Der Punkrocker Wolfgang Wendland (links) und der Blogger Jens Matheuszik im August 2013 in Bochum

WDR.de-Streitgespräch zum Ruhrgebiet

"Jeder rostige Förderturm ist wild umkämpft"

Stand: 16.08.2013, 06:00 Uhr

Das Ruhrgebiet steckt in einer Dauerkrise. Bei der Wirtschaftskraft hinken einige Revier-Städte hinter ostdeutschen Kommunen her. Was läuft falsch im Revier? Ein WDR.de-Streitgespräch mit dem Bochumer Blogger Jens Matheuszik und dem Wattenscheider Punkrocker Wolfgang Wendland.

WDR.de: Herr Matheuszik, Herr Wendland, die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet ist hoch. Die Wirtschaft schwächelt seit Jahrzehnten. Die Einwohnerzahl schrumpft stärker als in anderen NRW-Regionen. Ist das Ruhrgebiet ein hoffnungsloser Fall?

Wolfgang Wendland: Ich fürchte, dass es relativ hoffnungslos ist. Die Situation, die Sie da beschreiben, veranlasst die Leute nämlich nicht dazu umzudenken. Im Moment ist es so, dass die Leute, die gut sind, wegziehen. Und die, die hier bleiben? Obwohl es dem Ruhrgebiet schlecht geht, ist man noch stolz darauf. Hinzu kommt eine Rückwärtsgewandtheit im Denken. Mein Lieblingsbeispiel: Als Nokia Bochum verlassen hat, war man beleidigt. Der Zug, der zum Handywerk fuhr, hieß Nokia-Bahn. Als Nokia dann weg war, hat man den Zug dann zukunftsweisend Glückauf-Bahn genannt. Da ist ein ewiges Faseln und Jammern vom Strukturwandel, der bewältigt werden müsse. Dabei sind die Zechen in Bochum seit 40 Jahren zu.

Jens Matheuszik: Ich denke schon, dass der Strukturwandel angegangen wird. Ein Beispiel ist der Gesundheitscampus in Bochum. Das Beispiel mit der Nokia-Bahn ist schön. Aber wie hätte man die Bahn denn nennen sollen? Einen traditionellen Begriff wie Glückauf-Bahn finde ich gut.

Der Punkrocker Wolfgang Wendland im August 2013 in Bochum

Wolfgang Wendland sieht die Lage im Revier recht hoffnungslos

Wendland: Nein. Gerade was den Bergbau angeht, ist Tradition das Allerschlechteste. Denn das zeigt die grundsätzliche Einstellung von früher. So nach dem Motto: Die Zeche macht das schon. Die Zeche sorgt für Arbeit. Die Zeche sorgt für Wohnhäuser drum herum. Das war ein Ort, da ging man hin. Und das restliche Leben war geregelt. Diese Grundeinstellung, diese Versorgungsmentalität ist immer noch in den Köpfen. Jeder rostige Förderturm, der hier noch rumsteht, ist wild umkämpft, wenn er abgerissen werden soll.

WDR.de: Bleiben wir mal bei dem Begriff "Stolz". Sind Sie stolz auf das Ruhrgebiet? Oder warum leben Sie gern hier?

Matheuszik: Ich habe hier einen Arbeitsplatz. Ich habe hier eine Wohnung. Ich finde das hier eigentlich ganz schön. Den Begriff "Stolz" finde ich unpassend. Man kann nur stolz auf etwas sein, was man erreicht hat. Aber ich würde hier nicht wohnen, wenn ich es nicht wollte.

Wendland: Es ist unerheblich, wo ich wohne. Aus Bequemlichkeit wohne ich im Ruhrgebiet. Hier kenne ich mich aus.

WDR.de: In anderen Teilen der Republik, selbst in anderen NRW-Städten wie Düsseldorf oder Köln kennen viele Leute nur Ruhrgebiets-Klischees wie Bergbau, Taubenzüchter-Idylle oder Fußball. Woran liegt das?

Matheuszik: Das ist auch eine Wahrnehmungssache. Nehmen Sie zum Beispiel den WDR. Sobald in Köln ein Event am Rhein stattfindet, wo mal ein paar Pyrotechnik-Böller angezündet werden, überträgt der WDR das vier Stunden lang live im Fernsehen. Wenn im Ruhrgebiet was passiert, läuft oftmals nur eine kurze Zusammenfassung. Wenn über neue Entwicklungen im Revier kaum berichtet wird, bleiben halt bei vielen die alten Ruhrpott-Klischees hängen.

Wendland: Ich sehe das nicht so mit den Klischees. Die alten Ruhrpott-Klischees sind einem Nichts gewichen. Fragen Sie mal, was ein durchschnittlicher Bundesbürger über Bochum weiß. Das ist ungefähr so viel, wie ich über Darmstadt weiß. Nämlich nichts.

Matheuszik: Naja, Bochum ist für Herbert Grönemeyer bekannt. Und seit der Honoraraffäre von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sind auch die Stadtwerke Bochum bundesweit bekannt. (lacht)

WDR.de: 2010 war Essen stellvertretend für das ganze Ruhrgebiet die Kulturhauptstadt Europas. Damals hieß es, das Ruhrgebiet soll eine "Metropolregion" sein. Was ist von dem Anspruch geblieben?

Wendland: Nichts. Außer der schönen Erfahrung von ein paar Leuten, mal auf der A40/B1 herumgelaufen zu sein. Das Kulturhauptstadtjahr 2010 wird bis heute überschattet von der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg.

Matheuszik: Es gab schon einige Aktionen damals, die besuchenswert waren - nicht nur der schöne Spaziergang auf der B1. Was stimmt ist, dass das Ruhrgebiet noch immer nicht richtig zusammengewachsen ist. Wir haben zwar das sogenannte Ruhrparlament des Regionalverbands Ruhr (RVR). Darin werden irgendwelche Leute entsandt. Keiner weiß es. Wahrscheinlich ist der Aufbau des Politbüros in China transparenter. Aber wenn für dieses Parlament eine Direktwahl stattfände, würde das die Identifikation mit dem Ruhrgebiet schon stärken. Ein Problem ist auch nach wie vor, dass sich mit Arnsberg, Münster und Düsseldorf drei Regierungspräsidenten die Zuständigkeit für das Ruhrgebiet teilen.

WDR.de: Die SPD ist die dominierende politische Kraft im Ruhrgebiet. Und im Land regieren die Sozialdemokraten mit fünfjähriger CDU/FDP-Unterbrechung nun schon seit fast 50 Jahren. Warum steht die SPD-Hochburg Ruhrgebiet dennoch wirtschaftlich und sozial so schlecht da?

Wendland: (lacht) Man weiß nicht, ob die SPD da gewählt wird, wo es wirtschaftlich schlecht aussieht. Oder ob es wirtschaftlich schlechter wird, wenn die SPD an der Macht ist. Aber wir werden es bald wissen, wenn wir abwarten, was mit Baden-Württemberg passiert unter Grün-Rot.

Matheuszik: Als SPD-Mitglied und Karteileiche habe ich eine gewisse Nähe und eine gewisse Distanz zur SPD. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat seit ihrem Regierungsantritt 2010 schon etwas erreicht für das Ruhrgebiet. Es gab zum Beispiel den Stärkungspakt Stadtfinanzen, der vielen finanziell schwachen Städten geholfen hat. Und auch die Förderung der Gesundheitsbranche geht in die richtige Richtung.

WDR.de: Was läuft schlecht im Revier?

Matheuszik: Auf jeden Fall das öffentliche Verkehrssystem. Der VRR ist ein Wasserkopf. Busse und Bahnen fahren nicht aus einem Guss. Es ist beispielsweise schon schwierig, von Essen-Steele nach Wattenscheid zu fahren. In anderen deutschen Großstädten sind die Tickets meist billiger und die Züge fahren sogar nachts öfter. Das ist meiner Meinung nach auch eine Folge der politischen Strukturen. Ein Bochumer Lokalpolitiker wird halt nicht dafür gewählt, dass er für eine vernünftige Verkehrsverbindung nach Dortmund sorgt. Deshalb wären eine Direktwahl des Ruhrparlaments und eine Direktwahl des RVR-Chefs ja so wichtig. Wer direkt gewählt wird, hat auch eine direkte Verantwortung. Dann könnte es auch eine Verkehrsplanung aus einer Hand geben. Und man hätte einen Repräsentanten nach außen für das ganze Ruhrgebiet.

Wendland: Ein übergeordnetes Ruhrparlament würde nichts bringen, da es nur die vorhandenen politischen Mehrheiten stabilisieren würde. Das wirklich Einzige, was die Leute politisch interessiert, ist: Wann kommt das neue Kennzeichen? Die Autofahrer in Wattenscheid dürfen mittlerweile wieder das Kennzeichen "WAT" statt "BO" für Bochum haben. Nein, wenn sich wirklich politisch was ändern soll im Ruhrgebiet, müssten es radikale politische Maßnahmen sein, die vom Land NRW ausgehen, wie zum Beispiel eine notwendige Zusammenlegung der verschiedenen Verkehrsverbünde. Aus dem Ruhrgebiet selbst erwarte ich kaum Verbesserungen. Es ist doch schon bezeichnend, wenn ein Politiker in Fürth nach der dortigen Quelle-Pleite als warnendes abschreckendes Beispiel vor einer "Bochumisierung" warnte.

Das Interview führte Martin Teigeler.

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