
Look Good, Feel Better: Make-up-Seminare für Krebspatientinnen
Stand: 06.03.2025, 07:59 Uhr
Die Frauen im Kosmetikseminar von Ute Fink kennen die fragenden oder irritierten Blicke von Fremden oder Kollegen nur zu gut. Sie sind an Krebs erkrankt und bekommen eine Chemotherapie. Die intensive Behandlungsmethode hinterlässt Spuren, die kaum zu übersehen sind. Wie die Seminare den Frauen mehr Selbstbewusstsein geben sollen. Ein Besuch in Köln.
Von Inke Köster
Die Chemotherapie und ihre Folgen
Skeptisch schaut Doro Brauer in den vor ihr aufgebauten Schminkspiegel. Davor liegen verschiedene, gut verträgliche Kosmetikprodukte - vom Reinigungs-Serum über Pflegecreme bis hin zu Lidschatten und Kajal. Brauer hat eigentlich einen anderen Nachnamen, den möchte sie aber lieber nicht im Internet lesen. Wie die anderen Teilnehmerinnen im Raum hat Brauer wenige Millimeter kurze Haare. Einige tragen deshalb ein Tuch auf dem Kopf. Es ist die sichtbarste Folge der körperlich anstrengenden Chemotherapie, in deren Verlauf auch Wimpern und Augenbrauen ausfallen und die Haut trocken wird.
Für Frauen gehen diese äußerlichen Veränderungen häufig mit Blicken von Nachbarn, Kollegen oder Fremden einher. Auch Brauer kennt diese Blicke. Sie tun weh und nagen am Selbstwertgefühl. An diesem Tag will Doro Brauer sich ein bisschen Selbstbewusstsein zurückholen. Mit Make-up und Schminke.
Krebs ist Volkskrankheit Nummer eins in NRW. Laut Landeszentrum für Gesundheit bekommen jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen eine entsprechende Diagnose. Brustkrebs ist dabei die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen. 13 von 100 Frauen erhalten im Laufe ihres Lebens laut Krebsinformationsdienst die Diagnose Brustkrebs. In NRW sind es jedes Jahr laut Landeskrebsregister etwa 17.000. Brauer ist eine von ihnen. Im September 2024 entdeckten die Ärzte bei ihr ein Mammakarzinom, wie der Krebs in der Medizin genannt wird. Zwei Monate später begann ihre Chemotherapie.
Mit Make-up gegen den Krebs
Eigentlich habe sie sich nie viel aus Make-up und Schminke gemacht, sagt Brauer. Aber sie hofft, dass ihr die Schminke ein Stück ihres alten Selbst zurückgeben kann. Ute Fink soll ihr dabei helfen. Seit mehr als 15 Jahren leitet die gelernte Kosmetikerin und Visagistin im Auftrag der DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei) ehrenamtlich Kosmetikseminare für Krebspatientinnen. Ihr Ziel: die Frauen sollen wieder selbstbewusst in den Spiegel schauen. Wer sich wohlfühle, fördere zudem den Heilungsprozess.
"Endlich fühle ich mich wieder normal." Ute Fink über das Ziel ihrer Schminkseminare
00:32 Min.. Verfügbar bis 08.03.2027.
Neun Frauen im Alter zwischen 30 und 58 Jahren sind an diesem Nachmittag in den kleinen Seminarraum an der Uniklinik in Köln gekommen. Als Erstes geht es um die Hautreinigung und Pflege. Beides ist sehr wichtig, erklärt die 56-jährige Fink, weil die Haut durch die aggressive Chemotherapie äußerst empfindlich ist. Mit kreisenden Bewegungen trägt Fink Reinigungsmilch auf und entfernt sie anschließend mit Wattepads und Gesichtswasser. Dann sind die Frauen selbst dran. Manche sind noch zaghaft und ungeübt. Andere wirken routinierter.
Die Kosmetikprodukte, die die Teilnehmerinnen verwenden, sind Spenden von namhaften Kosmetikfirmen. Den Wert schätzt Fink auf rund 250 Euro. Für die Frauen sind sie kostenlos. Nach dem zweistündigen Kurs dürfen sie die Artikel auch mit nach Hause nehmen. Wer sich anmelden möchte, braucht dabei keine Vorerfahrungen. Zusätzlich zu den Vor-Ort-Seminaren bietet die DKMS seit der Corona-Pandemie auch Online-Seminare an.
Verletzende Blicke
Als Nächstes kommt das "Grundgerüst", wie Fink es nennt: Creme, Make-up, Concealer und Puder, um der Haut ein ebenmäßiges Erscheinungsbild zu verpassen. Sie guckt sich die Frauen und ihre jeweilige Hautfarbe an und sucht entsprechend ein passendes Make-up und Puder heraus. Das sei wichtig, damit keine hässlichen Ränder entstehen. Bei der ein oder anderen Teilnehmerin huscht ein wissendes Lächeln über das Gesicht.
Fink macht die einzelnen Schritte bei einer der Frauen vor, die anderen gucken zu und probieren es anschließend bei sich selbst aus. Die nervöse Anspannung, die anfangs bei einigen spürbar war, hat sich längst gelegt. Um sich besser schminken zu können, haben einige Frauen das Tuch abgelegt, das am Anfang noch ihre ausgefallenen Haare verdeckte. Als eine der Frauen mit dem Concealer abrutscht und er nicht nur unter, sondern auch im Auge landet, lachen sie alle gemeinsam. "Gleichgesinnte in allen Lagen", sagt Steffi Heinrich.

Strahlend präsentiert Teilnehmerin Steffi Heinrich ihr neues Make-up
Auch Heinrich hat eigentlich einen anderen Nachnamen. Wie Doro Brauer hat die 48-Jährige im September 2024 die Diagnose Brustkrebs bekommen. Ende Oktober wurde sie operiert, seit Anfang Dezember bekommt sie Chemotherapie. Heinrich geht offen mit ihrer Erkrankung um: "Am meisten verletzt mich eigentlich, wenn Menschen statt auf mich zuzugehen und mich anzusprechen, mir hintenrum komische Blicke zuwerfen."
Ein Mäntelchen als Schutz
Viele Frauen haben Ute Fink dieses Gefühl schon geschildert. Sie macht ihnen Mut: "In den meisten Fällen sitzt mir jemand gegenüber, der sich mit den optischen Auswirkungen einer Chemotherapie gar nicht auskennt. Das Make-up kann dann wie ein kleines Schutzmäntelchen in solchen Situationen wirken."
Welche Schminktipps Ute Fink den Teilnehmerinnen gibt
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Damit dieser Schutzmantel auch wirkt, legt Fink zum Schluss noch einen besonderen Fokus auf die Augen. "Sie sind mit das Wichtigste für unseren Gesichtsausdruck. Die Augenbrauen bilden dabei den Rahmen des Gesichts." An einer Teilnehmerin führt sie vor, wie die Frauen mit einem speziellen Augenbrauenstift ganz leicht fehlende Härchen über der Augenhöhle kaschieren können. Bei ausgefallenen Wimpern in Folge der Chemo könnten mit der Wimperntusche meist "doch noch ein paar kleine, helle Härchen wieder sichtbar werden." Mit einem Kajalstift trägt sie noch Punkte zwischen den Wimpern auf, um sie dichter erscheinen zu lassen.
"Eine Teilnehmerin sagte mal: Zuerst habe ich meine Haare verloren, das war schon schlimm. Da konnte ich mir eine Zweitfrisur aufsetzen. Dann habe ich auch noch mein Gesicht verloren. Das war noch viel schlimmer. Das war ein Satz, der mich sehr berührt hat." Kursleiterin Ute Fink
Mit jedem Schmink-Schritt wird für die Frauen der Blick in den Spiegel ein anderer. In der anschließenden Feedback-Runde wird deutlich, wie anders. "Ich kann es jeder Frau nur empfehlen", sagt Teilnehmerin Steffi Heinrich. Jede Teilnehmerin erzählt, dass sie etwas Neues gelernt hat und ist beeindruckt vom Ergebnis.
Wie fanden Steffi Heinrich und Doro Brauer den Schminkkurs?
00:25 Min.. Verfügbar bis 08.03.2027.
Für Ute Fink hat sich der Kurs damit wieder gelohnt. "Es erfüllt mich mit Freude und auch ein bisschen mit Stolz. Da bin ich ganz ehrlich. Es ist ein schönes Gefühl, sagen zu können: Ich habe heute etwas sehr, sehr Gutes getan. Nicht nur für mich, sondern vor allem für andere."