Das Thema Stillen ist eine Herzensangelegenheit für Anke Peters aus dem Kreis Lippe. Seit 2021 engagiert sie sich als ehrenamtliche Stillberaterin. Die 39-Jährige hat selbst vier Kinder und damit viel Stillerfahrung. Mit ihrer Stillgruppe "Milchschnuten" ermöglicht sie einen Austausch zwischen Müttern und gibt Tipps zum Stillen.
1. Lokalzeit: Seit Jahrtausenden schaffen es Frauen, ihre Kinder zu stillen. Außerdem gibt es beratende Hebammen. Warum brauchen Frauen eine Stillberaterin?
Anke Peters: Ich merke in meiner Arbeit immer wieder, dass Stillen zwar etwas Natürliches ist, aber es ist nichts Selbstverständliches. Das ist ein Prozess, der erstmal gelernt werden muss. Und dabei brauchen viele Mütter eben Unterstützung. Denn Stillen ist etwas, das weit weg ist von den modernen Vorstellungen. Gerade das erste Jahr nach der Geburt wird dominiert von Zweisamkeit und viel Körperkontakt – darauf muss sich die Mutter einstellen. Und ich habe Mütter in der Beratung, die nach der Entbindung keine Hebamme gesehen haben und somit ziemlich auf sich allein gestellt waren. Dann kommen äußere Einflüsse aus dem familiären Umfeld oder auch durch Fehlinformationen bei Social Media hinzu. Deswegen ist eine Stillberatung wichtig und sollte viel bekannter werden.
2. Lokalzeit: Können Sie Frauen verstehen, die gar nicht stillen wollen?
Peters: Ich glaube während einer Schwangerschaft sollte man offen sein, sowohl in der Beratungssituation als auch als Mutter. In dieser Phase sagen viele Mütter, dass sie nicht stillen wollen, aber manchmal entwickelt sich das auch. Genauso wie manche Frauen am Anfang ihrer Schwangerschaft sagen, dass sie unbedingt einen Kaiserschnitt wollen, aber zum Ende der Schwangerschaft doch eine natürliche Geburt vorziehen. Ich finde es wichtig zu schauen, ob diese Ablehnung wirklich der Wunsch der Mutter ist.
Lokalzeit: Wie meinen Sie das?
Eine Schwangere sollte sich fragen: Wieso möchte ich nicht stillen? Kommt das wirklich aus mir heraus oder sind das Glaubenssätze, die ich von anderen übernommen habe? Viele Frauen haben auch Angst, dass es nicht klappen könnte. Aber wenn der Wunsch wirklich aus der Frau kommt, dann unterstütze ich das. Dann geht es um Fragen wie: Was können wir machen, um auch ohne Stillen eine gute Bindung aufzubauen? Denn Nähe kann auch hergestellt werden, wenn man sich für das Fläschchen entscheidet.
Anke Peters über die Motivation ihrer ehrenamtlichen Stillberatung
00:31 Min.. Verfügbar bis 04.08.2025.
3. Lokalzeit: Sollten Frauen mehr in der Öffentlichkeit stillen?
Peters: Definitiv. Allerdings glaube ich, dass nicht die Mütter in der Hauptverantwortung sind, sondern die Gesellschaft. Denn die Mutter macht ja auch einen Prozess durch während ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt. Es ist häufig so, dass sich Frauen vor einer Schwangerschaft nicht wirklich mit ihrem Körper auseinandersetzen. Wenn überhaupt wird das Bewusstsein für den eigenen Körper in der Pubertät aufgebaut, wenn man anfängt einen BH zu tragen oder wenn es um Sex geht. Die Brust an sich hat aber zu dem Zeitpunkt kaum eine Funktion. Wenn eine Frau Mutter wird merkt sie, dass sie ihren Körper gar nicht so richtig kennt. Plötzlich gibt es eine neue Funktion: Sie ernährt ein Kind. Auch die Nähe zum Neugeborenen ist eine neue Erfahrung. Das erlebt die Frau aber nur für sich. Das Umfeld und die Männerwelt machen diesen Prozess nicht durch.
Lokalzeit: Was hat das mit dem Stillen in der Öffentlichkeit zu tun?
Peters: Das heißt, wenn eine Mutter in der Öffentlichkeit stillt, sehen andere nur die Brust und nicht das, was alles dahintersteht. Und Brüste werden ja auch immer noch verpixelt, das bestärkt nur, dass sie etwas Anstößiges sind. Deswegen brauchen wir einen gesellschaftlichen Wandel und auch bessere Rechte für stillende Mütter. Beispiel: Restaurantbesuch. Eine Mutter darf erst stillen, wenn sie etwas bestellt hat. Vorher darf der Wirt sie rausschmeißen und von seinem Hausrecht Gebrauch machen, wenn die Mutter in seinem Restaurant stillt und er das nicht möchte… Also es muss noch viel passieren.
Anke Peters mit ihrer Stillgruppe "Milchschnuten"
4. Lokalzeit: Vereinbarkeit von Stillen und Beruf: Kann und darf ich mein Kind auf der Arbeit stillen?
Peters: Wir haben das Mutterschutzgesetz in Deutschland. Darauf achten Arbeitgeber eigentlich auch. Sie müssen dafür sorgen, dass Schwangere zum Beispiel nicht zu schwer heben oder nicht mit Gefahrenstoffen in Kontakt kommen. Aber wenn das Kind da ist und eine Frau wieder in den Beruf einsteigen soll, ist die Vereinbarkeit von Stillen und Beruf selten ein Thema. Der Arbeitgeber interessiert sich häufig nur dafür, wann die Frau wieder in den Beruf einsteigen kann. Was aber nicht in der Diskussion stattfindet ist, dass es laut Mutterschutzgesetz im ersten Jahr nach der Geburt auch ein Anrecht auf Stillpausen gibt. Darauf wird aber in der Regel vom Arbeitgeber nicht hingewiesen, die Frau muss selbst informiert sein und das einfordern. Deswegen muss dafür meiner Meinung nach ein Bewusstsein geschaffen werden und diskutiert werden, wie es einer stillenden Mutter ermöglicht werden kann, dass sie parallel wieder arbeiten kann.
5. Lokalzeit: Laut WHO ist die Empfehlung zu stillen nach Beikosteinführung bis zum zweiten Geburtstag und darüber hinaus, solange Mutter und Kind es wollen. Bei einigen gilt ein Kind zu stillen, das älter ist als zwei Jahre trotzdem als befremdlich. Sie stillen ihren zweijährigen Sohn weiter. Warum?
Peters: Ich finde, dass eine solche Sichtweise eine Stillbeziehung nicht beenden sollte, nur weil das Kind auf einmal zwei Jahre alt ist. Wenn sich Mutter und Kind gut damit fühlen länger zu stillen, ist das okay. Jede Mutter sollte das mit ihrem Kind selbst entscheiden. Ich merke auch bei meinem Sohn, dass es einfacher ist, seine Bedürfnisse zu erkennen, weil er mittlerweile mit mir sprechen kann.
Lokalzeit: Haben Sie dafür auch schon komische Blicke in der Öffentlichkeit bekommen?
Peters: Ja, ich habe sogar schon viele seltsame Blicke bekommen. Das braucht denke ich noch ein paar Jahre, bis die Gesellschaft toleranter wird. Das ist wichtig, weil es vermehrt Langzeitstillende gibt. Langzeitstillend ist eine Mutter schon, wenn das Kind über ein Jahr alt ist und noch gestillt wird. Häufig versuchen Mütter dann zu kaschieren, dass sie noch stillen. Das hat viel mit Stigmatisierung zu tun. Hier spielt auch die Sexualisierung wieder eine Rolle. Viele finden es sogar ekelig und anstößig, wenn ein größeres Kind an die Brust der Mutter geht. Andere denken, sobald die Beikost ins Spiel kommt, abgestillt wird. Allerdings heißt es Beikost, weil es neben dem Stillen gegeben wird. Ich merke, dass diese Frauen mehr Unterstützung brauchen. Da geht es um Fragen wie: Was mache ich, wenn die Kinder Zähne bekommen?
6. Lokalzeit: Häufig kommt ja nach dem ersten Kind relativ schnell das zweite. Hat das Einfluss auf die Milch?
Peters: Natürlich. Die Brüste produzieren nicht mehr die reife Muttermilch, sondern die Milch für das Neugeborene. Das Neugeborene sollte auch immer Vorrang haben, da es viel mehr auf die Muttermilch angewiesen ist. Aber natürlich kann das ältere Kind danach auch gestillt werden.
Lokalzeit: Können Mütter denn auch zwei Kinder parallel stillen?
Peters: Ja, man kann jeweils ein Kind an einer Brust stillen. Das ermöglicht auch eine schöne Bindung zwischen den Geschwistern. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Kinder meist ein viel tieferes Verständnis fürs Stillen haben. Das hat auch nichts mit Eifersucht oder Konkurrenz zu tun, denn eine Mutter muss ihre Liebe für die Kinder nicht teilen, da ist genug da für alle Kinder. Ich habe ja selbst vier Kinder und kann das ganz deutlich so sagen. Und auch wichtig: Die Antwort ist nicht immer in Büchern und Theorien, sondern häufig in den Müttern selbst. Mein Rat: Manchmal einfach nicht gucken, was irgendwo steht, sondern auf den eigenen Körper hören.
Über dieses Thema berichteten wir auch im WDR Fernsehen am 14.07.2023: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.