Die Teilnehmenden des Trauerspaziergangs gehen über einen Feldweg.

Wie sich eine Viersener Gruppe die Trauer von der Seele läuft

Viersen | Füreinander

Stand: 01.10.2024, 12:28 Uhr

Schritt für Schritt wandern die Teilnehmenden des Trauerspaziergangs durch Viersen. Dabei bewältigen sie nicht nur mit jedem Schritt ein Stückchen ihrer Trauer, sondern finden auch wieder einen Teil ihrer Lebensfreude zurück.

Von Anke Hoffmann

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Die etwas andere Trauergruppe

Als Außenstehender könnte man meinen, dass es sich bei der zwölfköpfigen Gruppe, die da in Viersen-Beberich an der kleinen Kapelle steht, um einen Kegelklub oder eine Kaffeerunde handelt. Zwei Frauen in sommerlicher Kleidung und mit kleinem Rucksack über der Schulter umarmen sich herzlich. Ein Mann im T-Shirt tätschelt den Dackel eines anderen Mannes. Dazwischen läuft Angelika Lennertz umher: "Wer braucht noch eine Cap? Die Sonne knallt heute, ich habe noch welche." Die Runde lacht und keiner würde erahnen, dass der Grund, warum die Gruppe hier ist, gar nicht leicht und locker ist. Denn alle hier an der Kapelle haben einen geliebten Menschen verloren. Das hier ist keine Kegelklub-Runde, das hier ist ein Trauerspaziergang.

Lucie Kerpers hat vor zweieinhalb Jahren ihren Mann verloren

00:26 Min. Verfügbar bis 01.10.2026

Häufig bieten kirchliche Organisationen wie beispielsweise die Caritas oder die Diakonie Trauerangebote in NRW an. Doch im ländlichen Raum sind die Angebote seltener, dabei wird natürlich auch hier getrauert, weiß die ehrenamtliche Trauerbegleiterin Angelika Lennertz. Für sie ist Trauer ganz individuell, nicht nur im Empfinden, sondern auch im Umgang mit diesem Gefühl.

Für Lennertz war klar, dass sie nicht nur in einem Stuhlkreis mit Betroffenen ins Gespräch kommen möchte. "Ich wollte raus in die Natur. Hier in Viersen gibt es eine so schöne Landschaft. Da dachte ich mir, ich gründe diesen Spaziergang", erzählt die 68-Jährige von den Anfängen des Trauerangebotes. Das erste Mal losgelaufen sind sie vor sechs Jahren. Mittlerweile kommen etwa 35 Menschen zu den Spaziergängen. Nie alle gleichzeitig, sondern jeder so wie er mag.

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Sich gegenseitig Mut und Halt geben

Zweimal im Monat spaziert Lennertz durch Viersen. Startpunkt ist immer die Kapelle in Viersen-Beberich, von da aus wird je nach Wetter, Lust und Laune die Route durch die Felder und den nahe gelegenen Wald ausgesucht. Lucie Kerpers ist seit zweieinhalb Jahren Teil der Trauergruppe. Sie hat ihren Mann an Krebs verloren, ihn bis zuletzt gepflegt. "Ich hatte durch die Pflege meines Mannes kaum richtig Zeit mit ihm. Die Zeit war so kurz, ich hatte am Anfang ein sehr, sehr schlechtes Gewissen. Aber hier habe ich so oft gesagt bekommen, dass ich alles getan habe für meinen Mann. Langsam kann ich das glauben", sagt die 67-Jährige.

Hier beim Trauerspaziergang kann sie mit anderen über ihre Schuldgefühle reden, über ihre Trauer, aber auch über Fortschritte. "Ich war eine der Ersten aus der Gruppe, die alleine in den Urlaub gefahren ist. Und zwar genau dahin, wo ich mit meinem Mann jahrelang hingefahren bin. Den Mut hatten andere nicht. Aber nach meinem Urlaub hatten andere den Mut auch, und das fanden wir alle ganz toll", erzählt Kerpers.

Tipps von Trauernden für Trauernde

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Weiter hinten in der Gruppe läuft Wolfgang Zinke und unterhält sich mit einer anderen Teilnehmerin. Ab und zu lächelt er leicht, hört seiner Gesprächspartnerin aufmerksam zu. Zinkes Frau ist vergangenen März an Krebs gestorben. Das hat erstmal ein riesiges Loch in das Leben des 53-Jährigen gerissen. Er hat zwar seine Tochter und seine beiden Enkel in der Nähe. Aber alles ist mit Erinnerungen an seine Frau verbunden. "Hier muss niemand etwas sagen, man kann auch einfach nur mitgehen. Jeder hat irgendwen verloren, jeder weiß, wovon er spricht. Jeder kennt auch diesen Wechsel der Gefühlswelt. Ich brauche mich nicht groß zu erklären, weil das ja jeder in irgendeiner Form schon mal durchlebt hat", sagt Zinke.

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Lachen ist ausdrücklich erlaubt

Angelika Lennertz wechselt den ganzen Spaziergang über ihre Gesprächspartner. Mal lässt sich die ehrenamtliche Trauerbegleiterin zurückfallen und spricht ein paar Worte mit jemandem weiter hinten in der Gruppe. Mal legt sie einen Zahn zu und hört einer Teilnehmerin zu, die heute an der Spitze der Gruppe läuft. Die 68-Jährige drängt sich nicht auf, sondern hat ein Gespür dafür, wer reden möchte und wer lieber in Ruhe über die Felder schaut und einfach nur gerne mitläuft.

Angelika Lennertz und die Teilnehmenden des Spaziergangs lächeln breit.

Beim Trauerspaziergang zusammen zu lachen, kann auch trösten

Lennertz legt außerdem Wert darauf, dass hier auch positive Emotionen erlaubt sind. Die Gruppe sei alles andere als ein "Trauerkloß", erklärt die Trauerbegleiterin: "Hier wird gelacht. Zu Hause kann man noch genug für sich in Trauer sein. Hier beim Spaziergang haben alle die Möglichkeit, dass es sich mal für eine kurze Zeit leichter anfühlt."

Seit sechs Jahren ist Angelika Lennertz mit der Trauergruppe unterwegs

00:29 Min. Verfügbar bis 01.10.2026

Mittlerweile sind die Teilnehmenden so eng zusammengewachsen, dass sie auch abseits der Trauerspaziergänge Ausflüge und Unternehmungen machen. "Alles im kleinen Rahmen, wir wollen, dass die Ausflüge bezahlbar sind und jeder mitkommen kann", erklärt Lennertz. Von Museumsbesuchen über Alpakawanderungen bis hin zu Kaffee und Kuchen in der Scheune von Lennertz – jeder kann Vorschläge machen. "Ich bin zwar die Leiterin, aber ich bestimme nichts. Ich habe liebe Frauen in meinem Team, die mir helfen bei der Organisation. Aber was wir machen wollen, entscheiden wir immer zusammen", so Lennertz.

An diesen Tagen wird gegen die Trauer anspaziert

Jeden ersten Montag und jeden dritten Samstag im Monat lädt die Trauergruppe "Schritt für Schritt" der Hospizinitiative Viersen zum Spaziergang ein. Das Angebot ist unverbindlich und kostenlos. Wer Lust auf frische Luft und ungezwungene Gespräche und noch dazu bequemes Schuhwerk zum Laufen hat, kann einfach vorbeischauen.

Dieses Mal ist der Spaziergang nach eineinhalb Stunden vorbei und obwohl sie ausreichend viel getrunken haben, sind alle Teilnehmenden froh, wieder in den Schatten zu kommen. Sich an diesem Tag voneinander zu verabschieden, fällt ihnen aber trotzdem schwer. Es gibt einfach zu viel Gesprächsstoff. Aber das Schöne ist ja, in zwei Wochen sehen sie sich beim nächsten Trauerspaziergang wieder.