, das ihr als Vorlage dient. Die 37-Jährige wirkt hoch konzentriert. Außer dem stetigen Summen der Nadel ist es in ihrem Studio ruhig.
Tatsächlich ist Mengel eine Art Architektin. Nur dass sie keine Wohnungen und Häuser plant, sondern einen kleinen Neuanfang für Frauen, die den Brustkrebs überwunden haben. In ihrem Solinger Salon tätowiert sie Brustwarzen, die dem echten Körperteil täuschend ähnlich sehen.
Warum tätowiert Angelina Brüste?
00:20 Min.. Verfügbar bis 22.06.2026.
Bei ihrer Kundin Joana Zodet wurde vor sieben Jahren Brustkrebs diagnostiziert. Nach einer Chemotherapie musste der 41-Jährigen die linke Brust abgenommen werden. Aus eigenem Körpergewebe wurde anschließend eine Neue aufgebaut. Die Brustwarze konnte nicht transplantiert werden.
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Brust-Tattoos mit 3D-Optik
Mengel arbeitet bei ihren besonderen Tätowierungen mit Permanent Make-up. Anders als bei gewöhnlichen Tattoos sind die Farbtöpfchen, die sie benutzt, sterilisiert und werden nach der einmaligen Verwendung entsorgt. Die Kunst ist es, für jede Kundin genau die Form und Farbnuance zu finden, die ihrem eigenen Typ entspricht. "Es gibt so viele unterschiedliche Hauttöne bei Brustwarzen. Man muss schon ein gutes Gefühl dafür haben: Welche Farben kann ich gut untereinander mischen und welche Farbe kommt besser heraus, wenn ich sie verdünne?", erklärt Mengel.
Wenn der Kundin nur eine Brust abgenommen wurde, kann die 37-Jährige die andere Brustwarze als Vorlage nehmen. Für Frauen, denen beide Brüste abgenommen wurden, ist das schon schwieriger. Also kam sie auf die Idee, Frauen zu einem Fotoshooting einzuladen und einen eigenen "Nippel-Katalog" zu erstellen:
Was hat es mit dem "Nippel-Katalog" auf sich?
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Mengels Tattoos kommen mit 3D-Optik auf die Haut. "Dann sieht es wirklich aus, als würde die Brustwarze hervorstehen", sagt die Tätowiererin. Teilweise können die Farben auf der vernarbten Haut nachdunkeln. Wenn die Tätowierung aber nach Plan verläuft und die Farbe unverändert bleibt, muss diese nie wieder aufgefrischt werden. Jede Frau kommt nach der Behandlung noch einmal zur Nachkontrolle.
Kundinnen kommen aus ganz Deutschland
Angelina Mengels Arbeiten sprechen sich herum. Frauen reisen aus ganz Deutschland an, um sich von ihr tätowieren zu lassen. Für Mengel ist es nicht nur ein Job, der ihr Spaß macht. Sie will auch auf das Thema Brustkrebsvorsorge aufmerksam machen.
Volkskrankheit Brustkrebs
Brustkrebs ist in Deutschland die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau. 2020 sind nach Angaben des RKI 70.550 Frauen neu an Brustkrebs erkrankt. Etwa ein Prozent aller Neuerkrankungen betrifft Männer.
Als Risikofaktoren gelten eine frühe erste und eine späte letzte Regelblutung, Kinderlosigkeit und ein höheres Alter bei der ersten Geburt. Wer Verwandte hat, die an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankt sind, hat selbst ein höheres Risiko. Auch Hormonersatztherapien gelten als Risikofaktor.
Nicht zuletzt spielt der eigene Lebensstil eine entscheidende Rolle. Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) wiesen nach, dass durch den Verzicht auf Alkohol, Zigaretten, rotes Fleisch, süße und verarbeitete Lebensmittel sowie durch ausreichend Bewegung das Krebsrisiko deutlich gesenkt werden kann.
Nach drei Stunden ist Joana Zodets neue Brustwarze fertig gestochen. Weil ihre rekonstruierte Brust gefühllos ist, lief die Prozedur ganz ohne Schmerzen. Die 41-Jährige ist glücklich mit dem neuen Ergebnis: "Jetzt ist es ein bisschen entspannter, weil man nicht mehr die Blicke hat, wenn man sich im Fitnessstudio umzieht oder in die Sauna geht. Man ist nicht mehr so anders, weil da etwas fehlt, sondern komplett." Die Brust wird noch ein paar Tage geschwollen und gerötet sein, danach ist Angelina Mengels neuestes Kunstwerk perfekt.
Über das Thema haben wir am 19.04.2024 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.