Wie sich Jugendliche gegen Komasaufen einsetzen

Städteregion Aachen | Füreinander

Stand: 25.08.2023, 15:35 Uhr

Der 16-jährige Hovannes will zusammen mit elf anderen Jugendlichen Feierstarter werden. Das sind Jugendliche, die auf Augenhöhe andere Jugendliche auf Festen vom Komasaufen abhalten sollen, ohne ihnen den Spaß am Feiern zu verderben.

Von Julia Küppers

Im Jugendzentrum nimmt Hovannes in einem Stuhlkreis Platz. Die Ausbildung beginnt mit einem Konflikttraining. Das schrille, unsichere Kichern der überwiegend weiblichen Teilnehmer füllt den Raum. Hovannes hingegen wirkt auffällig cool, lässt sich bequem in dem einzigen Ohrensessel nieder und streckt die Beine aus.

Der 16-Jährige und seine elf Mitstreiter aus Eschweiler und Herzogenrath wollen sich ehrenamtlich, zum Beispiel auf Karnevals- oder Schützenfesten, um andere Jugendliche kümmern.

Jugendliche werden provoziert

Bevor die Jugendlichen die mobile Jugendarbeit der Jugendämter unterstützen können, müssen sie nicht nur alles rund ums Thema Alkohol wissen und erste Hilfe leisten können, sie müssen auch selbst eine gewisse psychische Reife erlangen, um mit pöbelnden betrunkenen Jugendlichen umgehen zu können.

Projekt Feierstarter

Die Ausbildung zum Feierstarter wird von den Jugendämtern der Städte Eschweiler und Herzogenrath angeboten. Sie begleiten die Feierstarter auf Festen. Feierstarter sind Jugendliche, die auf Augenhöhe andere Jugendliche beraten, nicht zu viel Alkohol zu trinken. Sie haben Stände und bieten kostenlose alkoholfreie Cocktails an und kommen so mit den anderen Jugendlichen ins Gespräch. Ein Konflikttraining und ein Erste Hilfe-Kurs sind Bestandteile der Ausbildung.

Deshalb provoziert Konfliktcoach Robert Schumann die angehenden Feierstarter verbal und körperlich und diskutiert anschließend mit den Jugendlichen über Konfliktlösungen. Er sucht sich Hovannes aus der Gruppe aus und stellt sich dicht vor ihn, als wolle er sich mit ihm prügeln. Hovannes soll die Situation deeskalieren.

Hovannes schubst den Coach zurück. Als der den Jungen weiter provoziert und sich immer mehr vor ihm aufbaut, muss der Jugendliche sich sichtlich zusammenreißen. Er hat wie viele andere Jungen in dem Alter bereits in der Vergangenheit Erfahrungen mit Prügeleien gemacht.

Nach der Übung macht es "Klick"

Schlagfertig fragt er den Coach: "Was soll ich machen, willst du einen Kuss?" Die Mädchen im Raum können sich vor Lachen kaum halten. Er kommt nicht auf die Idee, dem Coach auszuweichen, um die Situation zu deeskalieren und sagt stattdessen: "Soll ich dir eine reinhauen?"

Wenn die Stimmung kippt 00:32 Min. Verfügbar bis 25.08.2025

Der Coach fragt ihn, ob das nun cool sei oder traurig. "Traurig", gibt Hovannes zu. Das Lachen der Mädchen im Raum verstummt. Die Gruppe schaut nachdenklich. Der Coach hat sein Ziel erreicht. Bei Hovannes und der Gruppe scheint es "Klick" gemacht zu haben. Nach der Übung erklärt der 16-Jährige, was die Provokation in ihm körperlich ausgelöst hat.

Feierstarter: Jugendliche müssen sich beherrschen lernen

Für Konfliktcoach Robert Schumann sind solche Reaktionen nicht ungewöhnlich. Um Feierstarter werden zu können, müssten die Jugendlichen lernen, sich selbst zu beherrschen und am eigenen Leib die Gefühle bei Konflikten zu verstehen. Nur so würden sie es später schaffen, alkoholisierte Jugendliche auf Augenhöhe zu beruhigen und Streit und Prügeleien zu verhindern.

Konfliktcoach Robert Schumann | Bildquelle: WDR

Hovannes wirkt einsichtig und bedankt sich bei dem Coach für das Konflikttraining, bevor er sich wieder lässig und auch ein bisschen stolz in den Ohrensessel fallen lässt.

Jugendliche machen Beleidigungs-Übung

Plötzlich fliegt ein gelber Ball hin und her. Die Jugendlichen beleidigen sich unter lautem Gelächter und unter Kraftausdrücken, die in Schulungssituationen sonst eher verboten sind.

Hovannes bedankt sich, wirft einem anderen Jungen einen Ball zu und ruft "Hurensohn". Der Junge bedankt sich ebenso freundlich und wirft den Ball weiter. Das Bedanken soll die Beleidigung entkräften, erklärt der Konfliktcoach Robert Schumann nach dem Spiel. "Der Beleidigte lässt damit nicht zu, dass sie ihn trifft und verwirrt das Gegenüber, schafft es vielleicht sogar, dass keine weiteren Beleidigungen folgen."

Die Jugendlichen sollen beim Ballspiel bewusst beleidigen | Bildquelle: WDR

Im Gegensatz zu ein paar anderen angehenden Feierstartern in der Gruppe hat Hovannes noch nicht so viel Erfahrung im Ehrenamt gesammelt, er war zum Beispiel noch nicht bei der freiwilligen Feuerwehr wie ein anderer Junge, der drei Stühle weiter sitzt.

Weniger Alkohol: Vorbild für andere Jugendliche

Mit seinem selbstbewussten Blick wirkt er aber wie jemand mit festem Willen, einer der, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, es auch durchzieht: "Es wird noch mehr Fortbildungen geben, daran werde ich teilnehmen. Und dann werde ich irgendwann als Feierstarter arbeiten", sagt Hovannes.

Als Feierstarter könnte er das Vorbild sein, das alkoholisierte Jugendliche davon abhält, sich zu prügeln. Seine Aufgabe könnte es auch sein, bei Betrunkenen erste Hilfe zu leisten und präventiv Tipps für einen bewussten Alkoholkonsum zu geben. Die Gruppe ist sich einig: Einen klaren Kopf auf Festen behält man zum Beispiel, wenn man zwischen den Bieren auch mal ein Glas Wasser trinkt, Schnaps verdünnt oder einfach mal einen alkoholfreien Cocktail bestellt.

Über das Thema haben wir am 21.08.2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Aachen, 19.30 Uhr.