Die Vorbereitungen laufen
Drinnen im Laden liegt das meiste schon in grünen Klappkisten aus. Sellerie, Gurken, Erdbeeren, Eier, Paniermehl, Süßigkeiten. Alles noch genießbar, aber fast im Müll gelandet. Draußen im Anhänger stapeln sich noch ein paar Kisten. Sabine Gaebler trägt mit ihren Kolleginnen und Kollegen die letzten Lebensmittel rein. Es ist 12.56 Uhr. Noch eine Stunde und vier Minuten bis es losgeht.
Heute war die Lieferung besonders groß. 800 Kilo Lebensmittel, darunter vor allem Getränke von einem Großhändler aus der Umgebung. Da braucht es viele helfende Hände, bis die alle im Laden stehen. "Manchmal ist man zwar kaputt von der Schlepperei. Aber ich bin glücklich, weil ich weiß, dass wieder viel vor der Mülltonne bewahrt wurde", erzählt Gaebler.
Mit Lieferungen wie dieser kommt der Verein auf mindestens zwei Tonnen Lebensmittel pro Woche. Geliefert wird alles, was übriggeblieben oder abgelaufen ist, was nicht mehr ganz so gut aussieht, was aus einer Überproduktion stammt oder was als Bruchware, also als beschädigt, gilt. Das meiste davon wäre vermutlich in der Mülltonne gelandet. Hier aber gilt: "Alles, was wir selbst noch essen würden, wird verteilt."
Zu viel landet im Müll
11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jährlich weggeworfen. So die aktuellen Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem Jahr 2020. Wie viel davon in Nordrhein-Westfalen im Müll landet, wird nicht erhoben. Sowohl für NRW als auch für ganz Deutschland gilt aber: Die meisten Lebensmittel werden im privaten Haushalt weggeworfen. Sehr viele davon, obwohl sie noch essbar gewesen wären. 78 Kilo Lebensmittel wirft eine Person im Jahr durchschnittlich weg. Darunter vor allem Obst und Gemüse. Sabine Gaebler möchte deshalb zum Umdenken anregen.
800.000 Tonnen Lebensmittelabfälle entstehen jedes Jahr im Handel. Auch dagegen wollen die "EssensRetter" etwas tun. Der Verein arbeitet mit mehr als 20 Geschäften aus der Umgebung zusammen. Darunter vor allem Supermärkte, Großhändler und Großmärkte. Täglich gibt es Fahrerinnen und Fahrer aus dem Team, die die Läden anfahren und Lebensmittel abholen. Inzwischen gibt es aber immer mehr Leute, die auch aus ihrem privaten Haushalt Lebensmittel spenden, erzählt Gaebler.
Gegen den leeren Kühlschrank
Es ist 13.50 Uhr. In zehn Minuten geht die Lebensmittelverteilung los. Mittlerweile liegt alles im Laden aus. Gaebler stellt noch die letzten Getränkedosen hin. Ihre Kollegen bereiten Aufruf-Nummern vor. Die Leute stehen draußen schon Schlange. Trotz des strömenden Regens.
Das Projekt hat sich in den letzten Jahren immer mehr herumgesprochen. Auch über die Stadtteilgrenzen hinaus. Viele kommen aus Dormagen, Neuss oder sogar aus Bergheim zu den "EssensRettern". Am Tag sind es meistens 70 bis 100 Menschen. Das sind so viele, dass sie nicht mehr direkt vor dem Laden anstehen können.
Die Schlange bildet sich deshalb ein paar Meter weiter auf einem kleinen Kirchplatz. Damit es im Laden nicht so voll wird, werden die Leute in kleinen Gruppen nach vorne geholt. Gaeblers Kollegen verteilen an alle in der Schlange kleine Zettel mit Nummer. Die Reihenfolge wird dadurch gelost. Damit es fair bleibt für die, die nicht als erste da sein können.
Die meisten kommen mehrmals pro Woche. Sie sind froh über das Angebot: gleichzeitig etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun können und dabei Geld sparen. Einige sind darauf angewiesen, weil sie sich Lebensmittel aus dem Supermarkt kaum noch leisten können. Heute sind circa 35 Leute da. Deutlich weniger als sonst. Das hat vermutlich mehrere Gründe, einer ist das schlechte Wetter heute.
Die ersten betreten den Laden. Eine von ihnen ist Ariane Ising. Heute ist die 60-Jährige allein da. Normalerweise kommt sie immer mit ihrem 88-jährigen Vater. "Er ist froh über jeden Cent, den er hier sparen kann", erzählt sie. Die beiden kommen jeden Dienstag. Da gibt es vormittags immer eine gesonderte Ausgabe für Senioren, Rentner und Menschen mit Beeinträchtigung, die nicht so lange in der Schlange stehen können. Von dem "EssensRetter"-Konzept ist sie "vollkommen begeistert". Man helfe hier wirklich dabei, Lebensmittel zu retten. Einfach ein "absolut gutes Gefühl, dass man einen kleinen Beitrag leisten kann."
Wie aus vier Leuten 80 wurden
Es ist kurz nach 14 Uhr. Der Laden füllt sich. Gaebler begrüßt alle, die in den Laden kommen. Fragt, ob sie heute Getränke mitnehmen wollen und deshalb einen kleinen Korb brauchen. Manche nicken, andere verstehen die Frage nicht. Viele der Menschen, die regelmäßig kommen, leben noch nicht so lange in Deutschland, erzählt die 55-Jährige. "Dann benutzen wir eine Übersetzungsapp oder verständigen uns mit Händen und Füßen. Irgendwie versteht man sich immer."
Eine Lebensmittelverteilung in einer solchen Räumlichkeit – das war vor ein paar Jahren noch ein Traum. Seit 2019 sind die "EssensRetter" ein eingetragener Verein. Angefangen hatte damals alles sehr viel kleiner. Als Initiative in der Nachbarschaft mit vier Leuten und einem Schrank voller geretteter Lebensmittel. Es folgten Lebensmittelverteilungen vor der eigenen Haustür oder in der Garage.
2022 sind die "EssensRetter" dann in den Worringer Laden gezogen. Seitdem gibt es dort jeden Tag, außer sonntags, eine Lebensmittelverteilung. Meistens sogar zweimal am Tag: mittags und abends. Das hat aber auch einen kleinen Preis. Zwei Euro zahlt man pro Verteilaktion. Nicht für die Lebensmittel, sondern als Aufwandsentschädigung. Damit der durch Spenden finanzierte Verein seine monatlichen Kosten, etwa die Ladenmiete, decken kann.
Das Konzept Garage und Schrank hat der Verein aber nicht komplett über Board geworfen. In Köln-Porz und Overath haben sie neben dem Laden noch zwei kleine Verteilstellen.
In den vergangenen Jahren kamen immer mehr Mitglieder dazu. Heute sind es knapp 80 aktive Ehrenamtliche. Sabine Gaebler ist eine von ihnen. Auch, wenn sie nicht von Anfang an dabei war: "Ich war schon immer so, dass ich Essen nicht weggeworfen habe", erzählt sie.
Ein guter Anfang, aber lange nicht das Ende
Die Rommerskirchenerin ist seit dreieinhalb Jahren bei den "EssensRettern" dabei. Angefangen hat alles während Corona. Als Selbstständige hatte sie zu der Zeit weniger Arbeitsaufträge als sonst. Also auch mehr Zeit. Im Gespräch mit einer Kollegin, die selbst im Verein war, hat sie dann von der Initiative erfahren. "Ich hab mir das mal angeguckt und bin irgendwie hängen geblieben." Für die Lebensmittelverteilung ist sie dann regelmäßig nach Köln-Worringen gefahren. Damals stand sie noch selbst in der Schlange.
Begeistert von dem Projekt wollte Gaebler mitanpacken. Seitdem ist sie "höchstaktiv" und "mit sehr viel Spaß dabei". Im vergangenen Jahr wurde sie zur zweiten Vorsitzenden gewählt. "Was wir bewirken und wie sich das entwickelt hat - da ist man stolz drauf, dass man dabei ist."
Obwohl die "EssensRetter" mit ihrem Projekt mehr als 100 Tonnen Lebensmittel im Jahr retten, weiß Gaebler, dass das nur ein Bruchteil ist: "Eigentlich sind wir erst froh, wenn es uns nicht mehr geben muss." Trotzdem kommt sie nach einem Tag im Laden immer mit einem guten Gefühl nachhause.