Der Fisch will zum Kunden
"Herzlichen Glückwunsch! War das geplant, du alter Fruchtzwerg?", fragt Heiko Hoffmann einen Mann und blickt lachend über seinen Verkaufstresen. Mit dem Finger zeigt er auf einen Kinderwagen, den ein junges Pärchen über den Attendorner Marktplatz schiebt. "Jaja", ruft der Papa der Zwillinge zurück. "Na ja, geplant war eigentlich nur eins", antwortet die Mutter. Hoffmann grinst. Dann wechselt der 61-Jährige in den Verkaufsmodus. "Habt ihr Interesse an einem Fischpaket für 20 Euro? Ich war heute Angeln."

Hoffmann greift ein weißes Papier, packt darauf eine Makrele, Lachs, Heilbutt und verschiedene Fischfilets. Für den Marktschreier ist das Alltag. Jedes Wochenende baut er seinen Verkaufswagen in einer anderen Stadt in Deutschland auf. Im Gepäck eine Tonne Fisch. "Ich habe da immer noch Spaß dran", sagt Hoffmann. Und das, obwohl er eher zufällig zu dem Job kam.
Von der Kneipe auf den Hamburger Fischmarkt
"Ich habe gedacht, Marktschreier sind alles Affen", erinnert sich Hoffmann. Das sagt er auch zu einem Freund, der ihm in den 90er-Jahren erzählt, dass sein Onkel Marktschreier ist und neue Leute sucht. "'Du wärst der ideale Partner', hat er gesagt. Ich antwortete, dass er sich ja melden kann. Allerdings hatte ich auch schon ein paar Bier intus. Immerhin waren wir in einer Kneipe."
Drei Tage später hat Hoffmann ein Jobangebot. Doch er ist skeptisch. Mehrere Wochen fährt er mit und schaut sich das Ganze an. Irgendwann drückt ihm ein Kollege das Mikrofon in die Hand. "Ich habe doofes Zeug erzählt und die Leute haben gelacht", erinnert sich Hoffmann. "Danach habe ich als Marktschreier angefangen. Eigentlich wollte ich das nur drei Jahre machen, jetzt sind es 31."
Marktschreier wie Hoffmann gibt es seit dem Mittelalter. In Deutschland kennt man sie vor allem vom Hamburger Fischmarkt. Dort verkaufen sie jeden Sonntag alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Zum Beispiel Fisch, Wurst, Obst oder Blumen. Die Händler fallen durch ihre lauten Stimmen und witzigen Sprüche auf. Gerne versuchen sie auch dem anderen die Kunden abzuluchsen. Die Marktschreier sind eine echte Touristenattraktion. Im Sommer kommen nach Angaben der Stadt Hamburg durchschnittlich 50.000 Menschen pro Markttag zum Fischmarkt an der Elbe.
Auch Hoffmann arbeitete acht Jahre lang auf dem Hamburger Fischmarkt. Heute kann er sich das nicht mehr vorstellen. "Die Leute sind alle angetrunken und erwarten Sprüche unter der Gürtellinie. Das möchte ich nicht mehr", sagt der 61-Jährige. Das muss er auch nicht, denn Alternativen gibt es genug, auch wenn viele Wochenmärkte in Deutschland und ihre Standbetreiber ums Überleben kämpfen. Für 2023 meldete das Statistische Landesamt einen Umsatzrückgang von knapp über zehn Prozent bei Wochenmärkten in NRW. Viele Marktschreier sind inzwischen so bekannt, dass sie zusammen durch ganz Deutschland reisen. So auch an diesem Wochenende in Attendorn.
Auf die Plätze, fertig, losgebrüllt
Für die Besucher ist Heiko Hoffmann heute nur "Aal-Hinnerk". Mittlerweile ist es später Vormittag. Das Pärchen mit den Zwillingen hat sein Fischpaket erhalten, neue Kunden sind schon da. Vor dem Wagen von Hoffmann hat sich eine Menschentraube gebildet. "Was willst du haben, mein Engelchen?", spricht er eine Frau an. Sie will einen Aal. Hoffmann greift nach dem geräucherten Fisch in der Theke, hält ihn nach oben und wackelt mit seiner Hand. Der Aal bewegt sich, als würde er schwimmen. "Der ist zehnmal größer als der von deinem Mann, mit Bewegung und ohne Batterie", brüllt er. Die Menge lacht.
Als Aal-Hinnerk hat Heiko Hoffmann immer einen flotten Spruch auf den Lippen. 00:56 Min.. Verfügbar bis 27.03.2027.
Dass Hoffmann auch weniger anzügliche Sprüche kann, zeigt sich kurze Zeit später. Während er eine Forelle und einen Heilbutt einpackt, lässt er seinen Blick über den Marktplatz schweifen. Ihm fällt eine Frau auf, die ihren Dackel trägt. Er nickt den Kunden an seinem Wagen zu: "Guck mal da. In Attendorn werden Hunde getragen. Ich glaube, der hat goldene Pfoten." Wieder fangen die Leute an, zu lachen.
Tagsüber Konkurrenten, abends Freunde
Dieses Lachen klingt wie Musik in Hoffmanns Ohren. "Wenn die Leute lachen, habe ich gewonnen", sagt er. Denn dann bleiben die Menschen stehen. Und zwar bei ihm und nicht bei der Konkurrenz. "Es macht mir Spaß, meine Kollegen fertig zu machen", sagt der 61-Jährige mit einem Augenzwinkern. Zumindest bis Verkaufsschluss. Denn nach Feierabend gehen Hoffmann und seine Marktschreier-Kollegen gerne zusammen ein Bier trinken.
So weit ist es heute noch nicht. Immer wieder schallen die Rufe der Marktschreier durch die Innenstadt. Mal versuchen sie Kunden auf sich aufmerksam zu machen, mal sticheln sie gegen die Konkurrenz. Die Wagen von Aal-Hinnerk und den anderen stehen rings um den Marktplatz, sodass sich alle sehen können. "Mit wem redet der da?", fragt Hoffmann und zeigt gegenüber auf den Stand von "Wurst-Toni". "Da steht doch gar keiner. Aber ich würde da auch keine Wurst kaufen. Davon kriegst du Durchfall." Lachend dreht sich ein Kunde um. "Was erzählst du da für einen Blödsinn? Dein Fisch stinkt", stichelt Wurst-Toni zurück. Dann ist wieder Ruhe zwischen den beiden.
Ein halbes Leben Marktschreier
Die Menschentraube vor Hoffmanns Wagen hat sich aufgelöst. Der erste Ansturm ist vorbei. Die beiden Theken sind fast leer. Hoffmann dreht sich um und öffnet die Tür zum Kühlraum. Er greift nach ein paar Aalen und Makrelen, füllt seine Auflage wieder auf. Mit einem Lappen wischt er über die Theke. Jetzt ist er bereit für neue Kunden. Nicht nur an diesem Tag, sondern auch in Zukunft.
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An die Rente denkt der Marktschreier noch lange nicht. Immerhin macht er den Job schon sein halbes Leben. "Ich mache das so lange, wie es mir gut geht. Wenn ich hier mit 70 noch doofes Zeug erzählen kann, dann stehe ich hier auch noch mit 70 Jahren", sagt Hoffmann. Dann wendet er sich einem neuen Kunden zu. Schließlich will er Fisch verkaufen.