Beratungsstelle "Back up" in Dortmund

Erste Hilfe für Opfer rechter Gewalt

Stand: 20.04.2012, 11:00 Uhr

Bedrohung, Übergriffe, Psychoterror, Mord: Das ist das Gesicht rechter Gewalt. Für ihre Opfer gab es lange kaum Hilfe. Vor einem halben Jahr ist die neue Beratungsstelle "Back up" in Dortmund gestartet. WDR.de sprach mit Leiterin Claudia Luzar über ihre Arbeit.

WDR.de: Frau Luzar, Sie haben vor sechs Monaten damit begonnen, die Beratungsstelle für Opfer von rechter Gewalt, "Back up", in Dortmund aufzubauen. Wie viele Menschen betreut "Back up", und was ist denen geschehen?

Claudia Luzar lächelt

Claudia Luzar, Leiterin der Beratungsstelle "Back up"

Claudia Luzar: Wir betreuen in der kurzen Zeit 42 Menschen, die von Neonazis bedroht oder zusammengeschlagen worden sind. Und es werden immer mehr. Oft passiert das im Zusammenhang mit einer Sachbeschädigung, wenn zum Beispiel ein Stein durch das Fenster eines politischen Gegners fliegt – oder wenn im Hausflur der Kinderwagen einer afrikanischen Familie demoliert wird, um sie aus einem Stadtteil zu vertreiben. Wir betreuen aber auch Menschen aus dem Opferkreis der rechtsterroristischen NSU.

WDR.de: Sie betreuen gemeinsam mit Ihren Kollegen Menschen aus sehr unterschiedlichen Lebensbereichen. Wie beschreiben Sie die Menschen, die zu Ihnen kommen?

Luzar: Rechte Gewalt richtet sich in erster Linie gegen Menschen, die nur eine geringe gesellschaftliche Lobby haben, also Migranten, Andersdenkende, Wohnungslose oder Homosexuelle. Von denen haben viele aus unterschiedlichen Gründen wenig Vertrauen in die Polizei. Zumal die meisten rechtsextremen Täter nicht gefasst werden. Die Opfer sind deshalb doppelt verunsichert: Denn zuerst erfahren sie Gewalt, und dann glaubt ihnen niemand, dass sie Opfer eines rassistisch oder politisch motivierten Angriffs geworden sind. Wir als erste Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in NRW glauben ihnen. Vor allem arbeiten wir unabhängig von Polizei und Justiz, und haben die Möglichkeit, den Opfern zu helfen, ganz gleich, was mit den Tätern passiert.

WDR.de: Wie helfen Sie und Ihre Kollegen den Betroffenen?

Luzar: Leider fühlt sich in unserem Land niemand so recht für Opfer rechtsextremer Gewalt zuständig, solange diese nicht von einem Gericht anerkannt wurde. Aber das passiert in den wenigsten Fällen, und deshalb sind die meisten Opfer mit Ohnmacht erfüllt. Wir hören ihnen zu, wir sind für sie da, kümmern uns – über eine aufsuchende Beratung. Das heißt, wir machen aus der Beratung keinen Behördenakt. Zunächst ordnen wir den jeweiligen Fall, um dann gemeinsam mit dem Opfer nächste Schritte zu gehen: Wir stellen Entschädigungsanträge, vermitteln Nebenklageanwälte sowie Ärzte oder auch eine psychologische Betreuung, denn viele der Opfer sind traumatisiert. Schließlich begleiten wir sie auch zur Polizei, gegebenenfalls auch vor Gericht.

WDR.de: Wenn Polizei und Staatsschutz Schwierigkeiten haben, Straftäter hinter Schloss und Riegel zu bringen, können Sie dann bei der Täter-Suche helfen?

Luzar: Wir kümmern uns um die Opfer rechtsextremer Gewalt und sind keine Nazijäger. Aber oft ist es so, dass unmittelbar nach den Angriffen in der Polizeiarbeit schwere Fehler gemacht werden. Das hat einfach damit zu tun, dass viele Polizisten immer noch nicht für die Erscheinungsformen dieser Gewalt sensibilisiert sind, sie schlicht nicht erkennen. Indem wir dabei Aufklärung leisten, helfen wir indirekt, Täter rechtsextremer Gewalt zu fassen. Außerdem raten wir jedem Opfer, eine Strafanzeige bei der Polizei zu stellen.

WDR.de: Warum gibt es ausgerechnet in Dortmund so viele Neonazi-Übergriffe? Hat die Stadt das viele Jahre nicht erkannt?

Luzar: Rechtsextreme Übergriffe gibt es ja nicht nur in Dortmund, auch der Raum Aachen oder Wuppertal sind Schwerpunkte der Gewalt. Warum? Weil sich dort die rechtsextreme Szene jeweils stark fühlt, weil sie dort viele Anhänger hat. Das hat in Dortmund mit einzelnen führenden Köpfen zu tun, die sich hier angesiedelt haben, und sich über mehrere Neonazi-Wohngemeinschaften eine funktionierende Struktur aufbauen konnten. Das wiederum wirkte anziehend auf Neonazis von außerhalb. Die Dortmunder Szene hat bundesweit einen starken und vor allem kreativen Ruf. Und ja, in Dortmund wurde das Problem des Rechtsextremismus jahrelang nicht als solches erkannt. Nur so wurde die Szene hier stark. Das hat sich inzwischen aber verändert, Politik, Verwaltung und auch die Polizei gehen das Problem nun gewissenhaft an. Und siehe da: Seither, also seit rund drei Jahren, beobachten wir, dass die rechtsextreme Szene in Dortmund stagniert. Im Augenblick wird sie von der Stadtgesellschaft zurückgedrängt.

WDR.de: Sind Sie selbst schon einmal bedroht worden? Haben Sie Angst, auch auf der Neonazi-Liste zu stehen?

Demonstration gegen Rechts

"Back up" will durch Opferberatung rechter Gewalt entgegenwirken

Luzar: Nein, ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der rechten Szene und kenne deren Landkarte sehr gut. Ich weiß sehr viel über deren Arbeit – und deshalb fühle ich mich auch nicht bedroht. Wir wollen auch den betroffenen Menschen die Angst nehmen. Angst zu verbreiten, ist die zentrale Strategie von Neonazis, die einen Raumkampf führen und über Gewalt Menschen an bestimmten Orten vertreiben wollen, die nicht in ihr rechtsextremes Weltbild passen. Indem wir ihren Opfern zur Seite stehen, denen die Angst nehmen, wirken wir diesem Raumkampf entgegen.

WDR.de: Dafür braucht man sicher einen sehr langen Atem. Kann es bei Ihrer Arbeit überhaupt schnelle Erfolge geben?

Luzar: Ja, und das macht unsere Arbeit zu einer sehr befriedigenden Aufgabe. Wir hören von unseren Opfern jeden Tag, wie froh sie sind, dass sich endlich jemand um sie kümmert. Natürlich können wir die Angriffe nicht ungeschehen machen, aber die Hilfe und die Schadensregulierung, die wir leisten, gäbe es ohne "Back up" nicht. Und jede Opferberatung wirkt dem Raumkampf der Neonazis entgegen. In Bochum-Langendreer beispielsweise, haben wir ein halbes Dutzend Opfer betreut, die von einer Truppe Neonazis monatelang terrorisiert worden sind. Über viele Gespräche mit der Bochumer Polizei, auch mit dem Bündnis "Langendreer gegen rechts", ließ sich dort ein Klima schaffen, in dem Neonazis nicht mehr zuschlagen konnten.

WDR.de: Welche Arbeit steht als nächstes auf Ihrem Programm?

Luzar: Wir beraten weiter Opfer rechtsextremer Gewalt. Das ist unsere Kernaufgabe, an der sich auch nichts ändern wird. Wir werden verstärkt Kontakte zu Drogenberatungsstellen, Obdachlosen-Initativen und Langzeitarbeitslosen aufnehmen. Es sind einige Obdachlose von Rechtsextremen zu Tode geprügelt worden. Diese Menschen haben keine Lobby, daher versuchen wir, denen eine Lobby zu geben. Dann wollen wir mehr in den ländlichen Raum gehen, ins Münsterland nach Ostwestfalen, ins Siegerland und Sauerland. Parallel dazu sorgen wir aber dafür, dass man in NRW die Opfer rechtsextremer Gewalt ernst nimmt, und wir hoffen natürlich, dass uns die nächste Landesregierung dabei langfristig unterstützt. Denn uns fehlt einfach das Geld für Opferberater, die sich um alle Angriffe kümmern können. Denn bislang betreuen wir nur einen Bruchteil derjenigen Opfer, die unsere Hilfe benötigen.

Das Interview führte Claudia Kracht