Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V.8

Interview: Alltag mit Rechtsextremisten

"Viele haben Angst"

Stand: 01.12.2011, 00:00 Uhr

Immer deutlicher zeigt sich, dass die Entwicklung rechtsextremer Tendenzen auch in NRW unterschätzt wurde. Sebastian Goecke, der die mobile Beratungsstelle in Wuppertal leitet, erlebt seit Jahren hautnah, mit welchen Mitteln rechtsextrem Gesinnte versuchen, einen ganzen Stadtteil zu erobern.

Fünf mobile Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus gibt es in NRW, in jedem Regierungsbezirk eine. Sie sind Teil des Bundesprogramms "Toleranz fördern – Kompetenz stärken". Von Land und Bund schmal finanziert, versuchen Mitarbeiter wie Sebastian Goecke Aufklärungsarbeit zu leisten. Die rechtsextreme Szene in NRW beobachtet der 52-jährige Sozialpädagoge seit vielen Jahren.

WDR.de: Im Wuppertaler Stadtteil Vohwinkel leben und wirken besonders viele Rechtsextreme. Wie erleben Sie diese Leute dort?

Wuppertaler Schwebebahn

Nicht nur bekannt für die Schwebebahn: Wuppertal

Goecke: Meistens treten sie massiv in Gruppen auf, selten allein. Sie sammeln sich an markanten Orten im Stadtteil, haben auch eine Wohnung gemietet an der Hauptstraße in Vohwinkel. Dadurch sind sie permanent präsent und schaffen es, Angst im Stadtteil zu verbreiten. Immer wieder kommt es auch zu Übergriffen – wie aktuell auf dem Vohwinkeler Flohmarkt, einem traditionellen, großen Volksfest. Dort haben sie bei einer Schlägerei vier Menschen verletzt, die zufällig da waren. Die Opfer mussten mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus. Sie jagen Leute, die sie als "Linke" betrachten, durch den Stadtteil und versuchen so, Widerstände zu brechen. Das führt dazu, dass viele Menschen sich nicht trauen, Anzeige zu erstatten - besonders Migrantenfrauen, gegen die es immer wieder Beleidigungen und Übergriffe gibt, z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie versuchen, sich in diesem Stadtteil eine Dominanz zu erarbeiten. Dafür ziehen sie immer mehr Leute aus dem Umland hierher.

WDR.de: Hat sich die Gewaltbereitschaft dieser Szene in den letzten Jahren verändert?

Goecke: Auf Demonstrationen versuchen sie meist, sich als "ordentliche Demonstranten" darzustellen, fordern auch Polizeischutz. Aber grundsätzlich nimmt die Gewaltbereitschaft in meinen Augen zu. Auch die Qualität der Gewalt und die Gefährlichkeit verändert sich. Inzwischen kann man nicht mehr einfach von einer "Hauerei" zwischen Linken und Rechten reden. Wer sich ihnen entgegenstellt, geht inzwischen ein hohes Risiko ein. Der Vorfall auf dem Vohwinkeler Flohmarkt zeigt das auch. Dadurch, dass sich inzwischen so viele dieser Leute zusammenfinden und schnell mobilisierbar sind, kommt es häufiger zu Übergriffen.

WDR.de: Sie bieten Beratung gegen Rechtsextremismus an. Wer meldet sich bei Ihnen, wer braucht Ihren Rat?

Goecke: Ganz unterschiedlich: Uns fragen Kommunen an, die ein Problem haben – das können sogar Fraktionen von Stadträten sein, die nach einer Wahl plötzlich rechte Abgeordnete in ihren Parlamenten oder Bezirksvertretungen haben. Genauso sind es aber auch Lehrer, die Schüler mit rechtem Gedankengut haben, oder auch Eltern, die ihre Kinder in die rechte Szene abrutschen sehen. Es sind aber auch Initiativen, die etwas gegen Rechts machen und mit uns zusammen überlegen wollen, wie man die Zivilgesellschaft aktiviert. Auch freie Träger fragen an, die Qualifizierungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter planen.

WDR.de: Wie reagiert die rechte Szene auf Sie und Ihre Projekte?

Goecke: Wenn wir Veranstaltungen in Stadtteilen machen, in denen sich Rechtsextreme massiert aufhalten, werden wir häufig bedroht. Sie versammeln sich davor, um ihre Präsenz zu zeigen. Als wir neulich aufbauen wollten für eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht hier in Wuppertal, stellten sie sich dazu und versuchten, uns zu provozieren und zu drohen. Eine beliebte Methode ist dann auch, die Veranstalter und Besucher zu fotografieren, wobei man nicht einschätzen kann, wofür sie diese Bilder verwenden. Das ist immer eine latente Drohung. Damit wollen sie verhindern, dass Veranstaltungen gegen sie einen hohen Zulauf haben. Aber ich denke, es ist wichtig, in solchen Momenten Aktion zu zeigen, weil sie sonst genau das erreichen, was sie wollen.   

WDR.de: Werden Sie von der Polizei unterstützt?

Goecke: Zurzeit haben nicht nur wir, auch viele andere Initiativen, die gegen Rechts arbeiten, das Gefühl, dass es nicht immer die notwendige Unterstützung durch die damit befassten Behörden – Polizei, Verfassungsschutz usw. – gibt. Straftaten werden oft nicht im erforderlichen Maß verfolgt. Das ist aber von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich. Wir versuchen, die Polizei in Abstimmungsgespräche mit einzubeziehen, gemeinsam die Gefährdungslage zu diskutieren. Aber vereinzelt ist es schon so, dass die Polizei nicht in dem Maß darauf reagiert, wie wir das erhoffen: Dass die zivilgesellschaftlichen Akteure, die seit vielen Jahren aktiv gegen Rechtsextremismus arbeiten, mit ihren Erkenntnissen ernster genommen würden und mehr Unterstützung bekämen bei der Verfolgung von Straftaten aus der rechten Ecke. Denn es ist wichtig, gerade solchen Szenen, die in ganzen Stadtteilen Angst und Schrecken verbreiten, die Räume eng zu machen, ihnen sehr klar zu machen: Das ist hier nicht erwünscht – und zwar von allen Seiten. Da ist es wichtig, dass Kirchen, Sportvereine, die ganze Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen. Und auch die Polizei.

WDR.de: Wie reagiert die Bevölkerung auf die rechte Entwicklung in Wuppertal?

Demonstration gegen eine Kundgebung von Rechtsextremen

Demonstration gegen Rechtsextreme in Dortmund

Goecke: Viele der Anwohner, gerade in Vohwinkel, haben Angst. Deshalb ist unsere Intention dort auch, aktiv ein Zeichen zu setzen und nicht erst auf den nächsten Vorfall zu warten. Bei unserer Gedenkveranstaltung am 9. November haben wir gesehen, wie groß der Widerspruch gegen solche rechten Entwicklungen ist. Es haben sich Schulen beteiligt, Kirchengemeinden, Gewerkschaften, die Bezirksvertretungen und andere Institutionen. Da sind 2.500 Menschen auf die Straße gegangen und auch an dem Haus der Nazis vorbeigezogen, um damit deutlich zu machen: 'Wir wollen euch in diesem Stadtteil nicht'. Inzwischen ist auch in anderen Bereichen Wuppertals ein Bewusstsein dafür entstanden, dass man aktiv dagegen werden muss, wenn man verhindern will, dass die an Dominanz gewinnen.

WDR.de: In den Redaktionen wird immer wieder diskutiert: Soll man viel über rechtsextreme Aktivitäten in NRW berichten, um die Öffentlichkeit zu informieren, oder ignoriert man sie besser, um den Akteuren keine Plattform zu geben. Was ist richtig?

Goecke: Ich denke, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse ist es sehr, sehr wichtig, sich offen mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen, es als permanentes Thema im Blick zu haben. Es ist jahrelang vernachlässigt worden. Wenn sich solche Entwicklungen im Geheimen abspielen, sind sie, wenn sie schließlich zutage treten,  schwieriger zu bekämpfen, als wenn man sich permanent damit auseinandergesetzt hätte. Dabei geht es nicht nur um Rechtsextremismus, sondern auch um Rassismus, Antisemitismus, der ja in verschiedensten Teilen der Bevölkerung sehr verankert ist. Ich glaube, dass eine offene Diskussion dieses Themas eher dazu führen würde, den Rechten die Räume eng zu machen. Diese Leute einfach nur als 'rechte Spinner', von denen es angeblich ohnehin nur ein paar gibt, abzutun und das Problem einfach totschweigen zu wollen, funktioniert nicht. Wenn man einen solchen Jugendlichen in seinem rechtsextrem Denken belässt und er seine Gedanken weiter verbreitet, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er damit Einfluss nehmen kann, größer, als wenn man sich damit auseinandersetzt und deutlich macht, dass dieses Denken nicht unbedingt der Realität entspricht.

WDR.de: Was sind für Sie die dringlichsten Forderungen beim Kampf gegen Rechtsextremismus?

Goecke: Wichtig wäre auch für NRW ein Landesprogramm – wie es in anderen Bundesländern bereits existiert – wo die verschiedenen Netzwerke und Akteure in dem Bereich zusammengefasst werden, und wo auch eroiert werden kann, was noch benötigt wird. Wie zum Beispiel die Opferberatung - wie in Dortmund gerade eine eingerichtet wurde und auch für das Rheinland eine geplant ist. Gerade in Städten, wo es eine große rechte Szene gibt und immer wieder Übergriffe, wo Familien so drangsaliert werden, dass sie aus den Städten wegziehen müssen, was traumatische Folgen hat. Auch haben Opfer rechtsextremer Gewalt - bei Auseinandersetzungen mit Rechten, bei Demos oder nachts auf der Straße - selten eine Anlaufstelle oder jemanden, der sich für sie einsetzt. Da wäre eine sinnvolle finanzielle Ausstattung ganz wichtig.

Das Interview führte Nina Magoley.

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