Hannelore Kraft, SPD, und Sylvia Löhrmann, Grüne

Das Internet als Wahlkampfplattform

Wie Wähler ins Netz gehen sollen

Stand: 22.03.2012, 09:21 Uhr

Die Neuwahl macht's möglich. Hannelore Kraft postet fleißig Splitter aus ihrem Alltag: vom Telefonstress bis zum Frisörbesuch. Und auch die anderen Parteien wollen das Netz als flexibles Medium für den verkürzten Wahlkampf intensiv nutzen. Bleibt oft nur die Frage nach dem Wie.

Von Sven Gantzkow

Am Mittwochnachmittag (21.03.2012) ging Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in die Luft: "Flug nach Hamburg - Gespräche", schrieb sie bei Twitter. Angemeldet hatte sie sich erst einen Tag zuvor. Seitdem erfahren ihre Follower, immerhin 1.750 in nur 36 Stunden, dass ihr Dienstag um 5.30 Uhr mit anderthalb Stunden Ausdauersport und Aufbautraining begann, dass sie am Abend des gleichen Tages im Auto "gefühlt 20 Telefonate" führen musste und dass sie am Mittwochvormittag einen "kurzen Stopp beim Frisör" gemacht hat.

Auch bei Facebook sind die Mitteilungen, die über ihren Account kommen, seit der Auflösung des Landtages am vergangenen Mittwoch (14.03.2012) wesentlich persönlicher. Bislang wurden hier eher allgemeine Statements gepostet, erkennbar von Mitarbeitern verfasst. Jetzt gibt es unter dem Kürzel "-HK", quasi einem Echtheitszertifikat für höchstpersönliche Kraft-Nachrichten, auch hier kurze Einblicke ins Spitzen-Politikerdasein - inklusive dem heimatverbundenen Wunsch, dass am Mittwochabend doch bitte auch die zweite Borussia ins DFB-Pokalfinale einziehen solle.

Twitter, Facebook und YouTube

Ganz klar, die verstärkte digitale Mitteilsamkeit der Ministerpräsidentin ist der Neuwahl geschuldet. "Der Wahlkampf im Netz wird eine herausragend wichtige Rolle spielen", sagt Christian Obrok, Pressesprecher der Sozialdemokraten in NRW. Vor allem die verkürzte Wahlkampfphase von insgesamt nur 60 Tagen ist dafür verantwortlich, dass die Parteien bei ihrem Stimmenfang verstärkt aufs Netz setzen.

Die Organisation von Plakataktionen oder Wahlkampfveranstaltungen benötigt schlicht einen längeren Vorlauf - Druckereien müssen gebucht, Mehrzweckhallen reserviert werden. Im Netz hingegen können die Politiker schneller und flexibler reagieren - und sei es nur, dass sie mit ein paar Postings aus ihrer Lebenswirklichkeit Bürgernähe demonstrieren wollen. Für sämtliche Parteien, so der allgemeine Tenor, bietet das Internet daher eine dankbare Plattform.

Von Interesse: Inhalte und Programmatik

Das Web 2.0 haben dabei mittlerweile alle für sich entdeckt. Die CDU beispielsweise ist bereits seit dem Wahlkampf 2010 bei Facebook und Twitter vertreten. Einen eigenen YouTube-Kanal haben sich die Christdemokraten sogar bereits 2006 angelegt. Hier gibt es vor allem Videobotschaften von Generalsekretär Oliver Wittke oder Kurzbeiträge von Landesparteitagen. Bei der Union ist man überzeugt: "Die Wähler interessieren sich vor allen Dingen für Inhalte und die Programmatik." Kampagne und Partei sollen breit im Internet dargestellt werden. Wie das genau aussehen wird, ist eine Woche nach Bekanntgabe des Neuwahltermins noch nicht endgültig beschlossen. Im Gespräch sind beispielsweise Videochats mit Spitzenpolitikern.

Auch bei der SPD und der FDP sind die landläufig bekannten Netzwerke mittlerweile Standard. Bei der Benennung konkreter Aktionen gibt man sich allerdings auch hier zurückhaltend. Noch sei alles in der Planungsphase, heißt es übereinstimmend. Fest steht aber in den Kommunikationsabteilungen beider Parteien: "Vor allem um die jungen Leute zu erreichen, muss man in die sozialen Netzwerke."

Newsletter, Blogs und Web-Shows

In anderen Parteien ist man mit den Konzepten schon etwas weiter: Bei der Linkspartei setzt man auf den sogenannten Linksletter. Der Veröffentlichungsturnus des digitalen Infoblatts soll ab Montag (26.03.2012) bis zum Wahlsonntag (13.05.2012) von 14-tägiger auf wochentägliche Taktung hinaufgeschraubt werden. In den sozialen Netzwerken poste man nicht nur politische Inhalte, sondern auch tagesaktuelle Songs oder Gags von Kabarettisten. Im speziellen Fall Facebook entsteht bei den Linken eine Schere im Kopf: "Wir sind für die Leute, die dort schon angemeldet sind, zwar vetreten", sagt Irina Neszeri, bei den Linken in NRW für die Kommunikation zuständig. "Gleichzeitig warnen wir aber auch diejenigen, die sich noch nicht registriert haben, vor der Datenkrake."

Sven Lehmann, Landesvorsitzender der NRW-Grünen

Grünen-Chef Sven Lehmann

Schließlich pflegt die Partei auf ihrer Homepage auch noch einen Blog, der offen kommentiert werden kann. "Von den im Landtag vertretenen Parteien sind wir die einzige, die so etwas anbieten", sagt Neszeri. Der Hinweis zeigt, wie sehr die Parteien in Sachen Digitalität nach Alleinstellungsmerkmalen suchen. Vor allem die Grünen verstehen sich als Online-Pioniere. "Das Netz ist für uns kein Wahlkampfinstrument, sondern eine permanente Kampagnenplattform", sagt NRW-Landeschef Sven Lehmann. Entsprechend kann seine Partei beim anstehenden Wahlkampf auf bewährte Konzepte zurückgreifen: Der Grünomat, mit dem der User ermitteln kann, wie sehr er grüne Standpunkte für sich in Anspruch nimmt, werde genauso ein Revival erleben wie die Aktion "3 Tage wach". In den 72 Stunden vor dem Wahlsonntag werde nonstop eine Art Webshow gesendet, bei der es Berichte, Interviews und die Möglichkeit zum Gespräch mit Spitzenpolitikern geben soll. "Dialog, Teilhabe und Mitbestimmung bleiben ein wichtiger Leitgedanke grüner Politik", sagt Lehmann.

Google+ ist kein Thema

Dass der grüne Landesvorsitzende das immer wieder betont, kommt nicht von ungefähr: Bürgerbeteiligung ist eines der Kernthemen der Piraten, die laut Umfragen drauf und dran sind, zum ersten Mal in den Landtag einzuziehen. Als Partei, die ihre Ursprünge im Netz hat, sind die Voraussetzungen für einen Online-Wahlkampf gut. Achim Müller, Landessprecher der Piraten, nennt gleich mehrere Instrumente, mit denen seine Partei punkten will: Podcasts mit Kandidaten-Interviews sollen beispielsweise produziert werden, das Wahlprogramm soll als E-Book erscheinen und mittels des sogenannten Pledgings sollen Spenden zielgerichteter gesammelt werden. Müller nennt ein Beispiel: "Man kann ankündigen, dass man einen bestimmten Betrag für den Druck unseres Parteiblatts spendet, sofern sich eine bestimmte Anzahl an weiteren Spendern findet. Ist die Zahl erreicht, entsteht eine moralische Pflicht, den Betrag auch tatsächlich zu überweisen."

Die Aktivität in den sozialen Netzwerken erweitern die Piraten ausdrücklich um die Plattform Xing, auf der in erster Linie geschäftliche Kontakte gepflegt werden. Eine Piratengruppe sei hier bereits seit geraumer Zeit aktiv, so Müller. Google+ hingegen sei bislang kein Thema: "Das haben wir in der letzten Zeit schlicht vernachlässigt." Das ist bei den anderen Parteien ganz genauso: "Für uns ist das Geschehen auf Google+ bislang zu statisch", sagt Moritz Kracht, Landessprecher der FDP. Sein SPD-Kollege Obrok gibt ihm recht: "Da passiert nicht so viel, wie wir zuerst dachten. Deswegen spielt das erstmal für uns keine Rolle."

Follower-König Christian Lindner

Christian Lindner, FDP

Christian Lindner, FDP

Twitter und Facebook dafür umso mehr. Hier herrscht bisweilen verkehrte Welt. In den Umfragen liegt die FDP momentan weit abgeschlagen, deren Spitzenkandidat Christian Lindner ist bei Twitter bislang allerdings Follower-König. 6.113 User wollen wissen, was der designierte FDP-Landeschef, der schon seit geraumer Zeit tweetet, zu sagen hat. Seine Pole Position relativiert sich allerdings, wenn man zum einen bedenkt, dass mit Ausnahme von Kraft kein anderer Spitzenkandidat Twitter nutzt. Und zum anderen, dass die Ministerpräsidentin innerhalb der einen Stunde, in der dieser Artikel geschrieben wurde, bereits 100 weitere Follower verbuchen konnte (jetzt 1.850). Die Aufholjagd um die User hat begonnen.