An einem Wintertag kommen etwa 10 betagte Damen und Herren am Lüdinghausener Pfarrzentrum zusammen. Die meisten von ihnen haben einen Rollator dabei. Sie scharen sich um eine Frau mit kurzen grauen Haaren, ihre Rollator-Trainerin. Es ist die 75-jährige Barbara Bredel-Witt. Sie bietet Rollator-Spaziergänge an, kostenlos und im Auftrag des Seniorenbeirats, in dem sie selbst Mitglied ist. Ziel ist es, anderen älteren Menschen mehr Sicherheit im Umgang mit der Gehilfe zu vermitteln.
Alle Seniorinnen und Senioren, die zum Rollatortraining gekommen sind, tragen Warnwesten oder Neongurte am Oberkörper, die Rollatoren sind teils mit Lichtern, einige auch mit Lichterketten ausgestattet. "Es ist wichtig, dass alle uns sehen. Gerade jetzt, wo es früh dunkel ist." Bredel-Witt weiß aber auch, dass viele Ältere das eigentlich nicht wollen. Aus Scham.
Dabei hat NRW eine stark alternde Bevölkerung: Der Anteil der unter 20-Jährigen ist zwischen 1970 und 2019 von 30 auf 19 Prozent gesunken. Gleichzeitig steigt der Anteil der Menschen über 67 Jahren. Prognosen sagen voraus, dass er von 30 Prozent auf rund 42 Prozent in 2050 anwachsen wird. In der Regel liegt das Durchschnittsalter auf dem Land höher als in größeren Städten.
Scham ist ein großes Hindernis
Auch Heide Boye kennt das Gefühl der Scham. Für die 85-Jährige war der Spaziergang mit der Gehhilfe anfangs eine große Überwindung. "Dann ist man abgestempelt, wenn man damit losgeht." Mittlerweile sei ihr das egal, denn sie hat gemerkt, wie gut ihr der Rollator tut, erzählt sie: "Ich kann jetzt wieder weitere Strecken machen, was ich vorher gar nicht konnte und mein Rücken ist entlastet."
Der Rentner Georg Bicher hingegen ist gekommen, weil er sich vor allem über Rollatoren informieren will. "Meine Mutter hatte einen und da hab ich gesehen, wie gefährlich das sein kann, denn die Bremsen funktionierten überhaupt nicht richtig, die habe ich erstmal einstellen müssen. Und wer weiß, wann ich drauf angewiesen bin." Das sei genau die richtige Einstellung, findet Bredel-Witt. Sie hat immer Ersatz-Rollatoren dabei und stellt einen davon direkt vor den neuen Schüler. "Erst mal die Höhe der Griffe einstellen Georg. Die Arme dürfen nur ganz leicht angewinkelt locker auf den Griffen liegen", mahnt sie.
An jeder Ecke lauern Hindernisse
Bordsteine, Kopfsteinpflaster, Treppen - ein Rundgang durch die Stadt hat es ganz schön in sich, weiß Bredel-Witt. "So ein Rollator ist eine tolle Gehhilfe - wenn man weiß, wie man damit umgeht", erzählt sie. Genau da liege das Problem, denn in den wenigsten Geschäften bekämen die Käufer eine Einweisung. Das Ergebnis seien ältere Menschen, die ihren Rollator wie einen Einkaufswagen vor sich herschieben. "Wenn der vorne wegrutscht, hat man keine Chance, dann liegt man auf der Nase."
"So, ihr Lieben. Es ist kalt, lasst uns losgehen", spornt Bredel-Witt ihre Rollator-Schüler an. Nur wenige Meter neben der Kirche beginnt die Fußgängerzone. Der blinkende Rollator-Trupp zieht viele freundlich lächelnde Blicke auf sich, denn auch die Senioren und Seniorinnen haben sichtlich und hörbar gute Laune. Nur etwa 30 Meter weiter stoppt Bredel-Witt an einer Fläche mit Kopfsteinpflaster. "Ist zwar schön, aber schwierig", erklärt sie. Das Kopfsteinpflaster sei mit dem Rollator am einfachsten in leichten Hin- und Herbewegungen zu meistern. In Schlingerbewegungen folgen die Damen und Herren Bredel-Witt und treffen direkt auf das nächste Hindernis: eine kleine Stufe, die zu einem großen Platz führt.
Bredel-Witt übt so lange mit den Teilnehmenden, wie man kleine Stufen überwindet, bis alle die Technik beherrschen. Als ehemalige Sportlehrerin weiß sie, wie sie die Gruppe motiviert. Sie selbst ist topfit und braucht noch keine Gehhilfe. Warum sie diese Rundgänge anbietet? Sie möchte andere wieder mobil machen, außerdem ist sie durch und durch Realistin. "Wir altern ja alle. Und vielleicht ist das ja meine Zukunft? Dann will ich auch wissen, wie man damit umgeht." Georg Bicher ist auf jeden Fall nach dem Spaziergang begeistert. "Was ich jetzt alles gelernt habe. Toll. Das ist ein ganz neues Fahrgefühl - macht Spaß, mit so einem Ding zu fahren."
Über dieses Thema haben wir auch am 17.12.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.