Eine Rikscha, auf der zwei Seniorinnen sitzen. Hinten lächelt eine Frau, die das Fahrrad fährt.

So strampeln Ehrenamtliche in Aachen gegen Einsamkeit im Alter an

Städteregion Aachen | Füreinander

Stand: 26.09.2024, 16:52 Uhr

Auf dem Flaniermobil sollen Senioren in Aachen der Einsamkeit entfliehen können. Für viele von ihnen sind die Rikschafahrten ein Höhepunkt im Heimalltag. Warum das Projekt so wichtig ist.

Von Claudia Becker

Der Wind weht durch die Haare, die Knie von der Sonne und grauen Wolldecken gewärmt, vorbei an Wiesen und Wäldern. Hildegard Gerhardus genießt die Fahrt. Gemeinsam mit einer Mitfahrerin sitzt sie in einer der beiden Rikschas, den sogenannten Flaniermobilen. Seit sieben Jahren lebt die 95-jährige Gerhardus in einem Seniorenheim in Aachen. Früher war sie Lehrerin, unterrichtete Deutsch und Geschichte. Kinder habe sie keine, Besuch bekomme sie nur selten, erzählt sie. Die einstündige Fahrt mit der Rikscha ist für sie jedes Mal ein Highlight. "Wenn man sonst nur in der Stube sitzt und mit keinem reden kann, ist das doch wunderbar. Und die frische Luft tut gut, wenn man nicht mehr laufen kann."

Eine Fahrt mit dem Flaniermobil

00:29 Min. Verfügbar bis 26.09.2026

Die Abwechslung von ihrem Alltag hat Hildegard Gerhardus der Aachener Caritas zu verdanken. Seit gut drei Jahren bietet der Wohlfahrtsverband Fahrten mit den Flaniermobilen an, um Senioren aus der Isolation ihres Heimzimmers zu holen. Warum das wichtig ist, zeigt eine aktuelle Studie der Staatskanzlei des Landes und der Ruhr-Universität Bochum. 14,5 Prozent der Menschen fühlen sich demnach einsam in NRW. Das kann auf lange Sicht sogar krank machen. Die Rikschas sollen Orte der Begegnung sein - nicht nur zwischen den Passagieren, sondern auch mit den Fahrern.

Abwechslung statt Langeweile

Einige Minuten bevor die beiden Rikschas Hildegard Gerhardus und die anderen drei Senioren abholen, kontrollieren Gabi Middelhof und Veronika Lancé die roten Dächer über den Fahrgastkabinen, die Sicherheitsgurte und legen graue Decken bereit. Sie sind zwei von insgesamt 30 ehrenamtlichen Rikschafahrern der Caritas. Die älteren Fahrgäste, die hier Platz nehmen, sollen während des Ausflugs auf keinen Fall vom Wagen rutschen und frieren. Die beiden Frauen schwingen sich auf den Sattel und rollen bergab zum Eingang des Aachener Seniorenzentrums Lourdesheim.

Was die Gespräche für Ehrenamtlerin Gabi Middelhof besonders macht

00:40 Min. Verfügbar bis 26.09.2026

Lancé arbeitet seit vielen Jahren im Büro eines Hochschulinstitutes. Irgendwann war ihr das nicht mehr genug. "Meine Eltern leben nicht mehr", erzählt sie. "Auch deshalb wollte ich gerne mit alten Menschen arbeiten." Es sind die vielen Gespräche mit den Senioren während der Rikschafahrten, die ihr wichtig sind.

Mit etwas Unterstützung von Ehrenamtlerin Veronika Lancés nimmt die 95-jährige Helene Haller in der Rikscha Platz. "Einsam sind wir alle, weil wir überwiegend in den Zimmern sind. Wir freuen uns riesig, dass wir mal wieder rauskommen", sagt sie. Mit anderen Menschen reden - das kommt in ihrem Leben nicht mehr allzu oft vor. Einmal in der Woche trifft sie sich mit einer Mitbewohnerin zum Rommé Spielen, mehr private Kontakte hat sie nicht. Mitfahrerin Gerhardus ergänzt: "Viele der Bewohner in unserem Seniorenheim leiden an Altersdemenz. Da kommen Gespräche gar nicht mehr zustande."

Eine alte Dame mit Brille und Mütze, die in einer Rikscha sitzt und in die Kamera lächelt

Hildegard Gerhardus freut sich über das Angebot

Die Rikschafahrten bringen Abwechslung und manchmal auch Action in den Alltag. "Ein bisschen abenteuerlich ist das schon, es geht ja auch quer durch den Wald über Wurzeln, aber es ist toll, und das sind wirklich gute Fahrerinnen. Da muss man keine Angst haben", erzählt Senior Manfred Sliwinski, der einzige Mann auf der heutigen Tour.

Große Nachfrage, zu wenig Ehrenamtliche

Die Aachener Caritas würde gerne mehr Rikschafahrten anbieten. Dafür fehlt es im Moment aber an ehrenamtlichen Helfern. "Die Nachfrage aus den Seniorenheimen ist gewaltig, wir kommen da gar nicht mehr hinterher", sagt Koordinatorin Ute Fischer. "Wir bieten solche Fahrten auch für mobilitätseingeschränkte Kinder ab zehn Jahren an. Auch das würden wir gerne ausweiten." Denn Einsamkeit ist nicht nur ein Problem für ältere Menschen. Laut Studie der Ruhr-Universität fühlen sich auch junge Menschen immer öfter einsam.

Über dieses Thema haben wir auch am 08.07.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Aachen, 19:30 Uhr.