Gemeinsam für den Frieden: Warum Hindus bei "Coexister" Kölsch lernen

Köln | Füreinander

Stand: 10.12.2024, 07:56 Uhr

Kölsche Lieder und Süßigkeiten aus Südindien - so entsteht Zusammenhalt über Ländergrenzen hinweg. In der Kölner Rheinlandgruppe der Jugendbewegung "Coexister" treffen sich Menschen unterschiedlichster Kulturen und Religionen, singen und lachen gemeinsam. Ein Besuch.

Von Katrin Wrobel

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Kölsche Sprache, schwere Sprache

"Ich hoff, ehr künnt mich all joot verstonn?", fragt Kursleiter Pascal Bittner aus Köln. "Joa", raunt es zurück aus der Runde mit dreizehn Frauen und Männern der Coexister-Lokalgruppe Rheinland. Sie sind heute zu dem Kölschkurs gekommen, den Bittner mit einem Freund für die anderen Mitglieder des Vereins gibt. Das mit dem Kölsch-Verstehen klappt dabei unterschiedlich gut. Deutsch ist schließlich nicht für alle hier die Muttersprache.

"Bei Coexister sind auch viele ehemals Geflüchtete und viele Menschen, die erst seit Kurzem hier in Köln oder in Deutschland sind", erklärt Carolin Hillenbrand, eine der Mitgründerinnen von Coexister in Deutschland. Der Verein bringt Menschen verschiedener Weltanschauungen zusammen. Bei regelmäßigen Treffen zeigen sie sich gegenseitig ihre Religionen und Kulturen. Die Gründer wollen so eine Gemeinschaft schaffen.

Singen auf Kölsch beim Treffen des Vereins Coexister 00:31 Min. Verfügbar bis 10.12.2026

Eine Herausforderung ist der Kölschkurs heute für Tejaswi Guttina. Er ist erst vor einigen Monaten aus Indien zum Studieren nach Deutschland gekommen und spricht bisher kaum Deutsch - geschweige denn Kölsch. "Das ist für mich wie einen chinesischen Film mit koreanischen Untertiteln zu schauen", sagt der 25-Jährige und lacht.

Pascal Bittner (v. r.) und Rahmi Demir (v. l.) geben einen Einblick in die "Kölsche Sproch" | Bildquelle: WDR / Katrin Wrobel

"Ein bisschen Kölsch, ein bisschen Englisch, das klappt schon", macht Kursleiter Bittner Mut. Er und die anderen übersetzen immer wieder einzelne Sätze ins Englische. Guttina freut sich, hier so aufgenommen zu werden: "Als ich neu hierhergekommen bin, hatte ich in Deutschland keine Freunde", sagt er. Bei Coexister habe er sich von Anfang an willkommen gefühlt. "Hier ist das überhaupt nicht wichtig, ob du Einwanderer bist oder nicht - es ist ganz egal, woher du kommst, woran du glaubst." Guttina selbst ist Hindu. Neben ihm sitzen heute Menschen muslimischen, jesidischen und christlichen Glaubens. Sie sind in Syrien, dem Irak, Iran oder Deutschland aufgewachsen.

Spätestens als die ersten kölschen Lieder angestimmt werden, geht das Kölsche schon deutlich leichter über die Lippen. Kasalla, Bläck Fööss und die Höhner. Ein Beamer wirft die Texte an die Wand. Nicht jeder hier kennt die Melodien und kann von Anfang an mitsingen. Einhaken und schunkeln geht aber für alle. Gemeinsam gesungen wird bei fast jeder Veranstaltung von Coexister. "Es gibt bei unseren Treffen manchmal keine gemeinsame Sprachbasis", sagt Hillenbrand. "Beim Singen haben wir mit der Musik aber alle die gleiche Sprache." Häufig würden sie sich auch gegenseitig Lieder zeigen und auf verschiedenen Sprachen singen, so die 33-Jährige.

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Entstehung von Coexister: Blut vergießen für Frieden

Ursprünglich stammt der Verein Coexister aus Frankreich. Die Idee entstand 2009, als drei junge Menschen unterschiedlichen Glaubens nach einer Ausschreitung beim Israel-Palästina-Konflikt demonstrativ gemeinsam Blutspenden gingen. "Blut vergießen, nicht für Krieg, sondern für Frieden", war ihr Motto. Vor drei Jahren lernte Hillenbrand einen der Vereinsgründer bei einem ökumenischen Jugendtreffen in Frankreich kennen. Zusammen mit einigen anderen Ehrenamtlichen holte sie die Idee daraufhin nach Deutschland. Seitdem haben sie hier zehn Lokalgruppen aufgebaut - in NRW unter anderem in Münster und im Rheinland.

Mitglieder der Coexister-Lokalgruppe Rheinland | Bildquelle: WDR / Katrin Wrobel

Das Blutspenden haben sie auch hier übernommen. Mindestens einmal im Jahr treffen sie sich dafür. Auch anderweitig engagiert sich der Verein - zum Beispiel bei Aktionen für Wohnungslose, in Flüchtlingsunterkünften und bei Spendenläufen. Einige von ihnen geben außerdem Workshops an Schulen, um von ihren Erfahrungen zu erzählen und zu helfen, Vorurteile abzubauen. Dazu kommen regelmäßige gemeinsame Unternehmungen wie religiöse Feste oder Vereinswochenenden. Immer wieder besuchen sie außerdem zusammen Kirchen, Synagogen und Moscheen.

Carolin Hillenbrand über das Abbauen von Vorurteilen 00:25 Min. Verfügbar bis 10.12.2026

Auch in einem Bahai-Tempel nahe Frankfurt waren sie gemeinsam. Ein Gotteshaus einer anderen Religion zu besuchen, koste einige am Anfang viel Überwindung. "Aber solche Bedrohungsgefühle und Ängste abzubauen, ist genau unser Ziel", sagt Hillenbrand. Sie schreibt zurzeit ihre Doktorarbeit zur Rolle der Religion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für ihre Arbeit mit Coexister haben sie und die Lokalgruppe Rheinland in diesem Jahr den Ehrenamtspreis NRW verliehen bekommen.

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Zusammenhalt relevanter denn je

Gerade in der aktuellen Zeit würden sich mehr und mehr Menschen beim Verein melden, erzählt Hillenbrand. Rund 100 Mitglieder seien sie in der Lokalgruppe Rheinland inzwischen. "Man fühlt sich ja so ohnmächtig bei dem, was zum Beispiel gerade in Nahost passiert, oder auch mit den Wahlen hier", sagt die 31-Jährige. Bei Coexister möchten sie zeigen, dass jeder etwas tun kann, wirksam sein kann. "Das hilft einem, den Mut und die Hoffnung nicht zu verlieren."  

Nach etwa zweieinhalb Stunden geht der Kölschkurs dem Ende zu - ein paar Lieder wollen sie aber noch zusammen singen. Mittlerweile ist es draußen dunkel geworden. "Licht aus!", ruft jemand. Nur im Licht des Beamers und ein paar Handylichtern singen sie letzte gemeinsame Lieder, schwenken die Arme im Takt, tanken ein bisschen "kölsches Jeföhl". Als der Kurs vorbei ist, bleiben viele von ihnen noch eine Weile und quatschen. Guttina hat Süßigkeiten aus Indien dabei, die er verteilt - zum Beispiel kleine Riegel aus einer süßen, etwas klebrigen Masse. "Die gibt es so nur in meinem Heimatdorf in Südindien", sagt er. Dem Grüppchen um ihn herum scheinen sie zu schmecken.

Tejaswi Guttina verteilt Süßigkeiten aus seinem Heimatdorf in Südindien | Bildquelle: WDR / Katrin Wrobel

"Mal aus der eigenen Bubble zu kommen", das schätzt auch Anna Lea Brück an Coexister. Sie ist im Westerwald aufgewachsen und lebt nun seit einigen Jahren in Köln. "Bei Coexister habe ich so viele Menschen kennengelernt, mit denen ich sonst nie in Kontakt gekommen wäre", sagt die 30-Jährige. Dabei habe sie viel Neues gelernt. Ein Freund aus der Gruppe habe ihr beispielsweise etwas Arabisch beigebracht. Seitdem grüße sie ihre arabischsprechenden Kollegen auf der Arbeit manchmal auf ihrer Landessprache.

Unterschiedliche Herkünfte, Sprachen, Weltanschauungen zusammenbringen - hier funktioniert das im Kleinen. "Und wenn das hier geht, hoffen wir, dass es vielleicht auch im größeren gesellschaftlichen Kontext oder sogar auf der Welt möglich ist", sagt Hillenbrand. Sie ist davon überzeugt: "Die stärkste Waffe gegen Gewalt und Krieg sind Freundschaften." Bei Coexister entstehen die ganz selbstverständlich nebenbei.