Alle an einen Tisch bringen
Günter Haverkamp hält sich still zurück, während die anderen präsentieren. Er ist nicht der Typ, der sich in den Vordergrund stellt, er will Menschen zusammenbringen, damit sie über die wichtigen Themen reden. Dennoch kann der 76-jährige Düsseldorfer als der Macher im Hintergrund bezeichnet werden. Er ist es, der 2007 den "Runden Tisch NRW" ins Leben ruft, um Experten aus Politik, Gesundheit, Bildung, Recht und Zivilgesellschaft im Kampf gegen die Beschneidung von Mädchen an einen Tisch zu bringen. Das Thema tritt 1999 mit einer Betroffenen in sein Leben. "Zunächst habe ich ihr gar nicht geglaubt, weil mir das so unvorstellbar schien", sagt er. Schließlich überzeugt sie ihn und er beschließt, ihr zu helfen.
Mit am Tisch sind zahlreiche Beratungsstellen, die Frauen wie Fatima (Name geändert) betreuen. Die Somalierin, deren Geschichte "Stop Mutilation e.V." vorstellt, ist 25, als sie in Deutschland ankommt. Sie wurde mehrfach beschnitten, im Alter von acht und 14 Jahren. Das zweite Mal kurz vor ihrer Hochzeit. Sie erleidet eine Fehlgeburt, wird erneut schwanger, entbindet im Alter von 15 Jahren einen Jungen, drei Jahre später ein Mädchen. Ihre Vulvalippen werden - wie üblich bei der pharaonischen Beschneidung vom Typ 3 - direkt nach der Geburt direkt wieder zugenäht, sodass nur ein winziger Spalt für Urin und Menstruationsblut verbleibt. Als Fatima nach ihrer Flucht durch Afrika und Europa, auf der sie abermals Gewalt erfährt, schließlich schwer traumatisiert in Deutschland ankommt, ist sie in der 33. Woche schwanger. Jährlich betreut allein Stop Mutilation e.V. aus Düsseldorf über 800 Frauen, die ein ähnliches Schicksal teilen. Und der Bedarf ist groß.
Die Folgen weiblicher Genitalbeschneidung
Aus Rücksicht auf die schwer traumatisieren Frauen sprechen die Experten von "Beschneidung". "Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwerwiegend dieser Eingriff ist, der, selbst wenn er unter medizinisch einwandfreien Bedingungen durchgeführt wird, meist schwere medizinische Komplikationen nach sich zieht", sagt Haverkamp. "Der weltweit häufigsten Form der Beschneidung vom Typ 2 entspräche aus medizinischer Sicht die vollständige Entfernung des Penis und der Hoden beim Mann", verdeutlicht er die Monstrosität des Eingriffs. Der Eingriff soll dazu dienen, die Sexualität der Frauen zu kontrollieren und ihre eheliche Treue sicherzustellen. Mit Erfolg. Denn die Frauen leiden ein Leben lang unter Schmerzen.
Mit der Ankunft in Deutschland ist das Leid für viele Frauen daher nicht beendet. Nicht nur erschweren die gesundheitlichen Folgen ihr Leben. Allein in NRW sind nach konservativen Schätzungen des Bundesfamilienministeriums fast 2000 Mädchen von Beschneidung bedroht. Rund 20.000 sind es bundesweit. Insbesondere während der schulischen Sommerferien steigt das Risiko, bei einem Heimaturlaub der grausamen Prozedur unterzogen zu werden. Zwar wird diese in Deutschland als schwere Körperverletzung bestraft, doch: "Bedauerlicherweise erliegen viele Eltern dennoch dem Druck der Tradition, wenn sie wieder in ihre Herkunftsländer reisen", sagt Haverkamp. Dass der Eingriff stattgefunden hat, bleibt dann im Verborgenen. Den sogenannten Schutzbrief der Bundesregierung hält er daher eher für einen zahnlosen Tiger.
Deshalb sei es wichtig, auf das Leid der Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen. Ärzte, Lehrer, medizinisches Fachpersonal zu sensibilisieren, um Gefährdungslagen zu erkennen und - wenn möglich - Beschneidungen zu verhindern. "Ist ein Arzt oder Lehrer informiert, dann weiß er, dass etwa Kopf- oder Rückenschmerzen Hinweise auf eine Beschneidung sein können", sagt er.
Unermüdlich im Einsatz für die gute Sache
Das Thema weibliche Genitalverstümmelung ist aber nur eines von vielen Themen, denen sich Haverkamp in seinem Leben schon gewidmet hat. Im Laufe der Jahre gibt er eine Zeitschrift zu den Themen Flucht und Asyl heraus und gründet den Flüchtlingsrat NRW, um die Rechte und den Schutz von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Nordrhein-Westfalen zu stärken. Angesichts des drohenden Irakkriegs trommelt er 2003 Berufskollegen zusammen, um die "Aktion weißes Friedensband" zu gründen. Weltweit verkaufen sie damals an die 100.000 Friedensbänder und versuchen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren.
Dabei liegen ihm die Rechte der Kinder stets besonders am Herzen. "Sie sind in Konflikten immer die größten Leidtragenden", sagt er. Selbst unter vielen Gewalterfahrungen aufgewachsen, empfindet er es als seine Aufgabe, Kinder und Jugendliche für ihre Rechte zu sensibilisieren. In ihnen sieht er den Schlüssel zu Veränderung. "Erst wenn die Jugendlichen aufstehen, dann ziehen die Älteren nach", sagt er. Auch deshalb geht er an Schulen und versucht junge Menschen für politisches Engagement und kritisches Denken zu begeistern.
- Zum Beitrag: "Engagiert gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche"
Dafür scheut er sich nicht davor, sich mit großen Unternehmen anzulegen. Er gründet das Netzwerk "Generation rauchfrei" und erreicht, dass die Kinder keine Zigaretten mehr anfassen - nicht nur für ihre eigene Gesundheit, sondern auch für die der Kinder, die Tabakkonzerne auf ihren Plantagen für sich arbeiten ließen. Diese hätten ihm sogar Geld angeboten, wenn er seine Unterrichtsmaterialien so gestalten würde, dass sie in einem besseren Licht präsentiert würden, sagt er. Haverkamp lehnt natürlich ab. Ein anderes Mal stiftet er Jugendliche dazu an, ihre Fußballvereine per Brief aufzufordern, bei der Wahl ihrer Ausrüster darauf zu achten, dass diese keine Kinderarbeit zuließen. "Damit sind wir nicht nur auf positive Resonanz gestoßen, einige fanden, wir sollten uns nicht einmischen", meint er. Immerhin reagierte Fortuna Düsseldorf positiv auf die Aktion und schickte prompt einen fair produzierten Ball mit den Unterschriften aller Spieler.
Pause machen ist nicht Haverkamps Sache. "Ich agiere so zehn bis zwölf Stunden am Tag, das reicht mir eigentlich nicht, aber die Nacht nehme ich nicht noch dazu", sagt er. Sich einzumischen, das sei für ihn der Schlüssel zu einem guten Leben. Er habe mal versucht, die Projekte zu zählen, die er im Laufe seiner Karriere begleitet hat. Bei etwa 100 hörte er auf. "Einmischen.jetzt" heißt konsequenterweise sein neustes Projekt. Eine Website, die, mit Hilfe von Petitionen, Themen Öffentlichkeit geben soll, die sie sonst vielleicht nicht erhalten würden.
Die höchste Auszeichnung für sein Engagement
Im Dezember werden Haverkamp und der Runde Tisch seine Arbeit erneut vor dem Landtag präsentieren. Nicht viele hätten am Anfang daran geglaubt, dass er damit Erfolg haben würde. Doch Hartnäckigkeit, zahlt sich aus. Am 18. November, dem europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt, den er selbst mit initiiert hat, erhält er nun das Bundesverdienstkreuz für sein Engagement.
Im Laufe des kommenden Jahres will er die Moderation des NRW-weiten Tisches in andere Hände geben. "Ich mag es nicht, wenn Menschen an ihren Stühlen kleben", meint er. Aber wer denkt, dass er dem Thema weibliche Beschneidung den Rücken kehrt, hat weit gefehlt. Als Nächstes hat er sich den Aufbau eines bundesweiten runden Tisches gegen Mädchenbeschneidung vorgenommen.