Lehrerin Ulrike Kuhlmann, sie hat dunkelblondes Haar und trägt ein schwarzes T-Shirt.

Für den Bio-Unterricht: Lehrerin lässt eigene Unterleibs-OP filmen

Recklinghausen | Füreinander

Stand: 13.02.2025, 12:19 Uhr

Die Eingeweide auf der Leinwand sind blutrot, manche auch gelblich, alle aus nächster Nähe zu sehen. Doch die Kinder der Klasse 7B am Ernst-Barlach-Gymnasium in Castrop-Rauxel schauen keinen Horrorfilm. Stattdessen bekommen sie Einblicke, die intimer nicht sein können. Warum sie freiwillig in den Bauchraum ihrer Biologielehrerin schauen - und sie das vor Krankheiten schützen soll.

Von Solveig Bader

Eine silberne Zange sucht sich den Weg durch den Unterleib von Lehrerin Ulrike Kuhlmann. Die Zange setzt am Eileiter an, zieht ihn nach oben. Von unten greift eine zweite Zange fest zu. Eine Kamera überträgt die Bilder aus Kuhlmanns Gebärmutter auf eine große Leinwand vor der Tafel. 15 Minuten dauert der Film. Kuhlmann steht daneben und erklärt die einzelnen Schritte des Eingriffs.

Ulrike Kuhlmann nutzt das Video ihrer Krebs-OP als Unterrichtsmittel

00:31 Min. Verfügbar bis 13.02.2027

Vor einem Dreivierteljahr ist Ulrike Kuhlmann an der letzten Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs erkrankt. Kuhlmann hatte sich vor über 20 Jahren mit Humanen Papillomviren (HPV) infiziert. Alle Vorsorgen beim Gynäkologen waren bis dahin immer unauffällig, doch im vergangenen Jahr hatten sich bei ihr die Zellen am Gebärmutterhals zu einer Vorstufe von Krebs verändert. Infektionen mit HP-Viren zählen zu den häufigsten Infektionen, die durch intime Kontakte ausgelöst werden. Mehr als 200 verschieden Typen gibt es.

In der Gebärmutter steigt Rauch auf

Um kein Risiko einzugehen, ließ die 44-jährige Essenerin Gebärmutter und Eileiter entfernen. Vor der Operation fragte Kuhlmann ihren Arzt, ob er den Eingriff filmen könne. "Wir waren im Unterricht gerade bei der Sexualerziehung, als ich meinen Befund gekriegt habe. Da habe ich dann gedacht, ich erzähle den Schülern, was bei mir so los ist und wir können über die OP sprechen", meint Kuhlmann.

Besonders wichtig für Ulrike Kuhlmann: Die Vorbeugung sexuell übertragbarer Krankheiten

00:21 Min. Verfügbar bis 13.02.2027

Auf der Leinwand sehen die Schüler Rauch in Kuhlmanns Gebärmutter aufsteigen. "Die Zangen funktionieren mit Strom. Man benutzt da Strom, um die Blutgefäße zu veröden. Und das sind auch die Stellen, wo später geschnitten wird", erklärt die 44-Jährige. Einige Schülerinnen und Schüler verziehen ein wenig das Gesicht, andere drehen sich auch kurz weg.

Zuvor hat der operierende Chirurg Norbert Nosal kleine Schnitte in den Bauch gemacht. Durch diese Schnitte führte er die Instrumente hindurch, während er von außen mit einer Kamera in den Bauchraum schaute. Der Mediziner war mit Kuhlmanns Idee, die Aufnahme auch im Unterricht zu zeigen, gleich einverstanden. Er weiß, welche Gefahr von HP-Viren ausgeht - und dass es gute Möglichkeiten der Vorbeugung es gibt.

HP-Viren gehören zu häufigsten sexuell übertragbaren Viren

"85 bis 90 Prozent aller sexuell aktiven Menschen stecken sich mit HPV im Laufe ihres Lebens an", so Nosal, Chefarzt der Frauenklinik am Essener Elisabeth Krankenhaus. Die Viren besiedeln vor allem die Haut und Schleimhäute.

Norbert Nosal lehnt vorne am OP-Tisch. Drei OP-Helferinnen lehnen sich im Hintergrund ebenfalls auf den Tisch.

Chefarzt Norbert Nosal hat Ulrike Kuhlmann operiert und den Eingriff gefilmt

Durch das Video werde der Klasse deutlich, welche Folgen eine Ansteckung haben kann. Nach Studien des Robert Koch Instituts RKI erkranken pro Jahr 6.250 Frauen und 1.600 Männern an Karzinomen, die durch HP-Viren verursacht werden. Dabei gibt es seit 2007 eigentlich eine HPV-Impfung. Ihre Einführung war ein großer Durchbruch in der Krebsprävention. Auch die Ständige Impfkommission STIKO empfiehlt die HPV-Impfung.

"Mädchen und Jungen sollten sich zwischen 9 und 14 Jahren impfen lassen, am besten vor dem ersten Geschlechtsverkehr. Aber auch im Erwachsenenalter ist noch eine Impfung empfehlenswert", rät der Essener Kinder- und Jugendarzt Tobias Gregor.

"Unterrichtsinhalte mit persönlichem Bezug haben einen ganz anderen Wert"

Die Schülerinnen und Schüler von Kuhlmann konnten selber entscheiden, ob sie die OP-Bilder sehen wollen oder nicht. Die meisten waren neugierig und haben sich diese Möglichkeit nicht entgehen lassen. Auch wenn sich einige an die Bilder erst gewöhnen mussten. "Ist schon ein bisschen ekelig, weil die Organe alle so glibberig aussehen", findet die zwölfjährige Lena. Lijan, ebenfalls zwölf Jahre alt, fand den Film sehr lehrreich und ist dankbar. "Ich bin erstaunt, dass unsere Lehrerin so ein großes Vertrauen in uns hat."

Ulrike Kuhlmann vertraut ihren Schülern und kennt sie sehr gut

00:22 Min. Verfügbar bis 13.02.2027

Dass Kuhlmann keine großen Berührungsängste mit dem Thema hat, liegt wahrscheinlich auch daran, dass sie ebenfalls examinierte Krankenschwester ist. Vor ihrer Lehrer-Ausbildung hat sie am Essener Uniklinikum gearbeitet. Mit der abgefilmten OP hat sie die Kinder in jedem Fall erreicht. Einige haben sich danach impfen lassen.

Über dieses Thema haben wir auch am 23.01.2025 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.