Justitziarinnen

"Ein bisschen war es wie bei einem Blind-Date"

Stand: 06.07.2023, 16:00 Uhr

Seit dem 1. November 2022 leiten Katrin Neukamm und Caroline Volkmann das WDR-Justiziariat und teilen sich gleichberechtigt die Position der Justiziarin. In einem Interview berichtet das Topsharing-Tandem, wie das funktioniert, und gibt persönliche Einblicke in seinen Arbeitsalltag.

Was können wir uns unter einem Topsharing-Tandem vorstellen? Wie sind Sie zu dieser Position gekommen?

CV: Wir üben die Funktion der Juristischen Direktorin beim WDR gemeinsam aus – das heißt, wir tragen die Verantwortung für alles gemeinsam. Wir teilen uns eine volle Stelle, jeweils zu 50%. Anders als bei der "verteilten Führung" haben wir bis auf einige große Themen keine klar abgrenzbaren Aufgabenbereiche, vielmehr entscheiden wir kontinuierlich neu, welche Aufgaben wir z. B. aus übergeordneten Gründen gemeinsam wahrnehmen – und welche nur eine von uns übernimmt.

KN: Ich bin überzeugt davon: Topsharing ist das Führungsmodell der Zukunft! Ich habe das große Glück, dass ich beim SWR bereits zwei Jahre lang Erfahrungen im Topsharing sammeln durfte. Als der Intendant des WDR dann avisiert hatte, die Stelle im Topsharing zu besetzen, war für mich klar: Das ist es! Für mich war es eine Rückkehr zum WDR, mit dem ich stark verwurzelt bin. Und mit Caroline war das Tandem dann wunderbar aufgestellt.

CV: Katrin und ich kannten uns vorher noch nicht und ich hatte mich auch mit geteilter Führung bisher noch nicht beschäftigt. Das Modell fand ich aber direkt sehr interessant und modern. Richtig spannend war es dann natürlich beim persönlichen Kennenlernen, es war ein bisschen wie bei einem Blind-Date. Wir haben uns intensiv gegenseitig abgeklopft, denn uns war klar: Wir müssen zueinander passen, wenn das Tandem Erfolg haben soll. Die wechselseitige Sympathie war sofort da. Wir haben im Verlauf der Gespräche auch gemerkt, dass wir uns nicht nur fachlich gut ergänzen, sondern auch ähnliche Werte teilen.

Was ist wichtig bei der Besetzung eines Topsharing-Tandems? Sollten beide Personen gleich ticken – oder möglichst unterschiedlich sein?

KN: Es gibt ein paar Grundvoraussetzungen, die im Tandem unerlässlich sind: Kommunikation, Vertrauen, Loslassen-Können, Flexibilität. Im Tandem sollten beide in der Lage sein, offen und klar zu kommunizieren. Nur so kann sich auch Vertrauen aufbauen, was ganz wichtig ist. Ich stehe zu allen Entscheidungen von Caroline, auch wenn ich mal anders entschieden hätte als sie. Intern können wir darüber diskutieren, nach außen steht das Wort des Tandems. Das setzt Vertrauen voraus – und gleichzeitig auch die Fähigkeit, Aufgaben und Themen abzugeben und Kompromisse einzugehen. Das ist im Einzelfall gar nicht so einfach – aber so wichtig!

Wie hat Ihr Arbeitsumfeld auf das Tandem reagiert? Und wie sieht Ihre Aufgabenteilung konkret aus?

CV: Wir haben den Eindruck, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich ohne Wenn und Aber darauf eingelassen haben, dass sie jetzt zwei Chefinnen haben. Gleiches gilt für die Geschäftsleitung, der wir angehören. In den ersten Wochen waren wir noch zusammen bei den wöchentlichen Geschäftsleitungssitzungen dabei, um das Haus und die Themen besser kennenzulernen, aber auch um uns im Tandem als Einheit zu zeigen. Mittlerweile ist in der Regel nur noch eine von uns dabei – und informiert die jeweils andere über die relevantesten Punkte. Wichtig ist uns: Für Dritte darf ein Tandem keine Zusatzarbeit bedeuten – für den Informationstransfer sorgen wir im Tandem, mit Unterstützung unseres unmittelbaren Umfelds.  

KN: Gemeinsam kümmern wir uns um übergeordnete Themen, wo der Vorteil eines Tandems, nämlich das Diskutieren aus unterschiedlichen Perspektiven, sich besonders zeigt. Ins Splitting gehen wir bei Themen, wo es eine hohe Fachexpertise und viel Erfahrung braucht, aber auch dort, wo angesichts der Komplexität oder Kleinteiligkeit die Zeit von zweien einfach überstrapaziert wäre.

Was klappt gut? Was ist schwierig?

KN: Die Arbeitsorganisation im Tandem ist eine große Herausforderung: Wie wird sichergestellt, dass beide informiert sind? Wer nimmt wann welchen Termin wahr? Wer erledigt welche Aufgabe? Was kann auch gut im Team bewältigt werden? Im WDR gibt es bislang noch nicht so viele Tandems, so dass die Organisation bislang noch eine individuelle Aufgabe ist. Was sich vom ersten Moment an als sinnvoll erwiesen hat, ist eine gemeinsame Mailadresse, unter der wir beide erreichbar sind. Mit unserem Sekretariat haben wir in den letzten Monaten einiges ausprobiert, um zu einer optimalen Organisation zu kommen. Unsere Devise lautet: ausprobieren, evaluieren und nachjustieren.

Doppelspitze

CV: Wir sprechen aber auch über unser Miteinander, wir geben uns Feedback – und wir diskutieren unsere gemeinsame Strategie. Für die schnelle, nicht zeitkritische Information nutzen wir einen Tandem-Teams-Kanal, das hat sich als sehr hilfreich erweisen. Auch OneNote ist für uns unerlässlich: Dort befinden sich transparent für beide die Sitzungsunterlagen, die wir auch miteinander teilen und sogar in Echtzeit für die andere sichtbar kommentieren können. An einem Tag pro Woche sind wir in der Regel auch gemeinsam im Büro, um besonders wichtige oder sensible Themen im direkten Miteinander besprechen zu können. Klar ist aber auch, dass man an der kommunikativen Abstimmung Freude haben und akzeptieren muss, dass sie zusätzlich Zeit bindet.

KN: Es wird niemanden überraschen, dass es bei dieser wichtigen Position mit jeweils 50 Prozent nicht getan ist. Unser Ziel ist, dass wir uns perspektivisch dem Umfang von drei Arbeitstagen pro Woche annähern, egal auf welche Tage und Zeiten sie sich verteilen. Und wir bleiben optimistisch, dass uns das auch gelingen wird.

Warum ist Topsharing ein Führungsmodell der Zukunft?

KN: Topsharing erlaubt es, eine Managementfunktion mit Engagement und Energie auszuüben – und daneben gleichwohl noch Zeit zu haben: für die Familie, für Hobbies, für ein Ehrenamt – oder auch für die persönliche Weiterentwicklung. Das ist vor allem für die jüngere Generation immer wichtiger, die Arbeitgeberattraktivität wird gesteigert. Beim Topsharing ist für mich besonders wertvoll, dass ich mit Caroline eine Sparringspartnerin an meiner Seite habe, mit der ich auf Augenhöhe mit der gleichen Verantwortung über alles diskutieren kann. Und immer wieder durch diesen Austausch neue Erkenntnisse gewinne. Ich bin überzeugt davon, dass Entscheidungen, die im Tandem getroffen werden, grundsätzlich reflektierter sind als diejenigen, die eine Person allein mit sich selbst ausmacht.

CV: Dass wir wichtige Entscheidungen vorab miteinander besprechen können, macht uns als Führungskräfte stark. Für mich ist es auch persönlich eine Bereicherung, strategische Entscheidungen gemeinsam zu treffen, sich über Erfolge gemeinsam zu freuen oder auch mal einen Rückschlag zu besprechen. Das erste halbe Jahr war sehr intensiv, aber gerade deswegen auch sehr konstruktiv. Und es hat sich gezeigt: Ein engagiertes Tandem, in dem sich beide – so wie wir uns – ergänzen, ist für jeden Arbeitgeber ein Gewinn. Wenn das Tandem gut funktioniert, können sich eben auch Erfahrung, Kompetenz, Vielseitigkeit und Kreativität verdoppeln.

Was würden Sie potenziellen neuen Tandempartner:innen mitgeben?

CV: Folgende Fragen sollte man bereits im Vorfeld für sich geklärt haben: Bin ich bereit für Veränderung? Bin ich flexibel? Bin ich reflexions- und kritikfähig? Und bin ich in der Lage, mich persönlich auch einmal zurückzunehmen? Habe ich Spaß am Kommunizieren – und bin ich dabei auch hinreichend klar und ehrlich? Außerdem sollten schon im Vorfeld die Werte und das Führungsverständnis im potenziellen Tandem transparent gemacht werden – idealerweise gibt es hier große Übereinstimmungen, was eine gute Grundlage für eine erfolgreiche Tandemarbeit ist.

KN: Es lohnt sich, auch die jeweiligen Stärken und Präferenzen zu betrachten, die sich im Idealfall im Tandem ergänzen. Sehr wichtig bei der Arbeit im Tandem ist dann auch eine ausgewogene "Sichtbarkeit" – ins Team, zu Kolleginnen und Kollegen, nach draußen. So achten Caroline und ich ganz bewusst darauf, dass wir an Geschäftsleitungs- oder Gremiensitzungen nach Möglichkeit im Wechsel teilnehmen und bestimmte Termine abwechselnd leiten, um gleichermaßen sichtbar zu sein.