Norbert Röttgen redet

Spitzenkandidat Norbert Röttgen

Der Akademiker

Stand: 25.04.2012, 06:00 Uhr

Gemessen an seinen Startschwierigkeiten ist Norbert Röttgens (CDU) Wahlkampf leidenschaftlicher geworden - auch sein Programm ist besser als sein Ruf. Das Problem des Kraft-Herausforderers ist nur: Er kann es nicht vermitteln. Das könnte ihn den Sieg kosten - und vielleicht sogar seine Karriere.

Von Sven Gantzkow

Schlagfertiges Poltern liegt Norbert Röttgen nicht. Bevor er auf etwas antwortet, sieht man, wie er sich kurz seine Gedanken zurechtrückt, bis er sie für druckreif hält. Auch seine Körpersprache ist verhalten, fast ein wenig linkisch. Wenn der CDU-Spitzenkandidat auf der Wahlkampfbühne steht und rituell in die Menschenmenge winkt, wie am Montagabend (23.04.2012) in Bonn vor dem Rathaus, wirkt sein rechter Arm wie ein verselbstständigter Fremdkörper, der etwas zu überschwänglich fuchtelt, während der Rest von Röttgen zu statisch bleibt.

Die Rolle als Spitzenkandidat ist für Röttgen Neuland

Sicher, in der allerersten Reihe hat er bei einer wichtigen Wahl noch nie gestanden, und das, obwohl der promovierte Volljurist aus dem Rhein-Sieg-Kreis schon seit 1994 Bundestagsabgeordneter, also Berufspolitiker ist. Insofern ist dieser Landtagswahlkampf, für den er ins Zentrum des medialen Interesses rückt, Neuland für ihn. Und dass er sich in diese Rolle des Spitzenkandidaten noch hineinfinden muss, während seine Kontrahentin Hannelore Kraft (SPD) sanft lächelnd das Land bereist, als habe sie den Sieg schon in der Tasche, kommt sogar sympathisch rüber. Aber wie einer, der auf Sieg spielt, wirkt Norbert Röttgen nicht.

Aufgewachsen in der Generation der Baby Boomer

Dabei geht es bei dieser Wahl für ihn um alles oder nichts. Verliert er sie, dürfte sein Karrieremotor bundespolitisch ins Stottern geraten, vielleicht sogar abgewürgt werden. Glaubt man den aktuellen Umfragen, sieht die Zukunft für Norbert Röttgen also alles andere als rosig aus.

Die Situation ist selbstverschuldet: Röttgen ist der Typ Politiker, der es nicht allen, aber vielen recht machen will. Zu vielen, heißt es oft unionsintern. Im Vergleich zu vielen seiner Parteikollegen versucht er, Politik möglichst offen zu betrachten. Als '65er-Jahrgang gehört er der Generation der Baby Boomer an, die der politische Grabenkampf seiner Eltern-Generation zum differenzierten Denken jenseits ideologischer Mauern erzog.

Mitglied der "Pizza-Connection"

Röttgen ist deswegen auch Teil der sogenannten "Pizza-Connection", einer Gruppe junger Unions- und Grünen-Mitglieder wie Hermann Gröhe (CDU) und Cem Özdemir (Grüne), die sich in den 1990ern hin und wieder in einer Bonner Pizzeria trafen. Ihr Fernziel: Schwarz-Grün als tragfähiges Koalitionsmodell gesellschaftsfähig zu machen. Erreicht haben sie es bislang nicht. Der grüne Anstrich aber, der ist Röttgen geblieben.

Bis heute. Bundesumweltminister wurde er 2009 nicht von ungefähr. Den Atomausstieg fand er richtig. Und erneuerbare Energien sind für ihn eine Notwendigkeit, eine Chance für die Wirtschaft, eine unumkehrbare Entwicklung. Es gibt nicht wenige in den Reihen der Union, die da immer noch anderer Ansicht sind.

Zerrieben zwischen moderner Weltsicht und Parteiräson

Mit dieser fortschrittlichen Haltung konnte sich Röttgen allerdings bislang nicht nachhaltig durchsetzen. Schlimmer noch: Als Merkels Umweltminister musste er den 2010 beschlossenen Ausstieg vom Ausstieg als politische Errungenschaft verkaufen. Es war ihm anzusehen, wie sehr er damals unter der Koalitionsräson litt. Gesagt hat er aber nichts. Opponieren, am besten noch so, dass es die Öffentlichkeit mitbekommt, ist nicht sein Ding. So zerreibt er sich zwischen einer modernen Weltsicht und den Zwängen seiner Partei.

Auch beim aktuellen Zankapfel von Schwarz-Gelb, dem Betreuungsgeld, wirkt Röttgen eher wie einer, der nicht so darf, wie er will, wenn er die überaus umstrittene Entscheidung der Koalition halbgar verteidigt. Mit Ingrid Fischbach hat er zwar ausgerechnet jene Frau als mögliche Familienministerin in sein Schattenkabinett berufen, die den unionsinternen Aufstand gegen die "Herdprämie" angezettelt hat. Klar positionieren will er sich aber nicht, verweist stattdessen darauf, dass er Koalitionsentscheidungen respektiere. Vielleicht, weil er in Berlin niemanden vergrätzen will.

Röttgen liefert Inhalte, kann sie aber nicht vermitteln

Norbert Röttgen redet

Norbert Röttgen bei einer Rede

Immerhin: Nach seinem verpatzten Wahlkampfstart mit der leidigen Debatte, ob er denn auch im Falle einer Niederlage nun in NRW bleiben wolle, zeigt Röttgen seit dem Parteitag am 4. April, der ihn mit 96 Prozent auf Listenplatz eins setzte, Kampfgeist. Hinter dem Rednerpult verliert Röttgen seine Verdruckstheit, spricht mit fester Stimme und geschliffenem Wort über das Scheitern der Minderheitsregierung. Es sind keine plumpen Angriffe, es ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Stil, die Röttgen betreibt, wenn er davon spricht, dass Schulden kein Zukunftsmodell sind. Dass die Gesellschaft auf Pump lebt. Dass er den Generationenvertrag neu gestalten will. Dass Rot-Grün nachfolgende Generationen über Gebühr belaste. Röttgen will Kraft in eine Grundsatzdebatte verwickeln. Tenor: Schulden oder Zukunft! Dumm nur, dass Kraft das nicht interessiert und es ihr offenbar niemand übel nimmt, dass ihr Wahlkampf eher aus Schulterklopfen für Geleistetes denn aus politischen Konzepten für Zukünftiges besteht.

Der Kandidat ist zu akademisch

Klar, Röttgen legt auch kein Konzept vor, wo er denn konkret sparen wolle. Sein viel größeres Problem ist aber: Er dringt nicht zu den Menschen vor. Was ihm fehlt? Volkstümlichkeit. Das wird bei seinen Wahlkampfauftritten deutlich. In Aachen auf dem Marktplatz spricht er am Montagnachmittag nahezu frei vor rund 2.000 Menschen. Nur ein paar Stichworte stehen auf seinem Zettel, was jeder, der nah genug an der Bühne steht, sehen kann, als der Wind ihm seine Denkstütze vom Pult weht. Röttgen ist inhaltlich versiert, wenn er über das Industrieland NRW spricht, wenn er den Energiewandel als wirtschaftliche Großchance beschreibt, die Rot-Grün bislang versäumt habe zu nutzen. Sein Problem: Er ist zu akademisch. Er sagt Sätze wie: "Wir müssen das EEG von einem Subventionsgesetz in ein Marktordnungsgesetz verändern." Nicht wenige seiner Anhänger im Publikum runzeln da die Stirn.

Pathos liegt ihm nicht

Auch beim Versuch, seinen Ansatz von einem neuen Generationenvertrag emotional zu unterfüttern, wird klar, dass Röttgen kein Gefühlsmensch ist. Er spricht plötzlich leise, macht bedeutsame Pausen und erzählt von den Eltern und Großeltern, die das Land nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hätten, um ihren Nachkommen eine Zukunft zu sichern. Danke, wolle er ihnen sagen, und ihre Aufopferungsbereitschaft als Beispiel für eine neue Politik der gesellschaftlichen Solidarität nehmen. Das wohldosierte Pathos, das ein solcher Exkurs erfordert, bekommt er nicht glaubwürdig hin. "Heul' doch!", schreit einer aus dem Publikum dazwischen. Sogar einige CDU-Anhänger können sich das Lachen nicht verkneifen.

18 Tage noch bis zur Wahl. Röttgen wird oft unterstellt, er wolle nicht nach Düsseldorf, er reiße diesen Wahlkampf nur runter, weil er als CDU-Landesvorsitzender in der Zwickmühle saß, als der Landtag aufgelöst wurde. Wer ihn dieser Tage reden hört, erhält einen anderen Eindruck. Es wird ihm wohl nur nichts mehr nützen.