Mutmaßliche NSU-Geschädigte
Opfer-Anwalt: Polizei hat einseitig ermittelt
Stand: 31.08.2012, 19:00 Uhr
Schwere Vorwürfe gegen die Polizei haben am Freitag (31.08.2012) Opfer der Kölner Bombenanschläge bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses erhoben. Auch rüde Ermittlungsmethoden seien für ihre Traumata verantwortlich, so ein Opfer-Anwalt.
Von Andreas Poulakos
"Natürlich sind die Motive der Täter wichtig", sagt Sebastian Edathy (SPD). "Aber ebenso wichtig ist die Beschäftigung mit den Opfern der Anschläge", sagt der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag nach dem Treffen im Kölner Polizeipräsidium. Es sei erneut deutlich geworden, wie traumatisierend die Anschläge gewesen seien, sagt Edathy. "Interessiert hat mich aber auch besonders die Wahrnehmung der Opfer von der Arbeit der Polizei."
Stundenlange Verhöre
Während des dreistündigen Treffens hatten mehrere der insgesamt neun Betroffenen von ihren Erlebnissen direkt nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 berichtet. Teilweise habe die Polizei sie noch in der Nacht aus dem Krankenhaus geholt und stundenlang verhört – ungeachtet ihrer Verletzungen . Die Beamten hätten sie psychologisch unter Druck gesetzt und zu einer Aussage gedrängt. "Alle Ermittlungen der Polizei gingen in die Richtung einer Auseinandersetzung im kurdischen oder Türsteher-Milieu", sagt Reinhard Schön, der als Rechtsanwalt vier Opfer des Anschlags vertritt.
Einer seiner Mandanten habe vor wenigen Monaten Selbstmord begangen - die traumatischen Folgen des brutalen Attentats und die falschen Verdächtigungen hätten bei dem Freitod des 34-Jährigen eine wichtige Rolle gespielt, erklärt Schön. Die Polizei müsse sich fragen lassen, warum sie so einseitig ermittelt habe. „Alle Hinweise meiner Mandanten, man solle doch auch mal in der rechten Szene suchen, wurden ignoriert.“
Zweimal zum Opfer geworden
Reinhard Schön vertritt vier Anschlags-Opfer
„Viele der Opfer mussten zurecht den Eindruck gewinnen, dass sie zweimal zum Opfer geworden sind", so auch die Einschätzung des Ausschuss-Vorsitzenden Edathy. Die Vernehmungsprotokolle müssten speziell darauf nochmals überprüft werden. „Offensichtlich reicht die Hilfe für die Opfer noch nicht aus“, sagt Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) zum Thema Wiedergutmachung. Die Situation jedes einzelnen Betroffenen müsse neu betrachtet werden.
Bisher hätten seine Mandanten jeweils eine Entschädigung zwischen 7.000 und 12.000 Euro erhalten, sagt Opferanwalt Schön. „Sie leben seit acht Jahren mit den traumatischen Folgen des Anschlags und den falschen Verdächtigungen. Eine Entschädigung dafür kann nicht billig sein.“
Anschläge 2001 und 2004
Der rechtsterroristische Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) soll 2001 ein Bombenattentat auf ein deutsch-iranisches Lebensmittelgeschäft in Köln verübt haben. 2004 beging die NSU dann nach Erkenntnissen der Ermittler einen Nagelbombenanschlag in der vor allem von Ausländern bewohnten Keupstraße. Erst Ende 2011 war der Verdacht durch ein Bekennervideo auf die dreiköpfige Neonazi-Gruppe gefallen.