"Disziplin, Disziplin", sagt Hanadi el Khatib. Davon braucht sie im Fastenmonat Ramadan gleich eine doppelte Portion. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie "Hanadi Sweets", eine orientalische Bäckerei mitten in Bielefeld. Hier liegt Baklava in Hülle und Fülle in der Auslage, überall große Bleche und hohe Stapel mit Gebäck.
Während des Ramadan gibt es sogar noch viele Sorten mehr als sonst. Alles sieht verführerisch aus, es duftet herrlich süß nach Honig, Mandeln und Pistazien. Doch Naschen ist für die Chefin und ihre Mitarbeiter verboten. Auch el Khatibs elfjähriger Sohn Karim fastet. Freiwillig, betont er. Ganz leicht fällt es ihm aber nicht. "Das ist so lecker, ich würde so gerne essen", sagt er beim Anblick der vielen Süßigkeiten im Laden, "aber ich halte noch aus". "Karim ist ein kleiner Fresssack", sagt seine Mutter lachend und nimmt ihn in den Arm. Man merkt ihr an, wie stolz sie auf ihren Sohn ist.
Kundin Heidrun Schönberger hat fast ein schlechtes Gewissen, als sie einige der Leckereien kauft.
"Am Ende des Tages können wir ja essen", sagt el Khatib, "aber es gibt eben Menschen, die das nicht können und das soll man im Ramadan spüren". Spurlos geht das Fasten aber nicht an der gebürtigen Libanesin vorüber. Zwischendurch muss sie sich auf eines der Sofas im Laden setzen, legt sich eine Decke über den Körper: "Mir ist sehr kalt, weil sich der Körper erstmal daran gewöhnen muss, nichts zu essen oder zu trinken. Und da ich sowieso schon eine schmale Frau bin, fällt mir das an den ersten Tagen ein bisschen schwer."
Warum wird im Ramadan gefastet?
Während des Fastenmonats dürfen Muslime 30 Tage lang von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nicht essen, nicht trinken und nicht rauchen. Auch Sex ist in dieser Zeit untersagt. Dadurch soll eine Rückbesinnung auf das Wesentliche erfolgen und Bescheidenheit und Dankbarkeit gefördert werden. Der Ramadan, der zu den fünf Säulen des Islam gehört, endet mit dem Zuckerfest. In Deutschland leben nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge rund 5,5 Millionen Muslime, davon knapp 32 Prozent in NRW.
Nachtschicht in der Bäckerei
Auch an einen anderen Tagesablauf muss sich die Familie gewöhnen. Im Ramadan ticken die Uhren in der Bielefelder Baklava-Bäckerei anders als sonst. Tagsüber am Ofen arbeiten geht nicht: "Als Bäcker musst du einfach viel Wasser trinken wegen der Temperaturen in der Produktionshalle", sagt Khaled Kawas, el Khatibs Mann. Weil trinken aber erst nach Sonnenuntergang wieder erlaubt ist, wird nur in der Nacht gebacken, von 22 Uhr bis 4 Uhr morgens.
Es muss schließlich genug Ware da sein – die kleine Bäckerei hat im Ramadan manchmal zehn Mal so viele Kunden am Tag wie sonst. Die meisten kommen nachmittags fast auf einen Schlag, jeder will noch Leckereien für das Fastenbrechen am Abend kaufen. "Baklava und Ramadan gehören fest zusammen", sagt el Khatib.
Fastenbrechen mit Familie und Freunden
Wenn der Ansturm vorüber ist, geht el Khatib nach Hause, um das Essen für das Fastenbrechen am Abend nach Sonnenuntergang vorzubereiten, genannt Iftar. Stundenlang steht sie dafür in der Küche, bereitet Suppe, Salat und Fleisch vor. Den ganzen Tag ist die Bäckerei-Chefin umgeben von Essen, trotzdem kann sie ihren Hunger ausblenden. "Ich stehe auf, putze, bringe die Kinder weg, arbeite, bereite vor – da ist der Tag schon fast rum. Da denke ich gar nicht an Essen und Trinken", sagt sie und zuckt lachend mit den Schultern.
Insgesamt 15 Stunden lang verzichtet die Familie auf Essen und Trinken. Niemand rührt das Gebäck in der Auslage an. Nach Sonnenuntergang dürfen dann alle endlich zugreifen. Die Familie versammelt sich im Laden um einen Tisch, auch die Mitarbeiter sind dabei. Zu Beginn gibt es für alle eine Dattel und ein Glas Wasser. Dann folgt das üppige Essen.
"Das tut gut, Gänsehaut", sagt el Khatib nach den ersten Bissen. Viel isst sie nicht. Sie ist viel zu erschöpft vom langen Tag mit viel Arbeit, aber ohne Nahrung. Lohnen tun sich Aufwand und Aushalten im Ramadan für sie trotzdem jeden Tag: "Ich bin die reichste Frau der Welt. Das hier ist unbezahlbar, dass Familie und Freunde alle zusammen an einem Tisch sitzen." Dann legt sie den Kopf auf die Sofakante und murmelt "Mama ist k. o.".
Über dieses Thema haben wir auch am 20.03.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ostwestfalen-Lippe, 19.30 Uhr.