SPD-Parteitag in Düsseldorf

Muttertag im März

Stand: 31.03.2012, 15:46 Uhr

99,3 Prozent Zustimmung, stehende Ovationen, Sigmar Gabriel als Randfigur: Die SPD feiert beim Landesparteitag am Samstag (31.03.2012) in Düsseldorf Hannelore Kraft als neuen Superstar. Das Thema Berlin schließt die Landesmutter noch mal aus, spricht aber auffällig viel über Bundespolitik.

Von Sven Gantzkow

Es gibt einen Song aus dem vergangenen Jahr, der für Hannelore Kraft dieser Tage zum Wahlspruch werden könnte. Sein Titel: "Ich will nicht nach Berlin!" Der Interpret: Kraftklub. Dass die Chemnitzer Band namentlich so gut zur amtierenden Ministerpräsidentin von NRW passt, ist reiner Zufall. Dass Hannelore Kraft immer wieder zur Sprache bringt, wie heimatverbunden sie ist, sicherlich nicht. Ihr CDU-Herausforderer Norbert Röttgen kann sich immer noch nicht zu einer klaren Ansage durchringen, wie seine politische Zukunft im Falle einer Niederlage aussehen würde. Die SPD nahm diese Steilvorlage in den ersten beiden Wochen des sogenannten Turbowahlkampfes dankbar auf und stilisierte Kraft zum Gegenmodell: "NRW im Herzen" lautet ihr Slogan. Lockt die Kanzlerschaft? Ach was. In NRW Politik zu machen, ist doch viel schöner, wird Kraft nicht müde zu betonen. Bildung, Kinder und Kommunen sind ihre Schwerpunktthemen, mit denen die SPD auch in den Wahlkampf zieht. Außerdem will sie mit einer Kombination aus Sparen, Zukunftsinvestitionen und Einnahmeverbesserungen den Haushalt bis zum Schuldenultimum 2020 konsolidieren. "Ich halte mir keinen Stuhl frei", bekräftigt Kraft denn auch nochmal in ihrer rund 40-minütigen Rede auf dem Landesparteitag der Sozialdemokraten am Samstag (31.03.2012) in Düsseldorf. Die vergangenen 20 Monate Rot-Grün bezeichnet sie als "Erfolgsgeschichte". Nun heiße es: Weiter so!

Kraft stilisiert sich zur Landesmutter

Es ist ein größtenteils geschickter Auftritt, bei dem Kraft sich als das darstellt, was ihre guten Umfragewerte ausmacht: als Landesmutter. Ihr Ton ist fürsorglich, wenn sie die Bürger in den Fokus ihrer Politik stellt. Ihr Ton ist versöhnlich, wenn sie ausdrücklich und sogar mehrfach den ehemaligen Oppositionsparteien im Landtag dankt, ohne die ihre Minderheitsregierung Mammutprojekte wie den "Schulkonsens" oder den "Stärkungspakt Stadtfinanzen" nicht durchbekommen hätte. Ihr Ton ist emotional, wenn sie von Begegnungen mit Bürgern spricht. Und ihr Ton ist energisch, wenn sie gerechte Löhne und einen sozialen Arbeitsmarkt fordert. Fürsorglich, versöhnlich, emotional, energisch - mütterlicher geht's kaum. Den frontalen Angriff auf den politischen Gegner vermeidet sie dabei genauso wie den Habitus der lautstarken Kämpferin. "Wer schreit, hat meist nicht recht", sagt sie mit gedämpfter Stimme - auch das ein Spruch, den Mütter gerne im Repertoire haben.

Übers Ziel hinaus geschossen

Auch die Schwächen ihres Vortrags sind irgendwie mütterlich. Aus Fürsorglichkeit wird Überfürsorglichkeit, wenn sie den Begriff "Menschen" fast schon gebetsmühlenartig überstrapaziert. Und aus Emotionalität wird Pathos, wenn sie über die Treffen mit Bürgern sagt, sie trage sie "wie einen Schwamm in sich", um ihre "Batterien immer wieder aufzuladen". Wie viele Mütter schießt sie übers Ziel hinaus. Selbst jenes Ziel, das eigentlich Düsseldorf heißen sollte.

Krafts Auftritt gleicht einem Spagat

Denn irgendwann in ihrem politischen Rundumschlag, in dem sie die Grundsätze der sozialdemokratischen Politik umreißen will, ist nicht mehr nur die Rede von den Zielen der SPD für die kommenden fünf Jahre in NRW: Unter anderem sollen die Beitragsfreiheit in den Kitas und das Ganztagsangebot in den Schulen ausgebaut und kleinere und mittlere Unternehmen mit einem Mittelstandsgesetz gefördert werden. Nein, die Sprache kommt auch auf Atomausstieg, auf den Mindestlohn, auf den Fiskalpakt, auf Europa. Themen, die nicht am Rhein, sondern an der Spree verhandelt werden. Krafts anfängliche Nervosität, die sie kurz vor der Rede noch in ihrem neuentdeckten Verlautbarungsmedium Twitter eingestanden hatte ("Ich bin aufgeregt, aber spüre viel Unterstützung"), ist mittlerweile überwunden: Selbstbewusst steht sie am Rednerpult und erklärt, warum eine Transfergesellschaft für Schlecker sinnvoll gewesen wäre und dass eine Praxisgebühr unbürokratisch sei und vor allem die unteren Einkommen treffe. Ihre Botschaft gleicht einem Spagat: NRW kann ich, aber Berlin könnte ich auch - wenn ich denn wollte.

Röttgen bleibt ein Phantom

Dass Kraft inhaltlich auf die Bundespolitik abhebt, macht es ihr gleichzeitig leichter, sich mit ihrem Herausforderer auseinanderzusetzen. Röttgen bietet als Mitglied der Bundesregierung landespolitisch wenig Angriffsfläche. Also weicht Kraft aus: Sie wirft Röttgen vor, als Teil des Kabinetts Merkel für Entscheidungen mitverantwortlich zu sein, die in Deutschland eine Stimmung der sozialen Kälte erzeugen. Außerdem verbittet sie sich von ihm Belehrungen, wie die Energiewende zu meistern sei, da NRW unter Johannes Rau das erste Land gewesen sei, das aus der Atomenergie ausgestiegen ist. Man merkt es Kraft an: Röttgen ist schwer zu fassen. Selbst in der politischen Auseinandersetzung bleibt er für sie ein Phantom.

Witze auf Kosten des Herausforderers

Und mit dieser Abwesenheit trotz behaupteter Anwesenheit lässt sich trefflich Scherze machen. Wie es sich für eine Mutter gehört, hält Kraft sich damit allerdings zurück, lässt lieber ihren Generalsekretär Michael Groschek in seiner Begrüßung poltern: "Angie kommt neunmal nach NRW, das ist mehr als Röttgen." Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der mit viel Parteiprominenz im Schlepptau (Peer Steinbrück, Andrea Nahles) zur Unterstützung nach Düsseldorf gekommen war, nimmt sich Röttgens fremdelndes Verhältnis zu NRW zur Brust: In Berlin, so erzählt er in einer rund 20-minütigen Rede, ginge der Witz, Röttgen kaufe sich am Flughafen grundsätzlich Hin- und Rückflugticket. Bezeichnend sei: Der Witz komme aus der CDU.

Gabriel spielt nur eine Nebenrolle

Es ist erstaunlich zu sehen, welche Nebenrolle Gabriel hier insgesamt spielt. Seine Rede ist kämpferisch trotz angeschlagener Stimme, mit viel Verve geht er FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner an ("Seine Erfahrungen in der freien Wirtschaft und in seiner Partei sind vergleichbar: Entweder es fehlt das Geld oder es fehlen die Wähler.") und fordert: "Das Zeitalter des Marktradikalismus und des Neoliberalimus muss endgültig vorbei sein." Doch der wohlwollende Applaus, den er für seine Wahlkampfhilfe erhält, klingt im Gegensatz zum Begeisterungsgewitter, das Partei-Mutter Hannelore von ihren Schützlingen erntet, wie ein leichtes Tröpfeln. Mit 99,3 Prozent wählt das Plenum sie unter stehenden Ovationen schließlich zur Spitzenkandidatin. "Das Problem daran ist: Das ist nur schwer zu toppen", bedankt Kraft sich für das Vertrauen.

Obwohl: Da gäbe es schon das ein oder andere. Eine gewonnene Landtagswahl zum Beispiel. Oder ein Ruf aus Berlin. Aber den will sie ja nicht hören. Sagt sie.

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