WDR-Journalist Hajo Seppelt

Interview mit Hajo Seppelt

"You are the devils!" 

Stand: 26.11.2015, 13:25 Uhr

Die ARD/WDR-Doku "Geheimsache Doping" hat hohe Wellen geschlagen – sportpolitisch und medial. Wie das die Arbeit der Dopingredaktion beeinflusst und warum investigativer Sportjournalismus so wichtig ist, verrät WDR-Journalist Hajo Seppelt im Interview.

Von Sebastian Schug

Kann man nach den Enthüllungen Ihrer Doku überhaupt noch Vertrauen in den heutigen Profi-Sport haben?

Hajo Seppelt: "Es ist nicht alles schlimmer als früher, es wird nur mehr darüber berichtet. Und dementsprechend auch aufgeklärt. Das ist ja eigentlich eine positive Entwicklung. Dafür braucht es aber auch die investigative Berichterstattung. Nur die regelmäßig kritische mediale Begleitung kann eine Kontrolle gewährleisten."

Warum müssen das die Medien übernehmen? Schließlich gibt es doch sogar eine Untersuchungskommission der Welt-Antidoping-Agentur WADA.

Hajo Seppelt: "Die WADA ist ein sogenannter Monitoring Body, wacht über die internationale Einheitlichkeit des Regelwerks, kann aber Athleten und Verbände gar nicht bestrafen. Daher ist sie in Wirklichkeit immer ein zahnloser Tiger: Es gibt nur einen Mitarbeiter im Bereich Ermittlungen, man ist chronisch unterfinanziert und hat keine Sanktionierungsmöglichkeiten. Seit Einführung des neuen Welt-Anti-Doping-Codes 2015 sind sie ein bisschen besser aufgestellt. Ohne die beiden Whistleblower Yulia Stepanova und Vitaly Stepanov und der Arbeit des WDR-Teams wären die Geschehnisse aber, das muss man sagen – wie so vieles im Sport – nie ans Tageslicht gekommen."

Richard Pound, der Leiter der Kommission, hat Ihre TV-Doku sogar mit der Aufdeckung des Watergate Skandals verglichen. Warum schlug Ihr Film gerade international so hohe Wellen?

Hajo Seppelt: "Während es beispielsweise bei der FIFA um Korruption bei der Vergabe von Austragungsorten geht, ist hier die unmittelbare Integrität des Sports betroffen. Ein systemischer Betrug im und am Wettbewerb. Die IAAF hat quasi Startplätze an Doper verkauft und damit Athleten aus der ganzen Welt betrogen. Deswegen auch die internationale mediale Aufmerksamkeit. In Deutschland wird die Dimension des Skandals nach meiner Beobachtung noch unterschätzt. Aufgrund der Skandaldichte im internationalen Profisport scheint man ein Stück weit abgestumpft. International war das Thema Aufmacher vieler Nachrichtensendungen. Weltweit ist die Arbeit des WDR schon beinahe zu einem Markenzeichen für kritische Sportberichterstattung geworden."

Klingeln denn jetzt bei vielen Funktionären die Alarmglocken, wenn Hajo Seppelt anruft?

Hajo Seppelt: "Ich habe die Sachen ja nicht alleine enthüllt, wir sind ein Team. Auch Jochen Leufgens, in diesem Jahr auch Jochen Taßler, sowie mein langjähriger Kollege Uli Lokesind tief im Thema drin. Unser Kameramann Manfred Pelz hat in vielen heiklen Situationen unschätzbare Erfahrung eingebracht. Ohne seine ausdrucksstarken Bilder, oft mit versteckter Kamera, wäre unsere Arbeit undenkbar. Aber sicherlich wird investigativer Sportjournalismus oft von Lobbyisten kritisiert. Häufig wird befürchtet, dass man die Marke des Sports schwächen würde. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass wir mal beim Weltradsportverband um eine Stellungnahme zu konkreten Dopingrecherchen von uns gebeten hatten. Wir standen direkt im Büro des Verbandes. Als wir einen Mitarbeiter mit unserer Recherche konfrontierten, die alsbald bestätigt wurde, kam aber zunächst nur die Antwort: 'You are the devils.' Ein anderer Mitarbeiter der UCI sagte uns damals tatsächlich, dass Journalisten den Radsport promoten sollten. Das sagt einiges darüber, wie die Sportlobby die Rolle der Medien sieht."

Und wie hat man in Russland auf Ihre Enthüllungen reagiert?

Hajo Seppelt: "Die beiden Whistleblower wurden als Nestbeschmutzer beschimpft und auch unser Team musste sich Anfeindungen aussetzen. Ich wurde auch von russischen Medien interviewt. Dabei waren wir dann leider immer wieder recht abstrusen Verschwörungstheorien ausgesetzt. Es gibt tatsächlich Mutmaßungen russischer Journalisten, die Arbeit des WDR sei von der Politik hierzulande gesteuert und sei als Gegenschlag für das schlechte Abschneiden deutscher Athleten in Sotchi zu verstehen."

Sind Doping und Korruption im Sport denn in Russland besonders präsent?

Hajo Seppelt: "Russland ist ein sehr großes Land und viele im Sport tätige Funktionäre kommen dort noch aus dem alten Sportsystem der Sowjetunion, daher ist eine Art Dopingkultur mancherorts noch stark verbreitet. Aber es gibt sie natürlich auch in etlichen anderen Ländern. Nach fast zwanzig Jahren Dopingberichterstattung für die ARD ist mir klar, dass wir nur die Spitze des Eisberges bisher gesehen haben. Wir können aber nicht überall gleichzeitig recherchieren. Dafür braucht es noch mehr Leute, noch mehr Ressourcen. Heute ist viel mehr Leuten die Bedeutung von investigativem Sportjournalismus bewusst. Das ist auch ein Verdienst unserer Arbeit im WDR."

In der internationalen Presse wurde schon das Kürzel ARD/WDR als das der wahren Welt-Anti-Dopingagentur tituliert. Wie beeinflusst eine solche mediale Aufmerksamkeit Ihre Arbeit?

Hajo Seppelt: "Bei unserer Arbeit zum ersten Film in Russland sind wir noch unter dem Radar durchgegangen. Keiner ahnte, was wir auf dem Schirm hatten. Erst nach der Ausstrahlung wurde die Tragweite des ganzen bewusst. Das machte die Arbeit am zweiten Film bedeutend schwieriger. Interviews wurden entweder abgesagt oder zurückgezogen."

Trotzdem ließen Sie sich davon nicht entmutigen.

Hajo Seppelt: "Nein, und das werden wir auch weiterhin nicht. Anfangs hatten wir von unserer ersten Recherche in Russland lediglich einen zehnminütigen Beitrag für Sport Inside [das Hintergrund-Magazin im WDR-Fernsehen] geplant, aber dann haben wir uns wieder und wieder mit Yulia Stepanova und Vitaly Stepanov getroffen. Am Ende ist dann die Dokumentation dabei rausgekommen. Wir können beim WDR frei recherchieren. Das ist ein großes Plus, denn nur die offene Recherche führt wirklich zu Erfolgen."