Karin Bonse und Hildegard van Lier stehen dicht nebeneinander auf einer kleinen Lichtung im Friedwald in Kevelaer. Vögel zwitschern in der Ferne, im Tageslicht leuchten die Blätter der Bäume und Sträucher sattgrün. Die beiden Frauen blicken auf das Grab von Horst van Lier. Er hatte sich einen Baum als Grabstätte gewünscht. Zusammen mit ihrer Trauerbegleiterin besucht Hildegard van Lier heute das Grab ihres verstorbenen Mannes. Die 63-jährige Witwe hält sich an Karin Bonses Schulter fest. Diese legt beruhigend ihren Arm auf ihren Rücken. "Ich bin so stolz, dass Sie es so weit geschafft haben", sagt sie.
Vor über zweieinhalb Jahren starb der Mann von van Lier. Die 63-Jährige fiel nach seinem Tod in ein tiefes Loch. "Das war ein unerträglicher Schmerz, den ich gefühlt habe. Ohne meine Nachbarin, die mir Essen brachte, wäre ich verhungert." Van Lier musste fast wöchentlich zu ihrer Hausärztin und sich krankschreiben lassen, erzählt sie. Die Ärztin riet ihr, sich professionelle Hilfe zu suchen und empfahl die ehrenamtliche Trauerbegleitung der Ambulanten Hospizgruppe Niederrhein. So lernte die Witwe die 66-jährige Bonse kennen.
"Werkzeuge" für die Trauerverarbeitung
Die beiden Frauen sitzen im Wohnzimmer von van Lier. Vor ihnen auf dem Tisch liegt ein Fotoalbum. Mittlerweile kann van Lier lächeln, wenn sie durch das Album blättert und Bonse von den Erinnerungen erzählt. Es war ein weiter und schmerzhafter Weg, den sie dafür mithilfe der Trauerbegleiterin gehen musste.
"Trauer ist Schwerstarbeit", erklärt diese. Sie könne der Witwe die Trauer zwar nicht nehmen, aber ihr "Werkzeug" an die Hand geben.
Die Ambulante Hospizgruppe Niederrhein
Bei der Ambulanten Hospizgruppe engagieren sich Menschen zwischen 18 und 80 Jahren aus verschiedenen Ländern, Berufen und Konfessionen. Die Ehrenamtlichen unterstützen lebensbedrohlich Erkrankte und ihre Angehörigen. Sie begleiten Trauernde einzeln oder bei einem monatlichen Trauertreff. 800 bis 1.000 Euro zahlt der Verein nach eigenen Angaben für die Ausbildung eines Trauerbegleiters – überwiegend finanziert durch Spenden. Finanzielle Unterstützung von Institutionen gebe es dafür zu wenig, heißt es aus der Gruppe.
Aus ein paar Sätzen wurden Bücher
Eines dieser Werkzeuge war ein cremefarbenes Tagebuch, das nun neben dem Fotoalbum auf dem Wohnzimmertisch liegt. Die Trauerbegleiterin brachte das Notizbuch beim ersten Treffen mit van Lier mit. Diese war zunächst skeptisch. Doch als sie abends durch die leeren Seiten blätterte, entschied sie sich, doch ein paar Sätze zu schreiben. "Seitdem schreibe ich tagtäglich Tagebuch. Jeden Abend, bevor ich ins Bett gehe, schreibe ich, was am Tag gewesen ist. Und ich merke auch die Veränderung, es macht was." Mittlerweile ist van Lier bei ihrem vierten Tagebuch angekommen.
Selbst bei einer Tasse Kaffee ist die besondere Verbindung zwischen den beiden Frauen spürbar. Dass van Lier heute wieder glücklich sein kann, hat sie zum großen Teil ihrer Trauerbegleiterin zu verdanken. Diese erklärt: "Die Hinterbliebenen müssen realisieren und akzeptieren, dass ihr Leben anders ist. Und dass das andere Leben auch schön sein darf. Man verliert den Verstorbenen nicht, der wird immer seinen Platz haben." Van Lier nickt zustimmend. "Mein Mann ist immer und überall dabei. Der Schmerz wird nie mehr vergehen. Es wird auch nie mehr ein Leben geben, so wie ich es gehabt habe, so sehr ich mir das auch wünsche. Aber ich darf leben und ich möchte leben.“
Über dieses Thema haben wir auch am 22.09.2023 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.