Blick auf die Kirche in Bonn-Schwarzrheindorf

Wie ein Diebstahl Deutschland und Frankreich näher zusammenbrachte

Bonn | Heimatliebe

Stand: 02.11.2024, 09:22 Uhr

Eine Kirchenglocke verschwindet aus Bonn und taucht mehr als 100 Jahre später in Frankreich wieder auf. Was die Geschichte von Glocke "Michael" mit Napoleon, Konrad Adenauer und der deutsch-französischen Nachkriegsgeschichte zu tun hat.

Von Yunus Gündüz (Text) und Marica Bodruzic (Multimedia)

Im Herbst 1794 marschieren französische Revolutionstruppen im Gleichschritt durch Bonn. Sie haben Flinten und Bajonette geschultert, ihre Beine stecken in weißen Hosen und schwarzen Stiefeln. Vor wenigen Wochen haben die Soldaten die Stadt im Auftrag Napoleons besetzt. Es ist zu dieser Zeit, als die Menschen im Bonner Stadtteil Schwarzrheindorf die Glocke ihrer Kirche ein letztes Mal für lange Zeit schlagen hören.

Was genau mit ihr passiert ist, darüber gibt es keine offiziellen Aufzeichnungen. Der Bonner Heimatforscher Carl Bachem erklärt: "Es liegt nahe, dass die französischen Soldaten sie mitgenommen haben."

Der Bonner Heimatforscher Carl Bachem steht an einem Pult mit historischen Unterlagen

Der Bonner Heimatforscher Carl Bachem

Was damals noch niemand ahnen kann: Ausgerechnet dieser mutmaßliche Diebstahl legt den Grundstein für eine spätere Freundschaft zwischen einer deutschen und einer französischen Stadt.

Was macht die Glocke aus Bonn in Frankreich?

Rund 160 Jahre später: Mirecourt im Nordosten Frankreich, ein pittoreskes Städtchen mit rund 9000 Einwohnern. Durch die Altstadt fließt der Madon und unweit des Flusses steht die Kirche des Ortes. In dieser Kirche fällt dem damaligen Pfarrer Jean Noel eines Tages etwas Seltsames auf: Auf seiner Kirchenglocke ist nicht "Mirecourt" eingraviert, sondern der Name "Schwarzrheindorf". Der Geistliche nimmt Kontakt mit der Gemeinde Schwarzrheindorf auf. Es ist tatsächlich die Glocke, die seit Jahrzehnten als vermisst gilt und mutmaßlich von den französischen Soldaten mitgenommen wurde. Wohl, um zu Kriegsgerät eingeschmolzen zu werden. Doch irgendwie ist sie in Mirecourt gelandet.

Ende der 1950er-Jahre waren die deutsch-französischen Beziehungen noch stark durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg belastet. Dass der Pfarrer sich an die deutsche Gemeinde wandte, empfand Winfried Richarz deshalb als großes und selbstloses Zeichen, "sie haben dem ehemaligen Kriegsgegner die Hand gereicht". Richarz muss heute noch schlucken, wenn er das erzählt. Er war zu dieser Zeit Messdiener in Schwarzrheindorf.

Im März 1965 kehrt die Glocke mit dem Namen "Michael und Maria Magdalena" nach 170 Jahren nach Hause zurück. Richarz erinnert sich gut an den Tag, als die Glocke in einem Festakt durch die Straßen gezogen wurde.

Zeitzeuge Winfried Richarz erinnert sich an die Rückkehr der Glocke

00:25 Min. Verfügbar bis 02.11.2026

Eine Delegation aus Mirecourt kommt nach Bonn. Würdenträger und Politiker begleiteten die Glocke nach Schwarzrheindorf, vor Ort sind unter anderem der Bezirksbürgermeister von Beuel, der Bürgermeister von Mirecourt und der damalige Bundestagsabgeordnete Konrad Adenauer.

Die historische Bedeutung der Glocke

Die Glocke "Michael und Maria Magdalena" wurde 1636 gegossen und in Schwarzrheindorf angebracht. Sie hing und hängt in der Kirche St. Maria und Clemens, eine der wichtigsten romanischen Kirchen Deutschlands. Die Kirche ist unter anderem deshalb so bedeutsam, weil ihre eindrucksvollen Deckenmalereien aus dem 12. Jahrhundert sehr gut erhalten sind. Erst im 19. Jahrhundert wurden sie unter einer Farbschicht wiederentdeckt und anschließend restauriert.

Eine Glocke als Symbol deutsch-französischer Freundschaft

Die Glocke wird auf einem Wagen durch die Stadt gezogen, der mit den deutschen und französischen Farben geschmückt ist. Die Prozession ist ein emotionaler Akt der Freundschaft, keine zwanzig Jahre nach dem Krieg.

Als "Michael" in Bonn ankommt

00:49 Min. Verfügbar bis 02.11.2026

Mirecourt bekommt im Gegenzug für die Geste eine neue Glocke geschenkt. Das Land NRW stellt für die Kirche in Bonn-Beuel zudem sechs weitere Glocken. Aber etwas Geduld brauchte "Michael" kurz vor dem Ziel trotzdem noch: Der Bischof, der die Glocke segnen sollte, hatte eine halbe Stunde Verspätung. "Es ist aber keiner nach Hause gegangen, alle haben brav gewartet, bis er da war", erinnert sich Zeitzeuge Richarz.

Inzwischen ist die Glocke zu einem Symbol deutsch-französischer Freundschaft geworden. Und zwischen dem pittoresken Örtchen Mirecourt am Madon und Bonn-Beuel am Rhein hat sich eine ausgedehnte Städtepartnerschaft entwickelt.

Über dieses Thema haben wir auch am 09.10.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Bonn, 19.30 Uhr.